IS-Terrorverfahren in Jena Spuren führen zu Hintermännern im Iran
In einem Gerichtsprozess gegen zwei mutmaßliche IS-Terroristen in Jena führen Spuren in den Iran. Nach MDR-Recherchen sollen die Angeklagten von dort mit einem Anschlagsplan auf das schwedische Parlament betraut worden sein.
Ibrahim G. war in Sorge. Die Polizei könne auf ihn aufmerksam werden, schrieb er seinem Kontaktmann per Chatnachricht auf Telegram, vor allem wegen seines muslimischen Aussehens. Sein Gesprächspartner mit dem Decknamen "Talha" beruhigte ihn. Er könne doch seinen Bart rasieren, schrieb "Talha" zurück. Das wäre jedenfalls erlaubt, wenn es der Sicherheit oder auch dem Erfolg einer solchen Operation diene.
Diese Operation, über die sich die beiden austauschten, sollte im Herzen der schwedische Hauptstadt Stockholm stattfinden. Ibrahim G. und sein mutmaßlicher Komplize Ramin N. planten offenbar einen Anschlag im Namen der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) auf das schwedische Parlament. Auslöser dafür sollen mehrere Koran-Verbrennungen in Schweden gewesen sein. Das geht aus internen Unterlagen hervor, die der MDR einsehen konnte.
Spuren in den Iran
Nach allem, was das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Thüringer Amt für Verfassungsschutz (AfV), das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft zusammengetragen haben, soll vor allem Ibrahim G. für die Anschlagsvorbereitungen im Kontakt mit mutmaßlich hochrangigen Funktionären des IS gestanden haben. Nach MDR-Recherchen führen die Spuren in den Iran und zu einem IS-Ableger, der Gruppe "Islamischer Staat Provinz Khorasan" (ISPK), die vor allem aus Zentralasien heraus operiert.
Die deutschen Geheimdienste wurden offenbar durch einen Tipp aus dem Ausland auf die beiden mutmaßlichen IS-Anhänger aufmerksam. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) wurde eingeschaltet. Dabei soll es um Informationen über den Kontakt vor allem von G. zum IS und der Ablegergruppe ISPK gegangen sein. Mit diesen Hinweisen hefteten sich die Verfassungsschützer wochenlang an die Fersen der beiden Männer aus Gera.
Von der Polizei kontrolliert
Anfang September 2023 verfolgte ein Überwachungsteam des BfV Ibrahim G. und Ramin N. zu einem Schwarzmarkt kurz hinter der deutsch-tschechischen Grenze. Nach Erkenntnissen der Ermittler sollen dort illegal Waffen gehandelt werden.
Auf der Rückfahrt passierte dann etwas, womit auch die Verfassungsschützer offenbar nicht gerechnet hatten. Die beiden Verdächtigen wurden von der Polizei angehalten. Bei der Kontrolle fanden die Beamten einen Schlagring im Auto und beschlagnahmten die Handys der beiden. Beim Auslesen der Telefone entdeckten die Ermittler die ausführliche Kommunikation mit den mutmaßlichen Kontaktmännern beim IS, zu den Anschlagsplänen und die Spuren in den Iran. Damit wurde aus einer geheimdienstlichen Überwachung ein polizeiliches Ermittlungsverfahren.
In Gera radikalisiert
Ibrahim G. und Ramin N. stammen aus Afghanistan und sind 2015 beziehungsweise 2016 in die Bundesrepublik eingereist. Beide lebten bis zu ihrer Festnahme Mitte März dieses Jahres in Gera. Ibrahim G. soll sich dort radikalisiert und ab Frühjahr 2023 Kontakt zur Terrororganisation IS aufgenommen haben.
Nach MDR-Recherchen entstand über den Messengerdienst Telegram der Kontakt zu einem "Akhi". Die Ermittler gehen davon aus, dass dieser als IS-Aktivist von Iran aus operiert. Mit ihm soll G. zunächst das Sammeln von Spenden verabredet haben. Das Geld sollte in das nordsyrische Flüchtlingslager Al Hol geschickt werden, um dort internierte weibliche IS-Anhängerinnen zu unterstützen.
Geldtransfer über iranische Bank
Nach MDR-Recherchen gelang es G. offenbar, mehr als 2.000 Euro zu organisieren und einem in Deutschland lebenden Mittelsmann zu übergeben. Dieser soll das Geld über eine iranische Bank an "Akhi" transferiert haben.
Doch damit endete der Kontakt zwischen den beiden nicht. Zuerst schrieb G. an "Akhi", dass er und sein Freund Ramin planten, im Ausland für den IS kämpfen zu wollen. Dafür wollten beide nach Nigeria ausreisen. Dazu kam es aber nicht, weil es ihnen offenbar nicht gelang, einen Kontakt zu den dortigen IS-Zellen herzustellen.
Stattdessen vermittelte "Akhi" G. wiederum an weitere IS-Kontaktleute, darunter auch den erwähnten "Talha". Nach MDR-Recherchen gehen Terroranalysten des FBI davon aus, dass es sich bei "Talha" um Muhammad A. handelt, ein offenbar hochrangiges Mitglied des afghanischen IS-Ablegers "Islamischer Staat - Provinz Khorasan" (ISPK).
Suche nach Waffen
Zuvor soll Ibrahim G. einen Treue-Eid auf die Organisation abgelegt haben, um dann mit seinem mutmaßlichen Komplizen Ramin und mit Hilfe von "Talha" an dem Anschlagsplan für Schweden zu arbeiten. Besonders "Talha" legte offenbar Wert darauf, dass zuerst die Waffen besorgt werden sollten und dann das eigentliche Ziel in Stockholm ausgekundschaftet wird.
Doch das gestaltete sich schwieriger als gedacht. So soll Ramin N. Kontakt zu einem Albaner gehabt haben, der eine Pistole angeboten haben soll. Aber offenbar gab es Zweifel, ob die Waffe funktionieren würde.
Fahrt nach Tschechien überwacht
In der Folge sollen beide dann ihre Reise auf den Schwarzmarkt in Nähe der tschechischen Stadt Karlsbad geplant haben. Die Verfassungsschützer notierten, dass beide vor der Fahrt auf die Autobahn noch eine Moschee in Gera besuchten, die seit längerem überwacht wird. Was sie da konkret gemacht haben, ist bisher unklar. Die Fahrt nach Tschechien war für die beiden Verdächtigen dann kein Erfolg: Sie fanden keine Waffen.
Nach der Polizeikontrolle und den Funden auf den Handys der beiden schaltete sich offenbar das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft ein. Auch nach der Fahrt auf den tschechischen Schwarzmarkt wurden Ibrahim G. und Ramin N. weiter überwacht. Am 19. März dieses Jahres klickten die Handschellen. Gegen beide beginnt am 15. November am Oberlandesgericht Jena der Prozess unter anderem wegen Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Ihre Anwälte wollten sich auf Anfrage nicht äußern.