Schild am Eingang des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe
kommentar

BGH-Urteil zu Corona-Maßnahmen Richter hat seine Macht missbraucht

Stand: 20.11.2024 21:02 Uhr

Bewusst hat sich ein Familienrichter in Weimar während der Pandemie einen Fall ausgesucht - um Corona-Maßnahmen aussetzen zu können. Damit hat er das Vertrauen in Richter erschüttert. Das Urteil ist ein wichtiges Signal.

Ein Kommentar von Philip Raillon, ARD-Rechtsredaktion

Der Weimarer Familienrichter ist ein Straftäter. Das hat der Bundesgerichtshof heute entschieden. Der heute 61-Jährige hatte 2021 die Corona-Maßnahmen in zwei Schulen per einstweiliger Anordnung ausgesetzt. Diese Anordnungen waren rechtswidrig und hatten nur kurze Zeit Bestand. Das Oberlandesgericht Jena hatte sie schnell aufgehoben. Das hieß: Maßnahmen wie Masken- und Testpflicht galten auch in den beiden Schulen wieder.

Trotzdem ist der Familienrichter zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Die hat der BGH heute bestätigt. Er ist aber nicht verurteilt worden, weil er eine juristisch falsche Entscheidung traf, sondern wegen der Art und Weise wie er agierte. Das ist ein feiner, aber sehr wichtiger Unterschied.

In Deutschland gilt die richterliche Unabhängigkeit. Jede Richterin und jeder Richter ist nur an Recht und Gesetz gebunden - ihnen redet niemand rein. Sie dürfen grundsätzlich auch juristisch falsch entscheiden, ohne persönliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Das sichert ihre Unabhängigkeit. Wichtig ist aber: Sie müssen neutral sein, einen Fall nur nach Recht und Gesetz bewerten. Und zwar nur den Fall, der zufällig bei ihnen landet - nach der vorher festgelegten Geschäftsverteilung. Und nach einem gesetzlich festgelegten Verfahren.

Familienrichter missachtete wichtige Grundsätze

Der Familienrichter in Weimar missachtete das. Er organisierte mit, dass der Fall bei ihm landete. Und er wusste schon vorher, wie er diesen dann entscheiden würde. So hatte er etwa vorab entsprechende Gutachter angefragt. Als er den Fall dann auf seinem Tisch hatte, missachtete er Verfahrensvorschriften. Er gab etwa anderen Schülern der betroffenen Schulen keine Gelegenheit zur Stellungnahme. Kurzum: Er war voreingenommen. Wenn ein Richter das ist, muss er das anzeigen. Es reicht sogar schon aus, dass er besorgt ist, befangen zu sein. Auch das tat der Familienrichter nicht. Dadurch insgesamt beugte er das Recht und machte sich strafbar.

Viele der Unterstützerinnen und Unterstützer des Familienrichters feiern ihn als Helden. Der Bundesgerichtshof hat heute nicht inhaltlich über seine damalige Anordnung entschieden. Ein Held ist er aber für mich trotzdem nicht. Der Familienrichter hatte in seiner Funktion staatliche Macht übertragen bekommen. Die hat er missbraucht. Helden tun so etwas nicht. Denn in richterliches Handeln muss man vertrauen können. Das geht nur, wenn Richter so gut es geht nach Recht und Gesetz handeln. Sie dürfen sich nicht von anderen Motiven leiten lassen. Wer als Richter gesellschaftliches Vertrauen und Amt missbraucht, muss mit den Konsequenzen leben.

Ein Teil der Gesellschaft hat das Grundvertrauen verloren

Viele Unterstützerinnen und Unterstützer des Familienrichters dürften das anders sehen. Sie haben Vertrauen spätestens seit der Corona-Pandemie aber ohnehin verloren. Das unterscheidet sie von einem Großteil der Gesellschaft und auch von mir. Ich habe ein Grundvertrauen in staatliches Handeln und in unsere Gesellschaft. Ich hatte das und habe es auch weiter - ungebrochen. Urteile wie das heutige, stärken dieses Vertrauen.

Und trotzdem sollte sich unsere Gesellschaft immer wieder hinterfragen, ob sie alles richtig macht. Die juristische Aufarbeitung der die Corona-Pandemie geht langsam zu Ende: größere Verfahren stehen absehbar nicht mehr an. Gesellschaftlich und politisch allerdings geschieht da noch immer zu wenig.

Welche Lehren können wir aus der Pandemie ziehen? Was lief gut, was hätte besser laufen können oder auch müssen? Das gehört vernünftig aufgearbeitet - sachlich, ohne Schuldzuweisungen und ohne Schaum vor dem Mund. Einen Konsens wird man nicht bei allen Aspekten erzielen können. Aber wir können, so hoffe ich, daraus lernen. Von so einer Reflexion erhoffe ich mir noch etwas: die Chance, Vertrauen von einem Teil der Gesellschaft zurückzugewinnen. Die Aufgabe ist groß. Es ist umso wichtiger, dass wir sie bald angehen und nicht hinter den anderen großen Aufgaben und Herausforderungen dieser Zeit verdrängen.

Redaktioneller Hinweis

Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder und nicht die der Redaktion.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 20. November 2024 um 19:08 Uhr.