Präsidentenwahl in Argentinien Seine Wähler werden die größten Verlierer sein
Der Wahlsieg Mileis in Argentinien ist ein Drama für eines der progressivsten Länder in der Region, meint Anne Herrberg. Besonders schmerzhaft werden das gerade auch diejenigen spüren, die ihn gewählt haben.
Die Wut hat gesiegt. Der Frust über ein Land in Dauerkrise, mit 140 Prozent Inflation, in dem die Schlangen vor den Suppenküchen immer länger werden. Gesiegt hat auch der Zorn über die regierenden Peronisten, die keine politischen Antworten mehr liefern konnten, während Bilder von Politikern auf Luxusjachten die Runde machten. Diese Wut ist verständlich.
Javier Milei, der Außenseiter, der gern mit Kettensäge auftritt, und auf die elitäre und korrupte Politiker-Kaste schimpft, ist da zum Ventil geworden - vor allem für die jüngere Generation, die gar nichts anderes kennt als Krise. Es ist verständlich und gleichzeitig auch ein riesiges Drama in einem Land, das immer auch stolz auf seine sozialen Errungenschaften war.
Eine neue Vertretung für die globale Rechte
Mit dem historischen Erdrutschsieg des libertären Ökonomen Milei bekommt auch die globale extreme Rechte eine neue Bastion auf dem amerikanischen Kontinent. Donald Trump und Jair Bolsonaro gehörten zu den ersten Gratulanten. Sie haben vorgemacht, wie man eine Demokratie langsam zersetzt. Das könnte jetzt auch Argentinien bevorstehen, ausgerechnet einem der politisch progressivsten Länder der gesamten Region.
Die Aufarbeitung der Militärdiktatur gilt international als vorbildlich. Jetzt wird als Mileis Vizepräsidentin eine Frau ins Amt kommen, die die Diktatur verharmlost. Victoria Villarruel ist bestens vernetzt mit der internationalen Rechten und soll nun die starke Frau für Sicherheit und Verteidigung werden. Doch nicht nur das ist gefährlich.
Kaum Erfahrung, kaum Personal
Ungewiss ist, wie der Anti-Establishment-Politiker Milei überhaupt regieren will: Der studierte Ökonom hat selbst kaum politische Erfahrung, kaum qualifiziertes Personal, um Schlüsselpositionen zu besetzen. Mehrheiten im Kongress hat er nicht. Auch nicht mit der Unterstützung eines Teils der unterlegenen rechtskonservativen Opposition um Ex-Präsident Mauricio Macri, die wahlentscheidend gewesen sein dürfte. Macri wird so wohl auch versuchen, sein Comeback durch die Hintertür zu planen. Die Kaste lässt grüßen.
Doch ob man Milei an die Leine nehmen kann, ist unklar. Experten fürchten um die Regierbarkeit des Landes. Denn Mileis radikalen Versprechen - allen voran die Abschaffung der Landeswährung Peso und die Einführung des US-Dollar - hält kaum ein Ökonom für umsetzbar.
Schließlich dürfte der angekündigte massiven Sozialabbau zu großem Widerstand auf der Straße führen - nicht nur der oppositionellen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Die Einschnitte werden gerade auch einen Großteil der Wähler Mileis schmerzhaft treffen. Wähler, die - das haben wir selbst erlebt - gar nicht daran glauben, dass Milei seine radikale Agenda eins zu eins umsetzt.
Mileis Wähler werden die größten Verlierer sein
Und wie reagiert der libertäre Populist, wenn seine Popularität auf einmal schwindet? Der 53-Jährige, der in seiner Kindheit von den Eltern schwer misshandelt wurde, gilt als emotional höchst labil. Manche halten ihn schlicht für verrückt. Andere zumindest für erratisch und unberechenbar. Milei selbst erklärte mehrmals in Interviews, dass er sich in biblischer Mission wähne. Seine wichtigsten Berater sind seine Schwester Karina und seine Hunde - riesige Doggen, die er klonen ließ.
Bis zum Amtsantritt Mileis sind es noch fast drei Wochen - in der instabilen Situation Argentiniens eine gefühlte Ewigkeit. Die abgewählte Regierung hat so gut wie keine Handhabe mehr. Befürchtet wird, dass der Wert des Peso erneut eine drastische Talfahrt hinlegt. Argentinien stehen turbulente Zeiten bevor. Aber genau dafür haben die Wähler gestimmt. Denn was man Milei nicht vorwerfen kann, ist, dass er aus seinen Absichten ein Geheimnis gemacht hätte. Die große Tragik: Genau die, die die größte Hoffnung in ihn gesetzt haben, werden die größten Verlierer sein.