Johnsons Rückzug Die Party ist vorbei
Der Rückzug Johnsons ist ein Sieg der Demokratie über die verfallende politische Kultur in Großbritannien. Und es zeigt: Auch ein Premierminister darf das Parlament nicht belügen.
Johnsons politische Karriere endet, wie sie begonnen hat: mit dreisten Lügen. In seinem Abschiedsstatement, das eher dem hitzigen Wutanfall eines Fünfjährigen gleicht als dem eines ehemaligen Premierministers, erklärt Johnson seinen Abgang als Folge einer "Hexenjagd", zu der Brexit-Gegner, Pro-Europäer und andere Mitglieder des "Establishments" gerufen hätten.
Nichts davon ist wahr. Schuld an seinem Fall ist einzig und allein er selbst. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, der nach monatelangen Beratungen nun ganz offenbar zu dem Ergebnis kam, Johnson habe das Parlament belogen, besteht mehrheitlich aus Tories. Einer davon, Bernard Jenkin, ist sogar ein Erz-Brexiteer. Und selbst wenn Johnson in seinem Statement eine mögliche Rückkehr in die Politik offen lässt, die Wahrheit sieht anders aus. Auch wenn er ganz sicher weiter hinter der politischen Bühne herumspuken und gelegentlich die ein oder andere Kulisse anzünden dürfte - die Party ist vorbei für ihn. Und das ist gut so.
Der letzte Versuch, die Schlagzeilen zu bestimmen
Das sogenannte Privileges Committee, der parlamentarische Untersuchungsausschuss, dessen Bericht in den nächsten Tagen veröffentlicht werden dürfte, hat eines der wesentlichen Prinzipien der parlamentarischen Demokratie wiederhergestellt, dass das Parlament auch von seinem Premierminister nicht belogen werden darf.
Noch ist der genaue Text nicht bekannt, aber aus Johnsons Statement geht klar hervor, dass der Bericht ihn nicht als minderschweren Fall davonkommen lässt. Die Folge eines solchen Befunds wäre ein mehr als zehntägiger Ausschluss aus dem Unterhaus gewesen, mit anschließender Nachwahl, die er ziemlich sicher verloren hätte. Johnsons Rücktritt ist damit nicht mehr als der letzte verzweifelte Versuch, noch einmal die Schlagzeilen zu bestimmen.
Zunehmend verfallende politische Kultur
Zumindest in Großbritannien dürfte ihm das in den nächsten Tagen gelingen. Das sollte aber nicht davon ablenken, was das "Privileges Committee" hier erreicht hat: Einen Sieg der Demokratie über die zunehmend verfallende politische Kultur in Großbritannien. Auch ein Premierminister darf das Parlament nicht belügen, die faktische Wahrheit bleibt damit ein hohes Gut und das entscheidende Fundament, um Politiker in einer Demokratie zur Verantwortung zu ziehen.
Die außergewöhnlich starke Stellung der Exekutive im britischen Parlamentssystem ist in der Vergangenheit zurecht oft kritisiert worden. Ein Premierminister mit einer deutlichen Mehrheit kann auf der Insel mehr oder weniger tun und lassen, was er will und im Zweifelsfall sogar die parlamentarischen Grundregeln missachten.
Auf die Spitze getrieben
Johnson trieb das während seiner Zeit als Premier immer wieder auf die Spitze, der extremste Fall war hier 2019 die widerrechtliche Aufhebung des Parlaments mitten in der Legislaturperiode, weil Johnson dessen Brexit-kritische Haltung nicht gefiel. Aber es gibt eben doch Checks and Balances im britischen System. Wochen nach der Aufhebung des Parlaments setzte der Supreme Court es im Herbst 2019 wieder ein. Die jetzige Entscheidung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist in dieser Hinsicht ein ähnlich wichtiges Ereignis für die politische Kultur in Großbritannien.
Es verwundert wenig, dass Johnson in seinem Statement diesen Ausschuss aufgebracht als lächerlich beschimpft und denunziert, als einen undemokratischen "kangaroo court". Er verlässt die politische Bühne damit genau so, wie er gekommen ist: mit viel Lärm und voller Verachtung für die demokratischen Institutionen Großbritanniens, die er eine Weile für sich hat benutzen, aber eben doch nicht restlos zerstören können.