Wagner-Söldner in Belarus Kalkulierbare Gefahr für Kiew, Sorge für die EU
Dass Wagner-Söldner Unterschlupf in Belarus finden, bleibt für Kiew ein kalkulierbares Risiko, kommentiert Peter Sawicki - auch, weil die Grenzregion im Nordwesten hochgerüstet ist. Der EU könnte jedoch ein Unruheherd drohen.
Schreckensszenarien tauchen im russischen Krieg gegen die Ukraine immer wieder auf. Manche können einem angst und bange werden lassen - auf andere blickt man nüchterner. Die Möglichkeit einer von Russland herbeigeführten Sabotage am okkupierten Atomkraftwerk Saporischschja gehört zur ersten Kategorie und sollte nach der Katastrophe am Kachowka-Stausee keinesfalls unterschätzt werden.
Das Szenario einer weiteren Front an der ukrainischen Grenze zu Belarus fällt in die zweite Kategorie. Daran ändert der angekündigte Gang des Wagner-Chefs und Kurzzeit-Meuterers Jewgeni Prigoschin ins Exil in Minsk ebenso wenig wie eine befürchtete Verlegung von Wagner-Söldnern nach Belarus. In Kiew wies man Berichte aus russischen Quellen zurück, wonach in Belarus bereits erste Lager für Wagner-Kämpfer entstünden.
Das heißt freilich nicht, dass Putins Vasall Alexander Lukaschenko nicht tatsächlich Tausende Söldner beherbergen könnte. In der Theorie erwachsen daraus zwei - wenngleich keine neuen - Angriffsvarianten. Zum einen könnte der russische Präsident gewillt sein, zu einem erneuten Vorstoß Richtung Kiew anzusetzen. Die zweite Option wäre mit dem Ziel verbunden, Nachschubrouten für Waffenlieferungen aus dem Westen in den Regionen Lwiw, Riwne oder Wolhynien zu attackieren.
Hochgerüstete Grenzregion
Beides wäre für die Ukraine potenziell desaströs. Doch schon der Angriff auf Kiew im Frühjahr 2022 wurde für Russland zum Desaster - als die Ukraine militärisch noch weitgehend auf sich allein gestellt war. Seitdem ist sie wesentlich besser ausgerüstet und bereitet sich seit mehr als einem Jahr auf mögliche Attacken von Belarus aus vor. Die Grenzregion im Nordwesten der Ukraine ist hochgerüstet, kampferfahrene Soldaten halten sich für den Ernstfall bereit.
Um von dieser potenziellen Front aus eine größere Gefahr darzustellen, bräuchte es mehr als nur einige Tausend Söldner. Vermutlich müsste Putin dafür auch auf Soldaten der belarusischen Armee zurückgreifen können. Dagegen hat sich Lukaschenko aber bisher erfolgreich gesträubt und dürfte es weiter tun - aus Sorge, dass dieser Schritt ihn innenpolitisch unter Druck setzen könnte.
Potenzieller militärischer Unruheherd für die EU
Etwas mehr Sorgen wird man sich in der EU machen. Wagner-Söldner in Belarus stellen einen potenziellen militärischen Unruheherd dar, der verstärkt versuchen könnte, EU und NATO mit hybrider Kriegsführung zu destabilisieren. Darauf muss sich der Westen einstellen. Überrascht sein dürfte er aber nicht.
Für die Ukraine hingegen bleibt Belarus auch mit Prigoschin und Wagner-Milizen ein kalkulierbares Risiko. Weil deren Einheiten aber zuletzt wohl ohnehin nicht in größerer Zahl in den besetzten Gebieten im Süden und Osten der Ukraine präsent waren, hat Prigoschins abgeblasener Putschversuch vorerst nur begrenzte Auswirkungen auf die ukrainische Gegenoffensive. Umso mehr darf der Westen bei seiner Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen. Nach dem vergangenen Wochenende ganz im Gegenteil.