Repression in Belarus Nur 69 Visa für politisch Verfolgte
Die Bundesrepublik verspricht politisch Verfolgten in Belarus immer wieder Hilfe. Doch seit Beginn der neuen Repressionswelle vergab sie gerade einmal 69 humanitäre Visa. Die Grünen nennen dies "schlicht unverantwortlich".
"Die Menschen dieses leidgeprüften, aber stolzen Landes verdienen unsere Solidarität und Unterstützung", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wenige Tage nach der gefälschten Präsidentschaftswahl in Belarus im August 2020. Seither wiederholt er diesen Satz mit ähnlichen Worten, wenn es um jene geht, die das Regime von Alexander Lukaschenko seither unter Repressionen leiden lässt.
Kanzlerin Angela Merkel kündigte im Februar einen "Aktionsplan Zivilgesellschaft Belarus" an, für den die Bundesregierung nach Angaben des Auswärtigen Amtes bis zu 21 Millionen Euro zur Verfügung stellen will. Zum Plan zählt die Aufnahme "verfolgter Personen und ihrer Kernfamilien" sowie die Behandlung traumatisierter Folteropfer.
38 Visa für politisch Verfolgte
Doch bislang fanden nur wenige politisch Verfolgten aus Belarus Schutz in Deutschland: Zwischen dem 1. August 2020 und dem 31. Juli 2021 vergab des Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat "in 38 Fällen eine Aufnahmezusage nach § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz für in Belarus politisch Verfolgte und - soweit vorhanden - ihre Kernfamilien".
Auf dieser Grundlage habe die deutsche Botschaft in Minsk 69 Visa erteilt. So steht es in einer Antwort der Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Antje Leendertse, vom 2. September auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Manuel Sarrazin.
"Politisch schlicht unverantwortlich"
Sarrazin äußert harsche Kritik daran, dass es gemäß einer Vereinbarung zwischen Innenministerium und Auswärtigem Amt aktuell nur ein Kontingent von 50 humanitären Visa für politische Verfolgte aus Belarus gibt: Dies sei angesichts der anhaltenden Repressionswelle "beschämend". Dass dieses Kontingent bislang nur mit 38 erteilten Visa ausgeschöpft wurde, sei "politisch schlicht unverantwortlich".
"Denn noch immer steigt die Zahl der politischen Gefangenen in Belarus täglich. Noch immer landen Menschen im Gefängnis, weil sie es nicht rechtzeitig außer Landes geschafft haben. Noch immer werden unabhängige Redaktionen und NGOs durchsucht oder geschlossen", beschreibt Sarrazin die Lage in Belarus.
Er erwarte, dass die Bundesregierung die Hilfe für politisch verfolgte Menschen aus Belarus weiter ausbaut. "Die Visa-Beantragung muss deutlich unbürokratischer organisiert und Deutschland, ähnlich wie Litauen und Polen, endlich zum sicheren Hafen für die belarusische Demokratiebewegung werden", teilte Sarrazin tagesschau.de mit.
Reporter ohne Grenzen fordern Hilfe
Auch der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland, Christian Mihr, plädierte für schnelle und unbürokratische Hilfe. "Länder wie Polen und Litauen zeigen, dass das geht: Dort haben seit August 2020 Tausende Menschen aus Belarus Schutz gefunden."
Elisabeth Chigrin von der belarussischen Exilorganisation Razam (Gemeinsam) sagte, dass die Beantragung eines humanitären Visums sehr lange dauere. So lange könnten Gefährdete in der Regel nicht warten. Sie hebt aber hervor, dass es ihrer Organisation in zwei Fällen in Absprache mit der deutschen Botschaft in Minsk gelungen sei, noch rechtzeitig die Ausreise zu organisieren. In einem Fall habe eine Anhörung bevor gestanden, bei der eine Verhaftung zu erwarten gewesen sei. Dank Spenden habe der junge Mann in Deutschland medizinische Behandlung bekommen können. Generell unterstützten die Mitglieder der belarusischen Diaspora Neuankömmlinge sehr dabei, sich schnell einzuleben und mit den Behörden klar zu kommen.
Chigrin erklärte im Gespräch mit tagesschau.de, dass es für die meisten keine Option sei, mit einem Schengen-Visum einzureisen, einen Asylantrag zu stellen und dann nicht arbeiten zu können. Bislang wisse sie auch noch von keinem Fall aus Belarus, bei dem Asyl gewährt worden sei. Sie hofft darauf, dass das Kontingent an humanitären Visa für politisch Verfolgte aufgestockt wird, denn es sei schon absehbar, dass die Zahl von 50 bald erreicht sei.
In Polen seien Dissidenten aus Belarus, die in der Regel sehr gut ausgebildet seien, als Arbeitskräfte begehrt und erhielten entsprechend schnell eine Arbeitserlaubnis, sagte Chigrin.
Polen und Litauen vergaben Tausende Visa
Staatssekretärin Leendertse verweist in ihrer Antwort ebenfalls auf Polen und Litauen als direkte EU-Nachbarstaaten von Belarus. Dorthin wende sich ein großer Teil der Verfolgten in erster Linie. Weiter schreibt sie: "Ihre Unterstützung für Verfolgte aus Belarus und ihre Solidarität mit den EU-Partnern setzt die Bundesregierung fort."
Hinsichtlich der Visa-Vergabe ist die Differenz zwischen der Bundesrepublik und den beiden EU-Staaten erheblich, wie eine Nachfrage des Büros von Sarrazin ergab: So erteilte Polen allein zwischen Dezember 2020 und Mai diesen Jahres 6118 humanitäre Visa. Hinzu kamen 3938 Schengen-Visa und 66.620 nationale Visa.
Litauen mit seinen 2,8 Millionen Einwohnern vergab in diesem Zeitraum 4979 Schengen-Visa und 11.541 nationale Visa. Deutschland kam während dieser Monate lediglich auf 2697 Schengen-Visa und 745 nationale Visa für Menschen aus Belarus.
Nachbarstaaten unter Druck
Belarus versucht Polen, Litauen und auch Lettland wegen der Unterstützung für die Opposition, die auch historisch begründet ist, massiv unter Druck zu setzen. So registrieren die drei Länder seit Wochen an ihren Grenzen zu Belarus eine hohe Zahl illegaler Grenzübertritte von Menschen aus Asien und Afrika. Die Regierung Litauens wirft Lukaschenko vor, sie nach Belarus zu lotsen und an die Grenze zu schicken. Nun werden dort Grenzanlagen errichtet.
Die Möglichkeiten, per Flug das Land zu verlassen, wurde Ende Mai erheblich eingeschränkt. Die Airline Belavia erhielt Landeverbot in der EU, nachdem Lukaschenko eine Ryanair-Maschine mit dem Blogger Roman Protassewitsch an Bord zur Landung in Belarus hatte zwingen lassen. Die deutsche Lufthansa ist eine von wenigen Fluggesellschaften aus Westeuropa, die derzeit Minsk-Flüge anbietet.