Maßnahmen gegen Corona Wäre Quarantäne für Ältere möglich?
Viele ältere Menschen fühlen sich jetzt bereits einsam ohne ihre sozialen Kontakte. Es gibt Überlegungen, diese Isolierung noch auszuweiten. Aber was sagen Juristen dazu?
Tatiana Wagner ist Pastorin an der Friedenskirche der Stephanus-Stiftung im Berliner Ortsteil Weißensee. In der Einrichtung verbringen viele ältere Menschen ihren Lebensabend.
Wagner nähert sich ihnen zurzeit nur mit Handschuhen und einer Atemschutzmaske. Schon das sei für einige Bewohner schwer: "Keine Umarmung, keine Hand, die wir im Moment reichen können." Dazu komme, dass die älteren Menschen sich zwar im Garten der Einrichtung frei bewegen könnten, aber Besuch gebe es zurzeit keinen.
Kontakt nur mit Schutzkleidung
"Das spannt die älteren Menschen schon sehr an", sagt die Pastorin. Aber die meisten verstünden es und telefonierten jetzt eben mehr mit den Angehörigen oder suchten auf andere Weise Kontakt - sofern dies eben möglich sei.
"Ein ehemaliger Arzt zum Beispiel, der sieht das ganz locker und hat überhaupt keine Angst, sich anzustecken." Aber er akzeptiere die Regeln. "Immerhin hat er an seinem 94. Geburtstag ein Ständchen von seinen Angehörigen vor dem Fenster bekommen" erzählt sie.
Pfarrerin Wagner kümmert sich um die Bewohner des Heimes.
Andere hätten hingegen schon große Angst davor, dass sie sich infizieren - oder schlimmer, jemand anderen zu infizieren, sagt Pflegedienstleiterin Petra Roth-Steiner.
Pastorin Wagner erzählt, es seien neben den Angehörigen noch ganz alltägliche Dinge, die die Bewohner vermissen. "Eine Dame sagte kürzlich, dass sie gerne zum Friseur gehen wolle." Sie versuche in solchen Momenten, den Menschen viel Zuversicht zu geben, dass auch diese Zeiten vorbeigingen.
Politiker fordern Extra-Quarantäne für Ältere
Quarantäne für Ältere - das ist zurzeit nur eine Idee, die diskutiert wird, um etwa auch die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen für die Jüngeren zu lockern. Damit diese wieder normal arbeiten können und das Leben ein Stück weit zurück zur Normalität kommt - auf Kosten allerdings der Älteren.
In den Ländern liebäugeln einige Politiker mit dieser Möglichkeit. So forderte bereits Ende März Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD), dass Menschen über 70 Jahre ihre Wohnung freiwillig nicht mehr verlassen sollten. Diese "Selbstquarantäne" sei nur zu ihrem Besten. "Abstand ist der sicherste Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus", sagte die Politikerin. Nebenbei würde auch das Gesundheitsystem geschützt.
Juristen halten eine Sonderregel für Ältere denkbar
Noch weiter geht Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer von den Grünen. In einem Interview sprach er davon, dass er sich vorstellen könne, die Quarantäne für Ältere sogar verpflichtend zu machen. Auch sein Vorschlage erntete Kritik. Palmers Parteifreund Hans-Christian Ströbele sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Wenn sie die Alten und chronisch Kranken separieren, bin ich am nächsten Tag beim Bundesverfassungsgericht und klage".
Aber so eine Klage könnte erfolglos bleiben. Der Staatsrechtler Christian Pestalozza hält eine Sonderregel für Ältere unter bestimmten Bedingungen für denkbar: "Wenn so etwas erzwungen wird, dann muss das medizinisch aber sehr gut begründet sein", sagt der emeritierte Professor der Freien Universität Berlin.
Es müsse klar sein, warum Menschen ab einem gewissen Alter besonders schutzbedürftig seien. "Sonst wäre das eine willkürliche Ungleichbehandlung": warum jemand mit 69 Jahren etwa nicht betroffen wäre, aber jemand mit 70 Jahren. Und warum es in einem engen Zuhause sicherer sei, als wenn sich der ältere Mensch an der frischen Luft bewege.
Es ist umstritten ob eine Quarantäne für Ältere durchgesetzt werden sollte.
"Alt gegen Jung muss nicht unbedingt gegeneinander stehen"
Ähnlich sieht das der Staatsrechtler Hinnerk Wißmann. "Ja, es ist möglich, zwischen den Bürgern Unterschiede zu machen. Der grundgesetzliche Gleichheitssatz erlaubt das auch", sagt der Münsteraner Professor. "Aber sie sind, wenn man sie an starren Altersgrenzen festmacht, ganz besonders rechtfertigungsbedürftig."
Vielleicht müsse man jedoch gar nicht Alt gegen Jung ausspielen. Wißmann plädiert für einen Kompromiss: "Man kann daran denken, die Einschränkungen auf alle Gruppen zu verteilen." Diejenigen, die nicht arbeiten, könnten den öffentlichen Raum zwischen zehn und 13 Uhr beanspruchen. Zu den anderen Zeiten könnte der Raum den anderen überlassen werden, schlägt Wißmann vor. So gebe es weniger Begegnungspunkte, und das öffentliche Leben könnte wieder etwas hochfahren.
"Die Älteren haben schon einiges erlebt"
Immerhin ein Mittelweg, der auch der Seniorin in der Stephanus-Stiftung einen Friseurgang wieder erlauben würde. In jedem Falle aber generationsgerechter.
Ob die Bewohner ihrer Einrichtung die Situation noch länger aushalten könnten, falls es etwa eine Quarantäne nur für ältere Menschen geben sollte? Das könne man nur schwer beantworten, sagt Pastorin Wagner. "Die Älteren haben schon einiges mitgemacht. Die haben teilweise noch den Krieg erlebt", die könnten das vielleicht verstehen. Aber Pauschalisierungen seien auch hier eben schwer.