Nackt in Zellen eingesperrt? Neue Foltervorwürfe in der JVA Augsburg-Gablingen
Gefangene erheben neue Vorwürfe gegen die JVA Augsburg-Gablingen. Nach Recherchen von Kontraste und BR steht die JVA zudem unter Verdacht, Missstände vor einer Kontrolle der Anti-Folterkommission vertuscht zu haben.
Es ist der womöglich größte bayerische Justizskandal der Nachkriegszeit: Häftlinge sollen in der JVA Augsburg-Gablingen nackt in Spezial-Zellen eingesperrt worden sein, teils wochenlang - und ohne ausreichende rechtliche Grundlage. Trotz eines detaillierten Brandbriefs einer Ärztin an das Justizministerium dauerte es rund ein Jahr, bis die Behörden umfassend eingriffen.
Nun erheben aktuelle Gefangene im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste und dem BR neue Vorwürfe. Erstmals gelang es dabei einem Reporter-Team, Insassen im Gefängnis zu interviewen. Entgegen dem ausdrücklichen Wunsch der Gefangenen ließ das Justizministerium allerdings keine Filmaufnahmen zu, so dass nur ein Audiointerview mit den beiden Untersuchungshäftlingen möglich war.
"Mit der Faust in den Bauch geschlagen"
Der Insasse Andreas Hartinger sagt, er sei bereits zu Beginn seiner Untersuchungshaft ausschließlich mit einer Papierunterhose bekleidet in einen "dunklen, fensterlosen" Raum hineingeworfen worden, habe zehn Tage auch nicht duschen dürfen. Dabei handelt es sich um einen "besonders gesicherten Haftraum" (BgH), der ausschließlich für Gefangene vorgesehen ist, die vorübergehend für sich oder andere eine Gefahr darstellen. Hartinger sagte überdies aus, er sei von Bediensteten "mit der Faust in den Bauch geschlagen worden". Auf Anfrage zu diesem Vorfall wollte sich die JVA nicht äußern.
Auch der Untersuchungshäftling Angelo Jeremias beklagt seine Haftbedingungen. Er sei plötzlich von sechs Beamten gezwungen worden, seine Zelle zu verlassen. Auf die Frage, wo er hinsolle, habe ihm ein Beamter geantwortet: "In die Hölle des Südens." Er sei schließlich gegen seinen Willen gepackt und in eine Arrestzelle gebracht worden. Nach seinen Angaben war er dort 17 Tage am Stück eingesperrt. Die JVA wollte sich auch zu diesem Sachverhalt auf Anfrage nicht äußern. Auch Jeremias' Anwalt Helmut Mörtl erklärte im Interview mit Kontraste, von der JVA vergeblich eine Auskunft angefordert zu haben, wie man seinen Mandanten untergebracht habe: "Ich habe es so noch nicht erlebt."
Haben JVA-Bedienstete Hafträume vor Kontrolle manipuliert?
Unterdessen steht die JVA nach Recherchen von Kontraste und BR auch unter Verdacht, Missstände bewusst vertuscht zu haben - und zwar gegenüber einem unabhängigen Kontrollteam der "Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter". Die Nationale Stelle inspiziert regelmäßig Haftorte in Deutschland, um die Einhaltung menschenrechtlicher Standards zu überprüfen. Sie erhält staatliche Zuwendungen, arbeitet aber unabhängig.
Am 9. August hatte die Stelle ein Inspektionsteam nach Gablingen entsandt - wie üblich unangemeldet. Doch ließ man das Inspektionsteam außergewöhnlich lange an der Pforte warten, berichtet Rainer Dopp, Vorsitzender der Nationalen Stelle, im Interview mit Kontraste und BR: "Das fand das Team sehr eigenartig." Wenige Tage später ging in Bayerns Justizministerium die anonyme Anzeige von JVA-Bediensteten aus Gablingen ein. Sie schilderten, dass man die Wartezeit der Inspekteure genutzt habe, die besonders gesicherten Hafträume vor der Kontrolle mit Unterwäsche, Matratzen und Kissen auszustatten. Dinge, die den Häftlingen dort sonst vorenthalten würden. Der Vorgang beschäftigt mittlerweile auch die Augsburger Staatsanwaltschaft.
Rüge aus dem Justizministerium ging an Anti-Folter-Stelle
Nach den Recherchen von Kontraste und BR hat sich überdies auch das bayerische Justizministerium selbst bei der Frage der Kontrollen durch die Nationale Stelle eingeschaltet. So hat der Leiter der Abteilung Justizvollzug im bayerischen Justizministerium die unabhängige "Nationale Stelle zur Verhütung von Folter" schriftlich für eine unangemeldete Kontrolle am 9. August dieses Jahres in der JVA Gablingen gerügt. In einem Schreiben vom 28. August äußerte er sein "Erstaunen" und sein "Befremden" über die Tatsache, dass das Inspektionsteam unangemeldet Zutritt zur JVA verlangt habe. Dies entspreche nicht der "üblichen Praxis".
Tatsächlich kollidiert das Schreiben des Justizministeriums mit geltendem internationalem Recht. Die UN-Richtlinie zum "Nationalen Präventions-Mechanismus" von Folter sieht ausdrücklich das Recht auf "unangekündigte Besuche zu jeder Zeit an jedem Ort des Freiheitsentzuges" vor. Rainer Dopp, Vorsitzender der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter, sagte gegenüber Kontraste und BR, er sei "reichlich irritiert" über das Schreiben des Abteilungsleiters gewesen, "da es zu einem Zeitpunkt kam, als das Ministerium längst über einen anonymen Hinweis zu möglichen Täuschungsversuchen der JVA vor der Inspektion informiert war".
Justizministerium distanziert sich von Abteilungsleiter
Das bayerische Justizministerium distanzierte sich in seiner Antwort an Kontraste und den BR von dem Schreiben seines Abteilungsleiters: "Diese individuelle Äußerung entspricht nicht der Haltung von Staatsminister Georg Eisenreich." Rainer Dopp sagte dazu, es gehe hier nicht um Haltung, sondern schlicht um die Einhaltung internationalen Rechts. Man warte überdies noch auf angeforderte Unterlagen der JVA nach der Kontrolle.
Der Regensburger Strafrechtler Professor Henning Müller kritisiert unterdessen, dass die gegenwärtigen Verfahren weiterhin von der Staatsanwaltschaft Augsburg geführt werden. Diese hatte im Juni nach neunmonatiger Prüfung der Vorwürfe kein Verfahren aufgenommen und keine Anhaltspunkte für Straftaten in der JVA Gablingen gesehen. Dabei hatte unter anderem eine ehemalige JVA-Ärztin in einer Mail an das Ministerium am 18. Oktober sehr ausführlich und konkret die Missstände benannt.
Mögliche "Befangenheit" der Staatsanwaltschaft
Dass die Staatsanwaltschaft den Fall zu den Akten legen wollte, sei "klar ein Fehler" gewesen, sagt der Strafrechtler Müller gegenüber Kontraste und BR. Daher sei es "sinnvoll, eine andere Staatsanwaltschaft damit zu beauftragen". Denn bei den jetzigen Ermittlungen gehe es auch um Vergehen, die die Staatsanwaltschaft zuvor falsch eingeschätzt habe und daher bestehe der Verdacht der "Befangenheit."
Auf Anfrage verweist das Justizministerium auf die zuständige Generalstaatsanwaltschaft, die die Dienstaufsicht über die Staatsanwaltschaften führe. Strafrechtler Müller entgegnet, dass Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sehr wohl anweisen könne, eine andere Staatsanwaltschaft zu beauftragen.
Kürzlich machten die Nürnberger Nachrichten einen weiteren Fall in einer anderen bayerischen JVA öffentlich: Die Staatsanwaltschaft in Nürnberg ermittelt nach drei Strafanzeigen wegen des Vorwurfs von Misshandlungen durch Bedienstete in der JVA Nürnberg. Es soll unter anderem um Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung gehen. Gablingen also kein Einzelfall? Bayerns Justizminister Eisenreich wird sich an seinem Versprechen auf rückhaltlose Aufklärung messen lassen müssen.
Die Kontraste-Recherchen sind auch in der ARD-Mediathek abrufbar.