ThyssenKrupp Marine Systems in Kiel
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Neue Dokumente U-Boot-Geschäft mit Israel wirft Fragen auf

Stand: 24.06.2024 16:26 Uhr

Unterlagen einer Nichtregierungsorganisation geben Einblicke in umstrittene deutsch-israelische U-Boot-Geschäfte. WDR, NDR und SZ konnten Zeugenaussagen einsehen, die auch Fragen an Israels Premier Netanyahu aufwerfen.

Es geht unter anderem um hochmoderne U-Boote, gefertigt in den Kieler Hallen des ThyssenKrupp-Konzerns. Für viele Milliarden Euro hat die israelische Regierung die Kriegsschiffe gekauft, mindestens dreistellige Millionensummen hat der Bund aus Steuermitteln beigesteuert - Israel bei seiner Verteidigung zu unterstützen, galt allen Bundesregierungen immer auch als historische Pflicht.

In Israel sorgten die U-Boot-Geschäfte in den vergangenen Jahren fast für eine Staatsaffäre. Der Verdacht der Korruption steht im Raum. Hat ein Vertriebspartner von ThyssenKrupp Amtsträger in Israel bestochen, damit diese sich für den Kauf immer weiterer Boote einsetzten? Was wusste Israels Premier Benjamin Netanyahu? Schließlich sind einige der Akteure des Skandals in seinem direkten Umfeld zu finden.

Glaubt man israelischen Medien, stehen die ersten Anklagen gegen den Thyssen-Vertriebspartner Miki Ganor und acht mutmaßliche Mittäter offenbar kurz bevor. Netanyahu, der am Dienstag wiedergewählt werden will, muss sich in dieser Sache dagegen keinen Ermittlungen stellen. Die Staatsanwaltschaft hat den Premier in der Affäre nur als Zeugen geführt - zum Unverständnis vieler Kritiker in Israel.

Neue Aussagen hochrangiger Zeugen

Derzeit prüft der Oberste Gerichtshof in Jerusalem, ob neue Untersuchungen eingeleitet werden müssen. Dafür liegen ihm unter anderem mehr als ein Dutzend Aussagen hochrangiger Zeugen vor. Darunter die des früheren Premierministers Ehud Barak, des Ex-Verteidigungsministers Mosche Jaalon, der ehemaligen Chefs des Geheimdienstes Mossad und von Generälen und Generalstabschefs. Eingesammelt und dem Gerichtshof vorgelegt hat sie die israelische Nichtregierungsorganisation "Movement for Quality Government in Israel". WDR, NDR und "Süddeutsche Zeitung" (SZ) konnten sie einsehen.

Die Schilderungen - abgegeben unter der Androhung von Gefängnisstrafe bei Falschaussage - werfen ein neues Licht auf den seit Jahren währenden Skandal.

Die NGO, deren Mitglieder durchs ganze Land getourt sind, um an den Deals beteiligte Entscheidungsträger zu befragen, besteht seit 30 Jahren. Kritiker sehen sie im Lager der politischen Linken. Sie selbst pocht auf ihre "Unabhängigkeit und Überparteilichkeit" - und wurde für ihre Arbeit in der Vergangenheit auch schon von Staatspräsident Reuven Rivlin gelobt, der der rechten Likud-Partei entstammt.

Vorwürfe gegen ThyssenKrupp-Vertriebspartner

Im Zentrum der Korruptionsvorwürfe soll Michael "Miki" Ganor - einst Vertriebspartner von ThyssenKrupp in Israel stehen. Zwischenzeitlich soll er sich mit den Staatsanwälten auf eine Kronzeugenregelung eingelassen haben, sein Geständnis jedoch wiederrufen haben. Sein Anwalt erklärte auf Anfrage, Ganors Geständnis sei nur unter illegitimen Druck zustande gekommen, Ganor habe bedeutende Argumente zu seiner Verteidigung vorgebracht und sei zuversichtlich, dass seine Unschuld anerkannt werde.

Zu Ganors Geschäftsbeziehung mit ThyssenKrupp soll es 2009 unter höchst dubiosen Umständen gekommen sein. Das zumindest erklärt Ganors Vorgänger an Eides statt. Dem damaligen Vorstand der ThyssenKrupp Marine Systems, Walter Freitag, sei seitens israelischer Verantwortlicher bei einem geschäftlichen Israel-Besuch ein Ultimatum gestellt worden, berichtet Ganors Vorgänger. Entweder werde Miki Ganor eingestellt - oder es gebe keine weiteren Aufträge: "Freitag bat mich, nach oben in sein Hotelzimmer zu gehen und dort auf ihn zu warten. Weniger als zehn Minuten später war Freitag zurück ins Zimmer. Bei seiner Rückkehr ins Hotelzimmer erzählte er mir, […] dass die Reederei keine weiteren Bestellungen bekäme, wenn Ganor nicht zu ihrem Vertriebsleiter gemacht werde."

Walter Freitag ließ Fragen hierzu unbeantwortet. ThyssenKrupp erklärte, die interne Compliance-Abteilung habe Ganor damals überprüft und hätte keine Beanstandungen vorgetragen. Zudem habe eine externe Kanzlei Ganors Vertrag untersucht - ebenfalls ohne Auffälligkeiten. Die genauen Hintergründe des Personalwechsels, räumte der Essener Konzern ein, hätten sich jedoch nicht mehr klären lassen.

Blick auf die Firmenzentrale von Thyssenkrupp in Essen

ThyssenKrupp sieht keine Fehler im damaligen Vorgehen.

Milliardenaufträge für ThyssenKrupp mit Ganors Hilfe

Fest steht: Mithilfe Ganors erhielt ThyssenKrupp mehrere U-Boot-Aufträge und Käufe weiterer Kriegsschiffe. Milliardenaufträge. Ganor pflegte nicht nur gute Kontakte ins israelische Militär. Er hatte auch einen bestens vernetzten Rechtsberater: David Schimron. Der Anwalt ist nicht nur der persönliche Rechtsberater des Premierministers Netanyahu - er ist auch dessen Cousin.

Schimron erklärte auf Anfrage, Ganor bei Geschäften mit ThyssenKrupp beraten zu haben, nicht aber bei fraglichen U-Boot- und Korvetten-Deals. Niemals habe er mit Netanyahu über Ganor oder ThyssenKrupp-Geschäfte gesprochen. Im Übrigen habe die israelische Polizei seine Rolle in der U-Boot-Affäre untersucht und keine Vorwürfe erhoben.

Die israelische Staatsanwaltschaft hingegen erklärte auf Anfrage, Schimron sei einer von neun Verdächtigen, gegen die Anklagen erwägt würden. Die Entscheidungen, ob - und wenn ja, gegen wen - Anklage erhoben wird, seien noch nicht veröffentlicht worden.

Normalerweise wäre die Beteiligung des Verwandten eines wichtigen Politikers bei Milliardengeschäften ein Fall für die Compliance-Abteilung. ThyssenKrupp erklärt, man könne heute nicht mehr sicher sagen, ob oder ab wann die Verwandtschaft zwischen Netanyahu und Schimron bekannt gewesen sei. Schimron sei als Anwalt von Ganor aufgetreten, deswegen habe man ihn keiner Compliance-Prüfung unterzogen. Schimron sagt, er sei von ThyssenKrupp nie auf seine Verwandtschaft zu Netanyahu angesprochen worden.

Mehr bestellt als nötig?

Die Beteiligung seines Cousins ist aus Sicht von Netanyahus Kritikern nicht der einzige Grund, warum die Rolle des Premiers in Sachen ThyssenKrupp ganz genau untersucht werden müsse. Ein weiterer Vorwurf von ihnen lautet, Netanyahu habe ein sechstes U-Boot in Deutschland bestellt, obwohl Experten fünf für ausreichend erachteten. "Der periphere Nutzen eines sechsten U-Boots" würde "die enormen Kosten nicht angemessen rechtfertigen", schreibt Netanyahus damaliger Vizepremierminister Mosche Jaalon in seiner eidesstattlichen Aussage. Jaalon spricht in seiner eidesstattlichen Aussage auch von einem "aggressiven, zum Teil völlig unlogischen Vorgehen zugunsten geschäftlicher Interessen von ThyssenKrupp in Israel".

Ein Sprecher Netanyahus betonte, die Anschuldigungen gegen den Premierminister seien von der israelischen Polizei, dem Staatsanwalt und dem staatlichen Rechnungsprüfer gründlich untersucht worden und hätten sich als völlig unbegründet erwiesen. "Der Ministerpräsident hat sich nie mit Herrn Ganor getroffen und weder direkt noch indirekt mit ihm gesprochen. Alle Entscheidungen des Premierministers basierten auf professionellen Erwägungen, die darauf abzielten, Israels nationale Sicherheit zu stärken."

Während die U-Boot- und Korvetten-Geschäfte in Israel eine Staatsaffäre ausgelöst haben, ist es in Deutschland ruhig. Die zuständige Staatsanwaltschaft Bochum sieht keine Anhaltspunkte für Straftaten bei Mitarbeitern von ThyssenKrupp. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren, das die Behörde lange Zeit gegen "unbekannt" führte, haben die Strafverfolger unlängst eingestellt. Es gebe keine Anhaltspunkte für die Beteiligung deutscher Staatsbürger oder Taten auf deutschem Grund.