Ein Demonstrantin hält während einer Kundgebung in der Wiesbadener Innenstadt ein Plakat mit der Aufschrift "Solidarität mit den Betroffenen des NSU 2.0".
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Rechtsextreme Drohmails Die lange Jagd nach "NSU 2.0"

Stand: 05.03.2021 18:00 Uhr

Seit Jahren werden Drohmails mit rassistischem und rechtsextremen Inhalt vom anonymen Absender "NSU 2.0" verschickt. Warum konnte der Täter bislang nicht gefasst werden? 

Zwischenzeitlich war es still geworden. Über mehrere Wochen hinweg, im Spätsommer und Herbst vergangenen Jahres, tauchte plötzlich keine Drohmail von "NSU 2.0" mehr auf. Die Ermittler rätselten: Was war los? Ist der Schreiber vielleicht im Sommerurlaub - oder gar an Corona erkrankt?

Zuvor waren zahlreiche E-Mails verschickt worden, alle mit ähnlichem Inhalt: Voller Hass und Hetze, mit rassistischen Beleidigungen und Morddrohungen. Oft enthielten sie persönliche Daten wie Wohnanschriften. Die Adressaten waren vor allem Frauen, darunter linke Politikerinnen, Künstlerinnen, Aktivistinnen und Journalistinnen.

Rund 100 solcher E-Mails, Faxe und SMS hat der unbekannte Verfasser "NSU 2.0" in den vergangenen Jahren verschickt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main führt dazu ein Verfahren, im hessischen Landeskriminalamt (LKA) gibt es eine eigene Ermittlungseinheit, die AG 211, zudem wurde ein Sondermittler eingesetzt. Noch immer arbeiten rund 20 Beamte an dem Fall, sie gingen zuletzt einer Vielzahl von Spuren und Hinweisen nach. 

Die hessischen Ermittler haben all ihre Spuren und Ansätze in einem Schaubild zusammengetragen, um nicht den Überblick zu verlieren. Darauf zu sehen sind viele bunte Pfeile, Namen und Bilder. In der Mitte der gesuchte Täter, illustriert durch einen schwarzen Totenkopf auf gelbem Grund. Es wurden linguistische Gutachten erstellt und Profiler beauftragt, viele Hypothesen erstellt und wieder verworfen. Der Drohmail-Schreiber nutzt eine anonyme E-Mail-Adresse beim russischen Anbieter Yandex. Um mehr darüber zu erfahren, wurden Rechtshilfeersuchen an ausländische Behörden gestellt.

Neue Serie an Drohmails

Bislang allerdings blieb der Durchbruch bei den Ermittlungen aus. Zum Unmut der Betroffenen, die sich oftmals im Stich gelassen fühlen und von denen einige Unverständnis darüber äußern, dass noch immer kein Täter gefasst ist. Die Drohmail-Serie geht indes weiter. 

Nach einer kurzen Pause tauchten Anfang Dezember vergangenen Jahres neue Drohschreiben auf, die die Ermittler dem Absender zuordnen. Ende Januar dann erhielt auch die Walter-Lübcke-Gesamtschule im hessischen Wolfhagen, benannt nach dem Kasseler Regierungspräsidenten, der 2019 von einem Rechtsextremisten ermordet worden war, eine E-Mail von "NSU 2.0". Es war nur einen Tag, nachdem Lübckes Mörder vom Frankfurter Oberlandesgericht zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Es folgten weitere E-Mails an Gerichte in Norddeutschland, an die "Jüdische Allgemeine" und zuletzt am vergangenen Wochenende wieder an Politikerinnen.

Steckt ein Netzwerk aus Beamten dahinter?

Die Kritik an den Behörden ist vor allem von Seiten der Betroffenen mittlerweile groß. Einige Drohmails und Faxe enthielten private Daten, Meldeadressen oder Geburtsdaten von Familienmitgliedern. Der Schreiber könnte über polizeiliche Systeme an die Informationen gekommen sein - steckt möglicherweise ein rechtsextremer Polizist hinter der Drohserie? Oder vielleicht sogar ein ganzes Netzwerk von Beamten?

Es gab tatsächlich verdächtige Abfragen über Polizeicomputer, die in zeitlicher Nähe zu den Drohschreiben getätigt wurden - etwa in einem Polizeipräsidium in Wiesbaden und in einer Frankfurter Wache. Mehrere Polizisten, die dort arbeiteten, gehörten einer WhatsApp-Chatgruppe an, in der rechtsextreme und rassistische Inhalte ausgetauscht wurden. Die Männer und Frauen wurden nach Bekanntwerden vom Dienst suspendiert.

Beamter ergebnislos observiert

Einen der Polizisten, die in der Chatgruppe aktiv waren, verdächtigen die Ermittler zwischenzeitlich, hinter den "NSU 2.0"-E-Mails zu stecken. Der Verdacht war so konkret, dass sie die Telefone des Beamten abhörten und ihn heimlich überwachten. Dabei stellten sie allerdings fest, dass er wohl zumindest für eines der Drohschreiben ein Alibi besitzt.

Zu dem Zeitpunkt, als eine der E-Mails verschickt wurde, stand der Polizist gerade an einem Döner-Imbiss und wartete auf sein Essen. Ein Observationsteam des LKA beobachtete ihn, die Ermittler sahen, dass er kein Handy in seiner Hand hielt. Sie gehen deshalb davon aus, dass er die E-Mail höchstwahrscheinlich nicht verschickt hat. Schließlich wurden auch seine Frankfurter Wohnung und sein Wohnhaus in Mittelhessen durchsucht. Auch das brachte keine Beweise gegen den Beamten.

Nur ein Trittbrettfahrer?

Eine andere Spur führte dann im vergangenen Jahr nach Bayern. In Landshut durchsuchten die Ermittler Ende Juli 2020 die Wohnung eines pensionierten Polizisten und seiner Ehefrau. Der Mann war immer wieder durch Leserbriefe an Lokalzeitungen aufgefallen, hatte auch selbst Beiträge auf einschlägigen, rechtspopulistischen Seiten im Netz verfasst. Die Ermittler verdächtigen ihn, im vergangenen Sommer sechs Drohmails verfasst zu haben. 

Es soll sich jedoch um einen Trittbrettfahrer und nicht um den eigentlichen "NSU 2.0"-Schreiber handeln. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main in diesem Fall sind inzwischen abgeschlossen, bald soll Anklage erhoben werden. Der Ex-Polizist hatte die Vorwürfe zurückgewiesen.

Die Jagd geht weiter

Doch auch die Generalstaatsanwaltschaft in München möchte den Landshuter und seine Ehefrau wohl vor Gericht stellen, wegen Verstößen gegen das Waffengesetz. Bei der Wohnungsdurchsuchung sollen Waffen sichergestellt worden, für die keine Erlaubnis vorlagen, darunter eine Pumpgun.

Die Jagd nach "NSU 2.0" geht indes weiter. Noch immer setzen die Ermittler darauf, dass der oder die Täter - es heißt, es gebe keine wirklich harten Belege, dass die Drohungen mehr als eine Person geschrieben habe - irgendwann einen entscheidenden Fehler macht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. Februar 2021 um 19:23 Uhr.