Krieg in der Ukraine Frieden verhandeln - aber wie?
Nach einem Jahr russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine spricht wenig für den Erfolg diplomatischer Bemühungen. Insbesondere in Deutschland wird die Diskussion um eine Friedenslösung leidenschaftlich geführt.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat es vor einem Jahr probiert. Er hat Russlands Präsident Wladimir Putin noch kurz vor Kriegsbeginn besucht, an einem sechs Meter langen weiß lackierten Tisch mit ihm stundenlang über eine gewaltfreie Lösung im Ukraine-Konflikt verhandelt - bekanntermaßen ohne Erfolg. Der russische Präsident hat ihn hingehalten, seine Truppen marschierten am 24. Februar in die Ukraine ein. Der Rest ist bekannt.
Putin hat Vertrauen verspielt. Trotzdem telefoniert auch der Bundeskanzler regelmäßig weiter mit dem russischen Präsidenten, alle sechs bis acht Wochen. Man tauscht dabei die jeweiligen Positionen aus. Die Gespräche sind freundlich, zu Drohungen kommt es nicht. Wirklich weiter kommt man im direkten Gespräch aber auch nicht. Deutschland hat klar Partei ergriffen und unterstützt die Ukraine nach Kräften - zuletzt mit der angekündigten Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern. Dadurch fällt man aber als neutraler, direkter Vermittler aus.
Diplomatische Friedensversuche
Die westlichen Partner fahren zweigleisig: Gesprächskanäle offenhalten parallel zu scharfen Sanktionen. Verhandlungen laufen besser, wenn eine dritte Partei vermittelt, sagt Matthias Dembinski von der hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung: "Um als Mediator gut wirken zu können, müsste diese Person oder diese Partei von beiden Konfliktseiten als vertrauenswürdig und neutral anerkannt werden." Zuletzt hatten die Chinesen im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz vergangenes Wochenende eine Friedensinitiative angekündigt.
Doch es gibt Zweifel, dass sie von beiden Seiten als vertrauenswürdig und neutral anerkannt werden. Aus Sicht der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erfüllen sie diese Kriterien nicht. Sie schließt China als neutralen Vermittler aus: "Denn wir wissen, dass China sehr klar die Positionen Russlands unterstützt. Wir wissen auch, dass viele wirtschaftliche Güter von China nach Russland gehen. Also, China hat sich positioniert an der Seite Russlands." Bundesaußenministerin Annalena Baerbock begrüßt die chinesische Ankündigung hingegen. Mehr Details sollen am Jahrestag des russischen Angriffskrieges folgen.
Nach Ansicht des Linken-Außenpolitikers Gregor Gysi wäre der brasilianische Präsident Lula da Silva ein Kandidat für eine Vermittlerrolle. Der hatte sich zuletzt selbst ins Spiel gebracht. Bundespräsident und Bundeskanzler haben dem Brasilianer bei Staatsbesuchen auch den Hof gemacht. Die Gespräche sollen aber nicht einfach gewesen sein.
Aber selbst der Linken-Politiker Gysi hat beim Linken-Politiker Lula Bedenken, denn der will gemeinsam mit China einen Frieden verhandeln. Erschwerend kommt hinzu, dass Lula in der Vergangenheit den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj heftig attackiert und ihm sogar eine Mitschuld am russischen Angriffskrieg gegeben hat.
Gescheiterte Vermittlung
Die Liste der Politiker, die es bereits mit diplomatischen Mitteln versucht haben, ist recht lang. Gerade in den ersten Wochen des Angriffskrieges. Mit dabei unter anderem der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der ehemalige israelische Premierminister Naftali Bennett, der österreichische Kanzler Karl Nehammer, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sogar Ex-Kanzler Gerhard Schröder.
Kurz sah es so aus, als ob Erdogan zur Friedenstaube werden könnte. Anfang März 2022 treffen sich der ukrainische und der russische Außenminister in Antalya. Es hieß, beide Seiten seien zu Zugeständnissen bereit gewesen: Die Ukraine zeige sich offen, von der Forderung nach einem NATO-Beitritt abzurücken und Russland wolle nicht den Sturz der ukrainischen Regierung anstreben.
Ein kurzes Zeitfenster für die Diplomatie, das im Laufe der Monate immer kleiner wird, sagt Friedensforscher Dembinski: "Beide Seiten liegen eigentlich heute weiter entfernt als zu früheren Phasen dieses Krieges. Mittlerweile hat Russland vier Verwaltungsbezirke im Osten der Ukraine annektiert und will noch mal ganz erhebliche territoriale Zugewinne machen." Die Ukraine habe zusätzliche Forderungen nach Reparationen gestellt und danach, dass die Kriegsverbrechen geahndet werden, so Dembinski.
Die letzten öffentlichen Gespräche zur Begrenzung oder Beendigung des Krieges waren im April 2022.
Getreide und Gefangenenaustausch
Lediglich das Getreideabkommen war ein kleiner diplomatischer Erfolg. Es ist im Sommer 2022 durch die Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen zwischen der Ukraine und Russland geschlossen worden. Beide Länder gelten als wichtige Getreide-Exporteure, besonders für den globalen Süden. Obwohl beide Seiten profitieren, ging es auch hier nicht ohne Komplikationen.
Außerdem ist es regelmäßig zu Gefangenenaustauschen gekommen. Zuletzt hat man jeweils rund 100 Kriegsgefangene ausgetauscht. Beide Seiten haben Verhandlungen aber bisher eher auf technische Fragen begrenzt und sich nicht bereiterklärt, auf dieser Grundlage weiterzugehen und über Modalitäten eines Waffenstillstands zu sprechen, sagt Friedensforscher Dembinski.
Dass beide Seiten weit davon entfernt sind sich anzunähern, zeigte sich auch Anfang Januar. Damals wurde eine angekündigte Waffenruhe zum orthodoxen Weihnachtsfest nicht eingehalten. Es gibt kein gegenseitiges Vertrauen.
Zählen Worte nur, wenn Waffen dahinterstehen?
"Jede Verhandlung spiegelt die Fakten auf dem Boden wider" - diesen Satz schreibt US-Präsident Joe Biden im Sommer 2022 in einem "New York Times"-Artikel. Der Frieden am Verhandlungstisch hänge also von der jeweiligen militärischen Ausgangslage ab.
"Wenn beide Seiten erkennen, dass sie militärisch nicht mehr weiterkommen, dann öffnet sich ein Fenster für Verhandlungen", so eine Theorie, die Friedensforscher Dembinski erklärt. Ein "ripe moment", reifer Moment, sei der Fachbegriff. Dieser Theorie zufolge wäre eine Patt-Situation auf dem Schlachtfeld die Stunde der Diplomatie.
Deutschland, besonders aber die USA liefern seit Kriegsbeginn immer gerade so viele Waffen, dass die Ukraine gegen Russland bestehen kann. Der Militäranalyst Markus Reisner sieht Indizien dafür, dass die USA versuchen, immer nur so viel zu liefern, dass die Ukrainer ebenbürtig sind. Mit diesem abgestimmten Vorgehen wolle man Russland nicht zu sehr in die Enge treiben - auch aus Angst vor irrationalen Handlungen. Und eine irrationale Handlung wäre möglicherweise der Einsatz von Atomwaffen.
Die "Boiling the frog"-Strategie
Im NDR-Podcast "Streitkräfte und Strategien" erklärt Reisner diese sogenannte "Boiling the frog"-Strategie - "also den Frosch zu kochen, ohne dass der Frosch es merkt". Das Dilemma daran sei, dass Russland glaube, es könne die Ukraine zu Tode würgen, während der Westen und die USA glaubten, sie könnten Russland so lange würgen, dass den Russen die Luft ausgehe. Dadurch würde sich der Krieg aber in die Länge ziehen, so Reisner.
Zumindest einen kleinen Hoffnungsschimmer hegt Friedensforscher Dembinski dennoch für die kommenden Monate. Er kann sich vorstellen, dass sich erneut ein Verhandlungsfenster auftut. Dann nämlich, wenn die russische und die ukrainische Frühjahrsoffensive im Sand verlaufen wird.