Gaskonzern Verstaatlichung - inklusive Sicherheitsrisiko?
Hat sich der Bund durch die Verstaatlichung der einstigen Gazprom Germania russische Spitzel ins Haus geholt? Nach Recherchen des WDR soll es im vergangenen Jahr entsprechende Hinweise zu mehreren Mitarbeitern gegeben haben.
Nur wenige Wochen nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine trat Robert Habeck bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz in Berlin vor die Kameras. Der Bundeswirtschaftsminister schätzt die freie Rede. Nun aber zog er seine Brille auf, schaute sehr ernst und las vom Blatt ab. "Ich möchte Sie heute über eine rechtliche Anordnung informieren", so der Grünen-Politiker Anfang April vergangenen Jahres. Der Staat werde die Gazprom Germania, das deutsche Tochterunternehmen von Russlands Gas-Giganten, unter die treuhänderische Verwaltung der Bundesnetzagentur stellen.
Angesichts der drohenden Energiekrise und neuer Sanktionen des Kreml-Regimes gegen Konzerne in Europa sei der Schritt "zwingend notwendig", erklärte Habeck. Das Unternehmen betreibe hierzulande kritische Infrastruktur und sei "für die Gasversorgung in Deutschland von überragender Bedeutung." Im November vergangenen Jahres dann erfolgte die Verstaatlichung der Gazprom Germania. Kosten für die Steuerzahler: ein zweistelliger Milliardenbetrag.
Für die Beschäftigten hatte die staatliche Übernahme zunächst keine Auswirkungen, die bestehenden Arbeitsverträge der rund 1500 Mitarbeitenden hatten weiter Bestand. Gefragt nach Sicherheitsüberprüfungen bei den Mitarbeitern dieses für die deutsche Energieversorgung zentralen Unternehmens erklärt die Firma: Allgemeine Sicherheitsüberprüfungen der Mitarbeiter hätten nicht stattgefunden, da diese arbeitsrechtlich nicht zulässig seien.
Verbindung zu russischen Geheimdiensten?
Und so wurden vom Bund offenbar auch Mitarbeiter übernommen, die in deutschen Sicherheitsbehörden als potenzielles Risiko gesehen werden. Nach Recherchen des WDR standen bereits im vergangenen Jahr mehrere Beschäftigte der verstaatlichten Nachfolgegesellschaft im Verdacht, mit russischen Geheimdiensten in Verbindung zu stehen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) soll sich entsprechende Personen dann genauer angesehen haben - auch, weil die Beschäftigten offenbar über Zugang zu vertraulich eingestuften Dokumenten zur deutschen Energieversorgung verfügten.
Insbesondere eine Person, die im Unternehmen unter anderem für Sicherheit und Datenschutz zuständig gewesen sein soll, soll nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden im Verdacht stehen, über beste Kontakte zum Kreml zu verfügen.
Eine Sprecherin des Unternehmens, das nach der Verstaatlichung in "Sefe - Securing Energy for Europe" umbenannt wurde, erklärte auf Anfrage, offiziell habe es zu keinem Zeitpunkt Informationen zu möglichen geheimdienstlichen Aktivitäten zu oben genannter Person gegeben. Konkret zu der Person befragt, erklärt das Unternehmen: "Inoffiziellen Hinweisen ist Sefe nachgegangen und hat geeignete Maßnahmen zum Schutz sensibler Informationen ergriffen. Sefe steht zu inoffiziellen Hinweisen in engem Austausch mit den zuständigen Sicherheitsbehörden. Konkrete Anzeichen für mögliche Aktivitäten liegen Sefe nicht vor und wurden auch von den Behörden nicht bestätigt."
Man sei sich der Bedeutung der Spionageabwehr für das Unternehmen - und damit für die Energieversorgung Deutschlands und Europas - bewusst und habe seit der Einrichtung der Treuhand auf diesem Gebiet Maßnahmen ergriffen. Beispielsweise seien die Büroräume der Geschäftsleitung abhörsicher gemacht worden.
Gas als Waffe
Welche Schlüsselrolle die einstige Deutschlandtochter des Gazprom-Konzerns für die deutsche Energieversorgung spielt, wurde der breiten Öffentlichkeit wohl erst durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bewusst. Am 24. Februar 2022, mitten im Winter, ordnete Wladimir Putin den Angriff auf die Ukraine an. Schnell wurde klar, dass der russische Diktator auch Gas als Waffe einsetzen würde.
Deutschland drohte die größtmögliche Energiekrise. Zum Glück, so konnte man meinen, besaß Deutschland den größten Gasspeicher Europas in Rehden. In Hohlräumen, zwei Kilometer unter der Erdoberfläche, können hier knapp vier Milliarden Kubikmeter Erdgas lagern. Deutschlands Notreserve für Krisenzeiten. Doch die Füllstände standen bei einem Prozent. Die Notreserve war leer.
Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass die Gasspeicher ausgerechnet kurz vor Kriegsbeginn geleert wurden. Über ihre Tochterfirma Astoria war ausgerechnet Gazprom Germania die Besitzerin des Gasspeichers. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte einen entsprechenden Deal mit der BASF-Tochter Wintershall 2015 zur Chefsache gemacht und durchgewunken. Ein Jahr nach der russischen Annexion der Krim übernahm Gazprom Germania den begehrten Gasspeicher in Niedersachsen, im Gegenzug wurde die Wintershall an einem sibirischen Gasfeld beteiligt.
Über eine weitere Tochter, Wingas, war das Unternehmen zudem eine große Nummer im Gashandel, versorgte auch zahlreiche Stadtwerke, regionale Versorger und Industriebetriebe mit russischem Gas. Gazprom hat sich mit seinem Deutschlandableger tief in den deutschen Energiemarkt eingekauft. Kurz nach der Wende gegründet, mauserte sich Gazprom Germania zu einer internationalen Unternehmensgruppe, aktiv in 16 Ländern, mit 50 Unternehmen und derzeit 1500 Mitarbeitern. Wenige Wochen nach Kriegsbeginn bereitete der Energiekonzern der Regierung dann große Sorge.
Schließlich verstaatlichte der Bund das Schlüsselunternehmen. Die größtmögliche Energiekrise konnte unter anderem mit diesem Schritt abgewendet werden. Deutschlands Wohnzimmer blieben im Winter warm, die Unternehmen produzierten weiter. Fraglich ist allerdings, ob dem Bund in Gänze bewusst war, welche Risiken mit der Übernahme der Gazprom Germania offenbar einhergingen.
Offenbar erste Warnungen im vergangenen Jahr
So soll es im vergangenen Jahr bereits aus dem Umfeld des Unternehmens erste Warnungen an deutsche Sicherheitsbehörden gegeben haben. Dabei soll der Verdacht geäußert worden sein, dass einige Mitarbeiter wohl enge Verbindungen zu russischen Geheimdiensten pflegen.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Beschäftigte des Unternehmens mit Geheimdiensten in Verbindung gebracht wurden: So sorgten 2008 der damalige Finanzchef sowie der Personalleiter für Schlagzeilen, weil beide früher für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR tätig gewesen waren.
Die Bundesnetzagentur, die im vergangenen Jahr zunächst für die treuhänderische Verwaltung von Gazprom Germania zuständig war, teilte auf Anfrage mit, ihr seien zumindest keine "konkreten Hinweise" auf mögliche Geheimdienstverflechtungen bekannt gewesen. Dennoch habe man "unmittelbar nach Beginn der Treuhandverwaltung einen Generalbevollmächtigten bestellt, der mit einem externen Beraterteam alle zentralen Geschäftsfunktionen übernommen hat", so ein Sprecher der Behörde. "Kritische Informationen und wesentliche Entscheidungen wurden nicht mehr durch die bisherigen Vertreter des Unternehmens verantwortet."