Sicherheitsbehörden warnen Warum die IS-Terrorgefahr steigt
Deutsche Sicherheitsbehörden warnen vor der wachsenden Anschlagsgefahr durch den afghanischen Ableger der Terrorgruppe "Islamischer Staat". Die Gruppierung baue ihr Netzwerk derzeit mit Hochdruck aus.
Vor einigen Jahren noch wäre eine solche Meldung wohl kaum denkbar gewesen: Die Taliban sollen Anfang April in Afghanistan einen islamistischen Terroristen getötet haben. Einen Kommandeur der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS). Und zwar den mutmaßlichen Drahtzieher jenes Bombenanschlags am Kabuler Flughafen, bei dem im August 2021 mehr als 150 Menschen, darunter 13 US-Soldaten, ermordet worden waren.
Den Tod des IS-Terroristen verkündete an diesem Mittwoch John Kirby, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA. Und es wirkte fast so, als sei die US-Regierung den Taliban, den neuen afghanischen Machthabern, ausgesprochen dankbar für diese erfolgreiche "Anti-Terror-Operation" - und tatsächlich ist das auch ein bisschen so. Denn die Taliban sind zwar auch geprägt von einer radikalislamischen Ideologie, jedoch verfeindet mit den Dschihadisten des IS, die beiden Gruppen bekämpfen sich erbittert.
Auch in Deutschland Sorge vor IS-Terror
Nach Ansicht westlicher Sicherheitsbehörden geht von den IS-Terroristen allerdings die wesentlich größere Gefahr aus. Auch in Deutschland zeigen sich Verfassungsschutz und Polizeibehörden derzeit sehr besorgt über das wachsende Risiko islamistischer Anschläge hierzulande. In Syrien und im Irak konnte die Terrorgruppe IS weitestgehend zerschlagen oder zumindest erheblich zurückgedrängt werden. Der Ableger des Netzwerkes in Afghanistan hingegen, die sogenannte IS-Provinz "Khorasan" (ISPK), versetzt die deutsche Terrorabwehr hingegen in Alarmbereitschaft.
"Das Erstarken dieser Gruppe in Afghanistan verstärkt die Gefährdungslage in Deutschland", warnte Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, vor wenigen Wochen. Und auch der Befehlshaber des US-Central Command, General Michael Kurilla, prognostizierte kürzlich bei einer Anhörung vor dem US-Senat, dass der afghanische IS-Ableger wohl in weniger als einem halben Jahr dazu in der Lage sein werde, westliche Ziele außerhalb Afghanistans anzugreifen.
ISPK-Netzwerk soll Anschläge im Westen planen
Es sei definitiv mehr als das übliche "Grundrauschen" in der islamistische Szene, das aktuell für eine erhöhte Alarmbereitschaft sorge, sagen Vertreter der hiesigen Sicherheitsbehörden. Nach Erkenntnissen westlicher Nachrichtendienste soll der afghanische IS-Ableger ISPK in den vergangenen Monaten ein Netzwerk aus Unterstützern und Helfern aufgebaut haben, um Terroranschläge im Ausland, allen voran in Europa, verüben zu können.
Die Gruppierung arbeite mit Hochdruck daran größere Attentate im Westen durchführen zu können, warnen deutsche Verfassungsschützer. Dafür sollen einerseits radikalisierte Islamisten in Europa gezielt über Chatgruppen und verschlüsselte Kommunikationswege angesprochen, rekrutiert und etwa in der Sprengstoffherstellung und im Bombenbau angeleitet werden. Auch in Deutschland gab es zuletzt solche Fälle.
Im September 2022 wurden in Iserlohn und in Bremerhaven zwei junge Islamisten festgenommen, die über Handychats mit IS-Mitgliedern in Afghanistan kommuniziert haben sollen. Darunter ein ranghoher IS-Kommandeur, ein gebürtiger Tadschike, der zuletzt in Deutschland gelebt hatte und dann nach Afghanistan ausgereist war.
Gründung einer deutschen IS-Zelle geplant?
Die festgenommenen Jugendlichen hätten laut Generalbundesanwalt über Chatgruppen weitere Islamisten rekrutiert, zu Anschlägen aufgerufen und islamistische Propaganda und Bombenbauanleitungen verbreitet. So soll der 17 Jahre alte Terrorverdächtige aus Bremerhaven von seinem IS-Kontaktmann in Afghanistan dazu angeleitet worden sein, eine IS-Zelle in Deutschland zu gründen und als deren "Emir" zu agieren. Zeitweise soll er eine deutschsprachige Telegram-Gruppe mit mehr als 30 Mitgliedern geleitet haben.
Der 16 Jahre alte Tatverdächtige aus Iserlohn wiederum soll einen Sprengstoffanschlag geplant haben, soll dann von diesem Vorhaben aber abgerückt sein und soll stattdessen erwogen haben, einen Messerangriff auf Polizisten zu verüben. Die beiden minderjährigen Islamisten wurden inzwischen vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg angeklagt.
In den Sicherheitsbehörden steigt die Sorge vor Anschlägen durch die IS-Terroristen jedoch auch deshalb, weil es Erkenntnisse geben soll, wonach potenzielle Terrorzellen nach Europa geschleust werden sollen. Teilweise soll dies schon geschehen sein. Der ISPK soll, so heißt es in Sicherheitskreisen, die jüngsten Flüchtlingsbewegungen schon ausgenutzt haben, um anschlagswillige Attentäter einzuschleusen.
Mehr als ein Dutzend Anschlagspläne bekannt
Aus jüngst bekannt gewordenen Papieren des US-Verteidigungsministeriums geht hervor, dass die US-Geheimdienste über Informationen verfügen sollen, wonach die Terrorplaner von ISPK die sogenannten "externen Operationen", also Anschläge im Ausland, aktiv vorantreiben. Mehr als ein Dutzend solcher Planungen seien bislang bekannt geworden, heißt es in einem der Dokumente vom Februar.
Die US-amerikanischen Dienste sollen demnach davon erfahren haben, dass der ISPK offenbar plante, ein Selbstmordattentat während der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar zu verüben. Weitere Anschlagsplanungen sollen auf diplomatische Einrichtungen der Niederlande und Schweden in Russland, Tadschikistan und Aserbaidschan abgezielt haben, und zwar als Reaktion auf Koran-Verbrennungsaktionen von Rechtsextremisten in den beiden Ländern.
Auch Drohnenanschläge erwogen
Zudem sollen ISPK-Mitglieder intensiv die Möglichkeiten von Bombenanschlägen mithilfe von Sprengstoff bestückten Drohnen diskutiert haben. Dazu sollen die Islamisten bereits den Kontakt zu einer Person in der Ukraine gesucht haben, wo zivile Drohnen seit einiger Zeit mit großem Erfolg zu bewaffneten Flugobjekten umgebaut und eingesetzt werden.
Auch soll das Terrornetzwerk im Sommer vergangenen Jahres einen Sympathisanten in Großbritannien kontaktiert haben, der behauptete, Fähigkeiten im Bereich der Luftfahrttechnik und Chemie zu besitzen. Die IS-Kontaktleute sollen den Islamisten daraufhin bestärkt haben, sein Wissen per Onlinekommunikation zur Verfügung zu stellen, statt die riskante Reise in den Irak oder nach Afghanistan zu unternehmen.
Jugendliche sollten Attentate in Deutschland verüben
Im Fall der beiden minderjährigen Islamisten aus Bremerhaven und Iserlohn sollen die ISPK-Instrukteure ebenfalls von Reisen in das Konfliktgebiet abgeraten haben. Stattdessen sollen die beiden Jugendlichen dazu aufgerufen worden sein, in Deutschland Attentate gegen "Ungläubige" zu verüben.
Ob die Anklage gegen die Islamisten in Hamburg zugelassen wird, steht indes noch nicht fest. Sie befinden sich weiterhin in Untersuchungshaft - die Jugendlichen sollen auch im Gefängnis nicht von ihrer dschihadistischen Einstellung abgerückt sein. Der Junge aus Bremerhaven soll etwa eine IS-Flagge gemalt und ein islamistisches Kampflied verfasst haben. Der Tatverdächtige aus Iserlohn wiederum soll bei Besuchen in der Haft weiterhin radikalislamisches Gedankengut geäußert haben.