Brasilien Lula als Vermittler im Ukraine-Krieg?
Vor seiner Wahl hatte der brasilianische Präsident Lula mit seiner Haltung zum Ukraine-Krieg für Unverständnis im Westen gesorgt. Auch jetzt will sich Brasilien nicht in den Konflikt einmischen. Doch Lula hat angeboten, zu vermitteln. Ist das realistisch?
Die Erwartungen waren groß: Er soll festgefahrene Handelsabkommen voranbringen, neue Partnerschaften anstoßen und den Amazonas retten. Nach dem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz bei Luiz Inácio Lula da Silva in Brasília herrscht plötzlich Ernüchterung und die Einsicht: Manche Erwartungen an Brasiliens neuen Präsidenten waren vielleicht eher Wunschdenken.
Besonders deutlich wurde das beim Thema Ukraine-Krieg. Dem Wunsch Deutschlands, Brasilien möge Panzermunition liefern, erteilte Lula eine klare Absage.
Brasilien hat kein Interesse daran, Munition für den Krieg zwischen der Ukraine und Russland zu liefen. Brasilien ist ein Land des Friedens. (…) Deshalb möchte sich Brasilien nicht beteiligen, auch nicht indirekt.
Brasilianisches Streben nach Autonomie
Das war allerdings schon im Vorhinein abzusehen, und entspricht auch nicht allein einer Linie Lulas, sondern der brasilianischen Außenpolitik. Auch an Sanktionen beteiligt sich Brasilien nicht. Ana Garcia, Professorin für internationale Beziehungen und Direktorin des BRICS Policy Centers, sagt:
Brasilien ist ein Land, das in seiner Außenpolitik historisch auf Autonomie von den großen Mächten setzt und auf wirtschaftliche Entwicklung. Das hat mit seiner Geschichte zu tun, aber auch mit seiner Rolle als eine regionale Führungsmacht, vor allem für Entwicklungsländer. Dabei verfolgt es in erster Linie einen pragmatischen Ansatz. Brasilien hat sich nie strikt nach der Linie eines Blocks oder Machtzentrums ausgerichtet. Das ist aber keine Neuigkeit.
Schon in seinen ersten Amtszeiten Anfang der 2000er-Jahre verfolgte Lula eine multipolare Strategie und trat stets dafür ein, gute Beziehungen zu allen globalen Playern zu unterhalten - sei es in der lateinamerikanischen UNASUR, den BRICS oder der G20, sei es zu Demokraten oder Diktatoren.
Lulas Ukraine-Haltung sorgt für Aufsehen
Mit seiner Position zum Ukraine-Krieg sorgte Lula bereits vor seiner Wahl zum Präsidenten für Kopfschütteln im Westen. In einem Interview im US-Magazin "Time" gab er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und der NATO eine Mitschuld an dem Krieg. Seither ist er zwar zurückgerudert, es gab nun auch eine gemeinsame Presseerklärung mit Scholz, man verurteilt den Angriff Russlands. Lula formuliert es so:
Heute habe ich mehr Klarheit über den Grund des Krieges. Ich denke, Russland hat den klassischen Fehler gemacht, in das Territorium eines anderen Landes einzudringen. Das ist also falsch. Aber ich denke immer: Wenn einer nicht will, können zwei nicht streiten.
Auf deutsch: Zu einem Streit gehören immer zwei. In Lulas Augen fehle es an Bemühungen für eine Verhandlungslösung, das machte er während des Scholz-Besuches klar. Er brachte sich gar als Brückenbauer für den Frieden ins Spiel.
Lula versteht sich als Brückenbauer
Auch das scheint aus brasilianischer Sicht gar nicht so abwegig, wie es zunächst klingen mag - denn Lula brachte in der Vergangenheit immer wieder Konfliktparteien an einen Tisch, in Lateinamerika, aber auch im Nahen Osten. Während anstehender Reisen nach Washington und Peking werde er das in den kommenden Monaten ausloten. Auch China, so Lula, solle jetzt mal anpacken und helfen. Ana Garcia sieht das so:
Es ist keine naive Idee. Lula hat sich auf diese Weise bereits in anderen internationalen Spannungssituationen positioniert, und die laufenden Verhandlungen finden unter sehr starren Bedingungen statt. Vielleicht ist es ein wenig zu viel erwartet, dass China ein relevanter Akteur sein wird, da China bereits seine eigenen Probleme zu lösen hat und es viele Spannungen zwischen dem Westen und China gibt. Mögliche Partner könnten eher die Türkei, Indien und Südafrika sein.
Fraglich ist dennoch, wie realistisch ein solcher Vorstoß derzeit überhaupt ist - oder ob der inzwischen 77-jährige Lula da nicht auch etwas zur Selbstüberschätzung neigt.
Lula will auf der Weltbühne eine Rolle spielen
In der brasilianischen Presse fand das Thema erstmal wenig Widerhall. Zuhause hat Lula ohnehin gerade andere Sorgen. Der Angriff der Bolsonaro-Anhänger auf den Regierungssitz muss aufgeklärt und Wege gefunden werden, wie die tiefen ideologischen Gräben im Land überwunden werden können.
Und auch in der Region gärt es, allen voran im Nachbarland Peru, das in einer tiefen politischen Krise steckt. Auch dort täte ein Brückenbauer gut. Fest steht: Lula hat deutlich gemacht, dass er regional und auf der Weltbühne eine Rolle spielen will. Dass man sich in der Ukraine-Frage nicht ganz einig war, heißt nicht, dass Brasilien dabei kein Partner für Deutschland ist.