Regierungserklärung von Scholz "Russland ist nicht so stark, wie man denkt"
Russland zeigt Schwächen, Europa muss die Ukraine weiter konsequent unterstützen - das war die zentrale Botschaft des Kanzlers vor dem EU-Gipfel. Beim Thema Nahost hofft Scholz auf einen EU-Kompromiss.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Willen von Deutschland und Europa bekräftigt, der Ukraine so lange wie nötig zu helfen. "Russland ist nicht so stark, wie man jetzt denkt", sagte der SPD-Politiker in seiner Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel. "Wenn der russische Präsident glaubt, dass er diesen Krieg nur aussitzen muss und wir schwächeln werden in unserer Unterstützung, dann hat er sich verrechnet", fügt er hinzu. Mehr Waffenlieferungen an die Ukraine seien wichtig, einen "Diktatfrieden zulasten der Ukraine" werde man nicht akzeptieren.
Scholz sagte weiter, er wolle sich auf dem Gipfel dafür einsetzen, dass die Gewinne aus den eingefrorenen russischen Vermögen in Europa in Waffenkäufe für die Ukraine investiert werden: "Da geht es um ein paar Milliarden, vielleicht bis zu fünf in diesem Jahr." Beim Thema Rüstungsgüterbeschaffung sprach er sich für eine engere Kooperation in der EU aus. Es habe schon große Fortschritte gegeben, weitere seien aber nötig.
Die Manipulation der Wahlen in Russland und der Druck auf die Opposition seien Zeichen der Schwäche des Kreml, sagte Scholz weiter. Er äußerte seine Bewunderung für die russische Opposition. Es sei wirklich schwer, in einem solchen Land auf Freiheit zu bestehen. Man dürfe die Unterstützung für diese Menschen nicht aufgeben.
"Diese Debatte ist gefährlich"
Oppositionsführer Friedrich Merz ging in seiner Antwort auf Scholz auf dessen Aussage ein, die Debatte über die deutsche Ukraine-Unterstützung sei "an Lächerlichkeit nicht zu überbieten": "Die Debatte, die in Ihrer Koalition und vor allem in Ihrer eigenen Partei spätestens seit der letzten Woche geführt wird, die ist nicht lächerlich. Diese Debatte ist gefährlich", sagte er. Sie sei für den Frieden in Europa und die Ukraine gefährlich. Diese müsse den Eindruck gewinnen, die deutsche Hilfe sei befristet. Scholz fahre nach Brüssel als Kanzler einer Koalition, die von mehreren Seiten ganz offen dessen Autorität beschädige.
Dem SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf Merz wegen seiner These vom Einfrieren des Krieges indirekt Feigheit vor: "Friedfertigkeit kann das Gegenteil von Frieden bewirken." Mit Blick auf Kremlchef Wladimir Putin ergänzte er: "Einem solchen skrupellosen Kriegsverbrecher kann man nicht mit Feigheit begegnen, sondern nur mit Klarheit und Entschlossenheit."
"Nicht weit genug gegangen"
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte, sie wolle auch in der Koalition für eine stärkere Unterstützung der Ukraine eintreten. Den bisherigen Weg sei man "nicht weit genug gegangen". Die Ukraine brauche dringend mehr Unterstützung. Die Debatte sei nicht lächerlich, und man könne sich nicht an irgendeiner Stelle beenden.
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel unterstützte zwar Scholz' Nein zur Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern. Sie warf der Regierung trotzdem vor, Deutschland im Ukraine-Krieg zur Kriegspartei zu machen. Man beteilige sich an einem "Wirtschaftskrieg gegen Russland", liefere Waffen an die Ukraine und leiste umfassende Finanzhilfe. "Statt mit Kriegstreiberei und Waffenlieferungen die Eskalation voranzutreiben", müsse die deutsche Politik als Vermittler auftreten.
"Die notwendigen Dinge sagen"
Der Kanzler äußerte sich im Bundestag auch zum Krieg in Nahost. Der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel sei "nicht vergessbar, furchtbar" gewesen. Wie vielleicht sonst nur die USA sei Deutschland "klar ein Freund Israels". Trotzdem sei es wichtig, "die notwendigen Dinge zu sagen". Es müsse einen Waffenstillstand geben, unter anderem um die Geiseln der Hamas freizubekommen und mehr humanitäre Hilfe für den Gazastreifen leisten zu können. Scholz zeigte sich vorsichtig optimistisch: "Ein bisschen habe ich den Eindruck, es ist ein bisschen realistischer."
Scholz verwies auch auf die deutsche Beteiligung an der Versorgung von Bewohnerinnen und Bewohnern des Gazastreifens per Luftbrücke: "Wir leisten einen Beitrag, aber das wird nicht umfassend helfen können." Mehr Grenzübergänge müssten geöffnet werden, damit täglich mehr als 500 Lkw mit Hilfsgütern in das Gebiet fahren könnten. Viele Menschen in Israel unterstützten dies, das habe er bei seinem jüngsten Besuch dort erfahren.
Letztlich befrieden könne die Situation in Nahost nur eine Zweistaatenlösung, betonte Scholz. "Es muss jetzt erkennbar werden, wie es eine Zukunft für ein friedliches Nebeneinander von Israel und einem palästinensischen Staat geben kann." Hierbei gehe es um einen eigenen palästinensischen Staat "ohne eigenes Militär", der sich aber selbst verwalten könne.
Diesmal ein EU-Kompromiss?
Scholz räumte ein, zum Thema Nahost geben es in der EU unterschiedliche Meinungen: "Gerade deshalb ist Diskussion wichtig." Er hoffe, dass sich die Staats- und Regierungschefs auf eine gemeinsame Haltung einigen werden.
Beim EU-Gipfel im Dezember war eine gemeinsame Erklärung zum Gaza-Krieg gescheitert. Beispielsweise Spanien und Irland verlangen angesichts der hohen Opferzahlen im Gazastreifen eine deutlich schärfere Sprache gegenüber Israel und wollen das Assoziierungsabkommen der EU mit dem Land aufkündigen.
Der Kanzler äußerte sich vor dem zweitägigen Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Dabei soll es am am Donnerstag und Freitag auch um die EU-Erweiterung im Westbalkan sowie um weitere Themen wie Migration und Landwirtschaft gehen.
In einer früheren Version wurde das Zitat von Kanzler Scholz falsch wiedergegeben. Das Wort "aussetzen" wurde durch "aussitzen" ersetzt.
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