
Fragwürdige Verkaufsstrategien KI-generierte Kinderbücher in Amazons Bestsellerlisten?
Künstliche Illustrationen und merkwürdige Texte: Immer mehr mutmaßlich KI-generierte Kinderbücher tauchen bei Amazon auf. Experten warnen vor minderwertiger Qualität und fragwürdigen Verkaufsstrategien.
Wer Kinderbücher auf Amazon kauft, stößt dort zunehmend auf seltsame Werke mit unrealistischen Illustrationen und inhaltlichen Fehlern. Der Grund: Viele dieser Bücher wurden offenbar komplett von Künstlicher Intelligenz erstellt - sowohl die Bilder als auch die Texte.
Michael Mantel, Kinderbuchautor und Illustrator aus Bad Bevensen, hat dieses Phänomen in einem Instagram-Video dokumentiert. "Ich habe mich auf Amazon umgesehen und bin auf zahlreiche Kinderbücher gestoßen, die alle verdächtig ähnlich wirken", berichtet Mantel, der mit seiner Recherche auf ein wachsendes Problem aufmerksam machen wollte.
Bei seiner Amazon-Suche nach Kinderbüchern für Mädchen entdeckte er mehrere Titel mit nahezu identischen Namen: "Weil du ein wunderbares Mädchen bist" ist zum Beispiel Bestseller in der Kategorie für "Kinder über LGBT+-Familien". Das Kinderbuch mit einem ähnlichen Titel "Weil du ein besonderes Mädchen bist" ist wiederum Bestseller in der Kategorie "Waisen und Kinder in Pflegeheimen". Der Titel "Auch starke Mädchen dürfen Fehler machen" ist merkwürdigerweise Bestseller Nummer eins in "Erdkunde Schulbücher".
Verkaufstrick mit Bestseller-Kategorien
Tatsächlich sind diese Titel in ähnlicher Aufmachung noch immer unter der Amazon-Suche sichtbar. "Wenn ich mir die vielen ähnlichen Titel anschaue, frage ich mich, ob da nicht auch beim einen oder anderen Text vielleicht die KI eine Rolle gespielt hat", vermutet Mantel. Die Bücher weisen alle ähnliche Cover auf - sie wirken sehr glatt und offenbar computergeneriert.
Christian Sprang, Justitiar beim Deutschen Börsenverein, sieht hinter diesem Phänomen eine gezielte Verkaufsstrategie. "Wir kriegen viele Beschwerden von Verlagen, die empfinden, dass ihre seriösen Bücher bei Amazon neben diesen Fake- und Schrott-Büchern, die KI-generiert sind, immer stärker ins Hintertreffen geraten", erklärt Sprang.
Besonders die Nutzung abseitiger Bestseller-Kategorien sei ein bekannter Marketing-Trick: "Wenn man eine Rubrik wählt, in der nur schwach verkäufliche Konkurrenz ist, kann man auch mit einem nicht besonders verkäuflichen Buch den ersten Platz belegen. Das ist der Trick, den diese KI-Buch-Hersteller nutzen."
Anonyme Autoren ohne Nachprüfbarkeit
Die vermeintlichen Autoren dieser Kinderbücher tragen meist Allerweltsnamen wie "Rita Stahl", "Leah Engels" oder "Nina Blume". Auf ihren Amazon-Profilen haben sie in der Regel nur dieses eine Buch veröffentlicht - meist im Selbstverlag. Ob hinter diesen Namen tatsächlich reale Personen stehen, bleibt für Verbraucher im Dunkeln.
Rechtlich sei all das nicht zu beanstanden, erläutert Justitiar Sprang: "Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, dass man seinen Klarnamen als Autor eines Buches verwenden muss." Jede Autorin oder jeder Autor dürfe zum Beispiel auch Künstlernamen verwenden - dies gelte ebenso für solche, die das erste Mal ein Buch veröffentlichten. Eine Pflicht zur Kennzeichnung KI-generierter Inhalte existiere darüber hinaus bislang ebenfalls nicht.
Angesprochen auf die mutmaßlich KI-generierten Kinderbücher antwortet Amazon nur ausweichend. Der Konzern erklärt gegenüber NDR Kultur, man prüfe Bücher aktiv auf Verstöße gegen die eigenen Richtlinien - egal ob sie von Menschen oder künstlicher Intelligenz stammen würden. Bücher, die nicht den Vorgaben entsprechen, würde man entfernen.
Empfehlung: Lieber im Buchhandel kaufen
Tatsächlich fordert Amazon von den Autoren sogar eine Erklärung, dass der Inhalt ihrer Bücher nicht KI-generiert ist - zumindest bei jenen Buchtiteln, die über den eigenen Vertriebsweg "Kindle Digital Publishing" erstellt wurden.
Richtig überprüfen lasse sich dies jedoch nicht, gibt Christian Sprang vom Börsenverein zu bedenken: "Man muss einfach sehen: Amazon verbreitet 20 Millionen Bücher, die sich auch täglich ändern. Da ist eine manuelle Kontrolle kaum möglich."
Für Eltern, die beim Kauf von Kinderbüchern auf Qualität achten möchten, hat Sprang einen klaren Rat: "Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte im stationären Buchhandel kaufen." Dort durchliefen alle angebotenen Bücher eine redaktionelle Kontrolle. KI-generierte Werke ohne inhaltliche Prüfung hätten dort bisher keinen Platz gefunden. "Was im Laden steht, wird kontrolliert von jemandem, der sich mit Liebe und Interesse für seine Kunden Mühe gibt", glaubt Sprang und hofft sogar auf eine "Renaissance des Buchhändlers".