Asylverfahren Hohe Hürden für russische Kriegsdienstverweigerer
Russischen Kriegsdienstverweigerern soll der Weg zu europäischen Asylverfahren offenstehen, so der politische Konsens. Doch in Deutschland sind die Hürden hoch, wie zwei junge Russen nun erleben.
Maksim ist 20 Jahre alt. Der junge Mann kommt aus Smolensk, seit Anfang Februar ist er in Deutschland. Eigentlich müsste er nach Hause: Er hat gerade die Aufforderung bekommen, sich beim russischen Militär zu melden. Doch er will nicht in den Krieg, er will nicht gegen die Ukrainer kämpfen - "unser Brudervolk" sagt er. Noch hat er ein Visum für Deutschland, wenn es abläuft, muss er Deutschland verlassen.
Auch Mark, ein 22-jähriger Student aus Kaliningrad, will sich nicht an diesem Krieg beteiligen. Er war bei seiner ukrainischen Freundin in Greifswald, als der Krieg ausbrach. Das Paar sieht mit Entsetzen die Bilder aus ihrer zerstörten Heimat. "Es bricht mir das Herz", sagt der junge Mann. In Greifswald engagiert er sich in der Ukraine-Hilfe. Jetzt ist sein Besuchsvisum abgelaufen.
Asylverfahren für Kriegsdienstverweigerer gefordert
Politisch ist es Konsens: Die Bundesregierung soll an russische Soldaten appellieren, die Waffen niederzulegen und darauf hinweisen, dass ihnen der Weg ins deutsche und europäische Asylverfahren offensteht. Das hat der Deutsche Bundestag Ende April beschlossen.
Pro Asyl und Connection e.V., ein internationales Netzwerk von Kriegsdienstverweigerern, warnen dagegen die russischen Soldaten: Es würden Hoffnungen geweckt, die nach jetzigem Stand nicht erfüllt werden könnten. Nach derzeitiger Praxis, so hieß es in einer Erklärung im Mai, würden russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer in den Asylverfahren abgelehnt.
Für russische Soldaten gilt zwar Artikel 9e der Qualifikationsrichtlinie der Europäischen Union: Es wird denen Schutz zugesagt, die sich völkerrechtswidrigen Handlungen oder Kriegen entziehen und deshalb Bestrafung fürchten müssen. Nur stellen die deutschen Behörden sehr hohe Beweisanforderungen.
Ein Soldat, der einen Asylantrag stellt, muss auch nachweisen können, dass er einberufen wurde, er muss Einsatzbefehle vorlegen, die belegen, dass er zu völkerrechtswidrigen Handlungen aufgefordert wurde. Das sind Papiere, die in der Regel niemand vorlegen kann. Zudem wird von den Asylsuchenden verlangt, dass sie bereits in Russland einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt haben.
Erleichterungen für Deserteure
Das Bundesministerium des Innern hat auf dieses Problem reagiert und die Anforderungen für russische Deserteure gesenkt. In einem Bericht an den Innenausschuss des Deutschen Bundestags vom 17. Mai 2022 heißt es: "Bei glaubhaft gemachter Desertion eines russischen Asylantragstellenden kann für den Fall seiner Rückkehr in die Russische Föderation derzeit in der Regel von drohenden Verfolgungshandlungen (§ 3a AsylG) ausgegangen werden."
Schon die Bezeichnung "Krieg" stelle eine aktive Bekundung gegen die Kriegsführung dar und könne als Ausdruck einer oppositionellen Überzeugung gewertet werden - für die in der Russischen Föderation Verfolgung droht. Wer also aus dem Kriegsgebiet desertiert, kann auf eine Anerkennung als politischer Flüchtling hoffen.
"Wehrdienstflüchtlinge waren von den Ausführungen nicht umfasst", so das BMI. Junge Männer wie Maksim und Mark sind damit ausdrücklich ausgeschlossen. Pro Asyl und Connection e.V. fordern: Auch die Verweigerung, am Krieg teilzunehmen und sich dem schon vor einem drohenden Einsatz zu entziehen, muss als Ausdruck einer oppositionellen Überzeugung gewertet werden. Auch Männer und Frauen, die sich durch Flucht dem Kriegsdienst entziehen, müssen in Europa Schutz finden.
Einzelfallprüfungen
Mark fürchtet, bei einer Rückkehr als "Verräter" verhaftet zu werden und im Gefängnis zu landen. Er hat Asyl beantragt. Maksim will sich auf das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern - das gibt es in eingeschränkter Form in Russland - nicht verlassen. Er hat von Fällen gehört, in denen Männer ohne ihre Zustimmung in den Krieg geschickt wurden.
Das bestätigt Rudi Friedrich von Connection: "Die Angst, dass Wehrpflichtige nicht nur erfasst, sondern gegen ihren Willen direkt zum Militär eingezogen werden, ist berechtigt." Auch weite Russland gerade die Rekrutierung aus. "Erst vor wenigen Tagen ist die Altersgrenze für Soldaten aufgehoben worden. Sogar über 40-jährige Männer haben Einberufungsbefehle bekommen."
Von einem Asylantrag hat Maksims Rechtsanwalt allerdings abgeraten. Er rechnet mit einer Ablehnung. Maksim hofft, dass ihm sein Visum verlängert wird.
Das Bundesministerium des Innern verweist auf die Rechtslage: "Das BAMF prüft in jedem Einzelfall, ob die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung, Zuerkennung von internationalem Schutz und/oder von Abschiebungsverboten vorliegen", heißt es in einer Stellungnahme gegenüber dem MDR.
Johannes Vogel, Bundestagsabgeordneter der FDP, wünscht sich mehr Engagement der Bundesregierung: "Jeder russische Soldat, der nicht mehr auf russischer Seite kämpft, ist ein Schritt nach vorne." Er plädiert für Gruppenverfahren, die trotzdem im Einzelfall Missbrauch prüfen. Dafür solle sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene einsetzen.