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Rückruf von Atemgeräten Zehntausende schließen sich Sammelklage gegen Philips an

Stand: 15.11.2024 06:00 Uhr

Innerhalb weniger Wochen haben sich in Deutschland etwa 20.000 Menschen einer europäischen Sammelklage gegen Philips angeschlossen, wie NDR-Recherchen ergaben. Sie hoffen nach einem Rückruf von Atemgeräten auf Schmerzensgeld.

Von Christian Baars und Brid Roesner, NDR

Es war der bislang wohl größte Rückruf eines Medizinproduktes. Im Sommer 2021 hatte die Firma Philips Respironics über Probleme mit ihren Atemgeräten informiert. Ein zur Schalldämmung verbauter Schaumstoff konnte sich auflösen und von den Patienten eingeatmet werden. Zudem wurden in einigen Geräten möglicherweise gesundheitsgefährdende Chemikalien entdeckt.

Mehr als fünf Millionen Patienten weltweit waren betroffen, davon etwa 1,2 Millionen in Europa. Sie können nun auf eine Entschädigung hoffen. In Italien hat eine Verbraucherschutz-Organisation zusammen mit einem Verband mehrerer Anwaltskanzleien im Juli diesen Jahres die erste europaweite Sammelklage eingereicht.

Krankenkassen informierten Betroffene

Monatelang wussten aber offenbar nur wenige Betroffene davon. In den vergangenen Wochen schrieben jedoch nach NDR-Recherchen mehrere Krankenkassen Zehntausende Versicherte an, die ein solches Gerät verwendet hatten, um sie über die Klagemöglichkeit zu informieren. "Sollte die Sammelklage zu einem Erfolg führen, wird Ihnen das Schmerzensgeld ausgezahlt", heißt es etwa in einem Schreiben einer AOK. Man könne sich kostenlos dafür registrieren lassen. Selbst wenn die Klage verloren gehe, entstünden keine Kosten. Die italienische Kanzlei, die die Klage federführend bearbeitet, erhält allerdings im Erfolgsfall ein Viertel des Schmerzensgelds.

Daraufhin ließen sich bereits etwa 20.000 Patienten aus Deutschland für die Klage registrieren. Das bestätigte die deutsche Kanzlei Hemmerich & Rohde auf Anfrage, die auch zu dem Verband der Anwaltskanzleien gehört. Sie hat in Zusammenarbeit mit den Kassen eine Website zur Registrierung von Klagewilligen online gestellt.

Einfachere Klagen in Italien

Auch aus anderen Ländern hätten sich bereits mehrere Tausend Menschen für die Sammelklage registrieren lassen, erklärte die italienische Kanzlei auf Anfrage - etwa aus Italien, Belgien, Spanien, Frankreich, Bulgarien, Dänemark und Schweden.

In Italien ist es für betroffene Patienten leichter als vor deutschen Gerichten, Schmerzensgeld zu bekommen. Denn dort reicht es laut den Anwälten aus, dass Patienten "fehlerhafte" Gerät genutzt haben. In Deutschland müssten diese dagegen nachweisen, dass sie konkret durch dieses Gerät geschädigt wurden, was im Einzelfall in der Regel nicht möglich ist. Auf diesen Nachweis weist auch die betroffene Firma Philips auf Anfrage hin. 

Philips geht gerichtlich gegen Krankenkassen vor

Das Informationsschreiben ist ein ungewöhnlicher Schritt der Krankenkassen. Für Philips gehen sie damit wohl zu weit. Der Konzern geht nach NDR-Recherchen juristisch dagegen vor und hat dafür eine große US-Kanzlei beauftragt. Philips reichte demnach beim Sozialgericht München Anträge auf "Erlass einer einstweiligen Anordnung" ein. Den Kassen soll damit offenbar untersagt werden, weiterhin solche Informationsschreiben zu verschicken. 

Auf NDR-Nachfrage will sich Philips dazu nicht äußern. Man kommentiere keine laufenden rechtlichen Verfahren, heißt es. Grundsätzlich weist das Unternehmen daraufhin, dass die bisherigen Testergebnisse zu dem Schluss kämen, "dass die Verwendung der Schlaftherapiegeräte voraussichtlich keine nennenswerten Gesundheitsschäden bei den Patienten verursacht hat."

Frist bis Ende des Jahres

Ein Vertreter der AOK Bayern, die die Patienteninformation maßgeblich vorangetrieben hat, zeigte sich von dem juristischen Vorgehen von Philips überrascht. "Wir als Krankenkasse sind es gewohnt, dass wir uns bei Problemen länger mit Herstellern von Medizinprodukten auseinandersetzen müssen, aber hier will man wohl verhindern, dass wir unsere Versicherten umfassend beraten", sagt Dominik Schirmer, Leiter der Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen der AOK Bayern.

Ein Sprecher der BARMER sagte: "Wir erachten es als unsere Aufgabe, uns für die Patientenrechte und die Patientensicherheit unserer Versicherten einzusetzen. Sie werden so in die Lage versetzt, selbst zu entscheiden, ob sie mögliche Schadensersatzansprüche geltend machen wollen."

Sollte Philips juristisch Erfolg haben, könnte es für Betroffene schwierig werden, Schmerzensgeldansprüche geltend zu machen. Im Juni 2021 hatte Philips den Rückruf der Atemgeräte gestartet. Drei Jahre später - am 31.12. dieses Jahres - endet die Verjährungsfrist und damit die Möglichkeit von betroffenen Patienten, noch ein Schmerzensgeld zu bekommen. Bis dahin wird auch eine Entscheidung vom Sozialgericht München über die einstweilige Anordnung erwartet.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 15. November 2024 um 06:44 Uhr.