Kritische Infrastruktur Neue Drohnenüberflüge alarmieren Behörden
Seit Ende November werden offenbar verdächtige Drohnenflüge über Industrieanlagen sowie über dem US-Stützpunkt Ramstein festgestellt. Die Behörden ermitteln, sind bislang aber weitgehend machtlos.
Im August sind die Drohnen zuerst in Norddeutschland aufgetaucht. Über dem Industriepark ChemCoast Park Brunsbüttel etwa, sie überflogen ein abgeschaltetes Atomkraftwerk, ein LNG-Terminal, auch Schleusen und den Nordostseekanal. Die Fluggeräte waren schnell, teilweise mehr als 100 Stundenkilometer. Es handelte sich offensichtlich nicht um die üblichen Fluggeräte von Hobbypiloten. Vielmehr sollen es laut Sicherheitsexperten militärische Drohnen gewesen sein, darunter Starrflügler mit festen Flügeln, die sich gut für schnellere Geschwindigkeiten und größere Gebiete eignen.
Seit Ende November nun gibt es nach Recherchen von WDR und NDR erneut außergewöhnliche Drohnensichtungen, dieses Mal auch über Anlagen der Petrochemie in Süddeutschland und über dem Militärflugplatz Ramstein in Rheinland-Pfalz, dem Hauptquartier der US-Luftwaffe in Europa.
Mehrfach sollen in den vergangenen Wochen Drohnen über dem Gelände des Unternehmens BASF in Ludwigshafen gesichtet worden sein. Wie in Brunsbüttel im Sommer finden die Überflüge der Recherche zufolge auch hier bei Dunkelheit statt. Die Drohnen sollen ebenfalls deutlich größer sein als handelsübliche Fluggeräte von Hobbypiloten, die ansonsten immer wieder festgestellt werden. Der Konzern hat auf eine kurzfristige Anfrage dazu nicht geantwortet.
Offene Fragen
Das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz hat den Informationen zufolge in der vergangenen Woche eine Besondere Aufbauorganisation (BAO) ins Leben gerufen, um die Hintergründe der Drohnenüberflüge aufzuklären. Ähnlich aber wie in Norddeutschland soll es den Behörden bislang nicht gelungen sein, festzustellen, wer diese verdächtigen Drohnen steuert und von wo sie gestartet werden.
"Zunächst war von den Überflügen das Werksgelände der BASF in Ludwigshafen betroffen. In der vergangenen Woche folgten dann Drohnenüberflüge über die amerikanische Airbase in Ramstein", bestätigte ein Sprecher der LKA Rheinland-Pfalz. "Die Drohnen sind größer als die üblichen kommerziellen Hobby-Drohnen und konnten mit Beginn der Dämmerung festgestellt werden."
Im Fall der Sichtungen in Brunsbüttel wurde die schleswig-holsteinische Polizei von den Bundesbehörden unterstützt. Bundespolizei und Bundeskriminalamt (BKA) rückten mit Drohnenabwehr-Technik an, auch aus anderen Bundesländern wurden Gerätschaften beschafft - allerdings ohne Erfolg. Es konnte keine Drohne zum Absturz gebracht werden. Manche Sichtungen stellten sich zudem als Verwechslungen heraus, etwa mit Flugzeugen oder Satelliten.
Laufende Ermittlungen
"In zwei Fällen konnte der Verdacht eines unerlaubten Fluges verifiziert werden. Es handelte sich jeweils um private Nutzer von Drohnentechnik. Der Verdacht von Spionage konnte ausgeschlossen werden", sagte eine Sprecherin der Polizei Itzehoe auf Nachfrage.
In beiden Fällen seien Ordnungswidrigkeitsanzeigen gestellt worden. "Festgestellt wurden jedoch auch Fälle im einstelligen Bereich, bei denen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass Drohnen unbekannter Bauart und Herkunft im Bereich des Industrieparks geflogen sind. Die Ermittlungen hierzu sind noch nicht abgeschlossen." Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg bestätigte auf Nachfrage ebenfalls, dass es zuletzt Hinweise auf entsprechende Drohnenüberflüge gegeben habe.
Militärische Aufklärungsdrohnen aus Russland?
Die Ermittler vermuten der Recherche zufolge, dass es sich bei einigen Drohnen, die in Brunsbüttel über Wochen immer wieder gesichtet worden sind, um militärische Aufklärungsdrohnen aus Russland handeln könnte. Eine These der Behörden lautet: Die Drohnen könnten von russischen Schiffen in der Nord- oder Ostsee gestartet worden sein, möglicherweise von Schiffen, die der GUGI-Gruppe zugeordnet werden, einer Spezialeinheit der russischen Marine, die für Spionage zuständig ist.
Die Sichtungen in Deutschland scheinen keine Einzelfälle zu sein. Der Recherche zufolge verknüpfen die Ermittler die aktuellen Vorfälle bei den Industrieanlagen im Südwesten, am US-Stützpunkt Ramstein und in Brunsbüttel mit Meldungen, die gerade in den USA für Aufregung sorgen. Ein Grund für die mögliche Verbindung: Die beobachteten Objekte sollen sich ähneln.
FBI ermittelt wegen Drohnen in den USA
Seit dieser Woche ermittelt in den USA das FBI, weil bereits seit mehreren Wochen Drohnen an der amerikanischen Ostküste, vor allem im Bundesstaat New Jersey, beobachtet werden - auch dort unter anderem bei Militäreinrichtungen. In Berichten von Augenzeugen ist auch dort die Rede von Modellen, die größer seien als jene, die von Hobbypiloten genutzt würden. In Sozialen Netzwerken sind bereits mehrere Videos veröffentlicht worden.
Von US-Regierungsseite hieß es zuletzt, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass ausländische Schiffe vor der Küste mit den Drohnen in Verbindungen stünden. Man habe auch keine Beweise, dass die gemeldeten Drohnensichtungen eine Bedrohung der nationalen oder öffentlichen Sicherheit darstellten. Eine Prüfung von Bildmaterial habe ergeben, dass es sich bei vielen Sichtungen wohl um normale Flugzeuge gehandelt habe. Das FBI gehe den Fällen zusammen mit dem US-Heimatschutzministerium und örtlichen Behörden nach.
Ende November wurden auch in Großbritannien über dortigen Basen der US-Luftwaffe ähnliche Vorfälle bemerkt. Das teilten die US-Luftstreitkräfte in Europa mit. Großbritannien ist mit eigenen Soldaten an der Aufklärung der Sichtungen beteiligt. Das britische Verteidigungsministerium erklärte, man nehme Bedrohungen ernst und unterstütze weiterhin die Reaktion der US-Luftwaffe.
Passende Abwehrtechnik fehlt oftmals
Die Vorfälle rücken das Thema Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) erneut in den Fokus. Sie führen die eklatanten Schwächen in Sachen Drohnenabwehr vor Augen, die es von Behördenseite offenbar weiterhin gibt. Den Sicherheitsbehörden scheint oftmals keine effiziente Technik zur Verfügung zu stehen, um bestimmte Drohnen abwehren oder auch nur aufspüren zu können.
Hinzu kommt die Frage der Zuständigkeiten: Die Bundeswehr beispielsweise, deren Luftwaffe grundsätzlich gegen Drohnen eingesetzt werden könnte, darf im Inland nur zum Schutz der eigenen militärischen Einrichtungen aktiv werden. Nicht aber etwa, um zivile Anlagen wie Chemieunternehmen zu schützen. Dort ist die Drohnenabwehr weiterhin Polizeisache.
Seit dem Start des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gibt es auch über Truppenübungsplätzen und Einrichtungen der Bundeswehr vermehrt Sichtungen von Drohnen. Eine Recherche von WDR und NDR hatte dafür erstmals Zahlen geliefert: Demnach stieg die Zahl der Drohnensichtungen bei der Bundeswehr von 172 im Jahr 2022 auf 446 im Jahr 2023. Die Sicherheitsbehörden vermuten, dass Russland die Geräte zum Beispiel dafür nutzt, um die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland auszuspionieren.