Studie Warum im Umland von Städten viele die AfD wählen
Auf dem Land wird rechts gewählt, in der Stadt links? Das Tübinger Institut für Rechtsextremismusforschung hat diese These unter die Lupe genommen. Manche Erkenntnis bestätigt alte Befürchtungen.
In Bodelshausen wird gestritten. 250 Flüchtlinge sollten eigentlich in ein ehemaliges Firmengebäude einziehen. Doch seit der Ankündigung rumort es in der kleinen Gemeinde nahe Tübingen. "Und genau durch diesen Streit hat die AfD gewonnen", sagt Rolf Frankenberger.
Frankenberger arbeitet am Tübinger Institut für Rechtsextremismusforschung (IRex). Ein Institut, finanziert aus Mitteln des Landes Baden-Württemberg, das mit seiner Gründung vor zwei Jahren die deutschlandweit erste politikwissenschaftliche Professur für die Erforschung des Rechtsextremismus geschaffen hat.
Konstrukte extrem rechter Parteien
In den vergangenen Monaten hat sich das Institut intensiv mit der Frage beschäftigt, warum extrem rechte Parteien besonders im ländlichen Raum so stark sind. Ein Forschungsteam hat Wahlprogramme analysiert, deren Sprachgebrauch untersucht und auch die geographische Verteilung von Wahlergebnissen genau unter die Lupe genommen. "Wir haben uns zum einen angeschaut, welche Vorstellung von Raum, Landschaft oder Heimat haben extrem rechte Parteien, was wird da konstruiert", so Frankenberger. "Und dann haben wir uns angeschaut, wo ist die AfD besonders stark."
Dabei sei man auf Überschneidungen gestoßen: Gerade im ländlichen Raum, der von extrem rechten Parteien oft romantisiert verklärt würde, hätten eben diese Parteien besonders großen Zulauf und grenzten sich gleichzeitig ab. "Heimat wird da konstruiert als etwas mit uralten Traditionen, mit der deutschen Sprache, mit etwas Gewachsenem, Organischem", sagt Frankenberger. "Und das kann dementsprechend auch nicht so leicht Heimat für jemand anderen werden." Zum Beispiel für Geflüchtete wie in Bodelshausen.
Städtisches und ländliches Denken
Knapp 6.000 Einwohner, 20 Kilometer südlich von Tübingen gelegen. Eine kleine Gemeinde mit viel Handwerk, einem parteilosen Bürgermeister - und immer noch keinem Flüchtlingsheim. Der Landkreis Tübingen ist dafür, die Gemeinde Bodelshausen skeptisch.
Für die Wissenschaftler des Instituts für Rechtsextremismusforschung ist dies ein typisches Beispiel für das Aufeinandertreffen von "urbanem" und "ruralem" Denken, wie sie es nennen. Und etwas, das sich selbst geographisch darstellen lässt. Denn diese Gegensätze träten vor allem im Umkreis von Universitätsstädten stark hervor.
Dort, auf den Dörfern im Einzugsgebiet städtischer Zentren, träfen Menschen, die eher urban, also weltoffen dächten, die für Toleranz, Flüchtlinge oder auch erneuerbare Energien seien, auf eine rural-konservative Bevölkerung. "Wenn diese unterschiedlichen Weltbilder gezielt instrumentalisiert werden, dann eskaliert das in einem Konflikt", so Frankenberger. Und der werde dann von extrem rechten Politikern oft aufgegriffen, um Stimmen zu gewinnen.
Proteste instrumentalisiert
Beispiele gibt es zur Genüge. Die Bauernproteste des vergangenen Winters etwa, als Landwirte in ganz Deutschland gegen die Streichung von Dieselsubventionen demonstrierten. An sich ein legitimes Anliegen. "Aber da hat man zunehmend die AfD und auch andere Akteure gesehen, die gezielt darauf aufgesprungen sind und versucht haben, diese Proteste zu kapern", so Frankenberger. Die Methoden seien dabei immer die gleichen: die eigene Identität beschwören, die Angst vor dem Neuen und Fremden schüren.
Natürlich ziehen nicht nur extrem rechte Parteien ihren Nutzen aus Konflikten, aus Ängsten in der Bevölkerung. Auch extrem linke mobilisieren mit der Klimaangst, der Furcht vor Atomkraft oder dem Abbau des Sozialstaates Wähler. "Aber sie laden diese Konflikte nicht mit Ideologien der Ungleichheit oder mit nationalistischen oder rassistischen Argumenten auf", gibt Frankenberger zu bedenken. "Und das ist genau das, was die extreme Rechte macht."
"Hängt nicht vom Wohnort ab"
In Bodelshausen hat die AfD bei der Europawahl im Juni 19,5 Prozent der Stimmen geholt, fast doppelt so viel wie die Grünen. Im benachbarten Tübingen war es genau umgekehrt.
Dass es also durchaus große Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt, daran scheint kein Zweifel. Rolf Frankenberger möchte das jedoch nicht nur geographisch verstanden wissen. "Wie ländlich-konservativ oder wie städtisch-weltoffen wir sind, hängt nicht vom Wohnort ab. Das sind Gedankenwelten und Einstellungen. Und die können sich auch verändern."
Die Flüchtlingsunterkunft in Bodelshausen sollte eigentlich bereits im Mai bezogen werden. Inzwischen jedoch hat der Gemeinderat den Bebauungsplan geändert - in die Immobilie, einem ehemaligen Firmengebäude, soll wieder ein Unternehmen einziehen. Das Landratsamt Tübingen will das nicht hinnehmen. Der Streit geht weiter.