Fachkräfte in Italien Jung, qualifiziert, arbeitslos
Während anderswo in Europa Fachkräfte dringend gesucht werden, finden in Italien ausgerechnet viele gut ausgebildete junge Leute keinen Job. Vieles an diesem Problem ist hausgemacht.
Marlen di Nocco wohnt allein in einem schick eingerichteten Apartment im römischen Stadtteil Testaccio - und damit hat sie schon mehr geschafft als viele andere in ihrer Generation. Jugendliche in Italien leben im europäischen Vergleich am längsten zu Hause.
Ihre Eltern hätten sie regelrecht rausgeschmissen, als sie 19 war, erzählt Di Nocco, und zu einem Studium im Ausland gedrängt: Ingenieurwesen in Karlsruhe. Das sollte ihr zu besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt verhelfen. Sie beendete ihr Studium in Deutschland und hätte dann problemlos bei Bosch oder Daimler arbeiten können.
Aber dann kam das Heimweh, und Marlen wollte zurück zu Freunden und Familie. Obwohl sie wusste, dass es dann mit dem sicheren Arbeitsplatz vorbei ist.
"Schummeln, um zu überleben"
Jetzt sitzt die 34-Jährige mit ihrem Laptop am Wohnzimmertisch der kleinen Wohnung. Sie arbeitet für eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Rom. Elf Monate im Jahr, dann muss sie Urlaub nehmen - damit kein Anspruch auf eine unbefristete Stelle entsteht.
Und so geht es zahlreichen gut ausgebildeten Fachkräften in ihrem Alter. 40 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis 34 Jahre haben befristete oder saisonale Verträge. Im Rest der Bevölkerung sind es rund 13 Prozent.
"Viele meiner Freunde arbeiten unter prekären Bedingungen. Und es gibt viel Schwarzarbeit", sagt sie. "Die Steuerlast ist so hoch, dass man allein durch reguläre Arbeit am Ende des Monats zu wenig Geld nach Hause bringt. Und dann fängst Du plötzlich an, ein bisschen zu schummeln - einfach, um zu überleben."
Gehälter um fast ein Viertel niedriger als in Deutschland
In Italien liegt laut der Gewerkschaft CGIL der durchschnittliche Bruttojahreslohn der 15- bis 34-Jährigen bei rund 27.000 Euro. Das sind zwölf Prozent weniger als im EU-Durchschnitt und 23 Prozent weniger als im deutschen Durchschnitt.
Ein unbefristeter, gut dotierter Vertrag - eine Seltenheit für Italiens Jugend. "Um eine höhere Position innerhalb einer Organisation zu bekommen, zählen vor allem die Dienstjahre. Vielleicht ist es in Deutschland verbreiteter, einen Chef zu haben, der 30 Jahre alt ist. In Italien habe ich das noch nie erlebt. Man muss als junger Mensch immer ganz unten anfangen", sagt Marlen.
Experten beobachten eine für Italiens Wirtschaft gefährliche Entwicklung: Immer mehr gut ausgebildete Hochschulabsolventen wandern ins Ausland ab. Pro Jahr bis zu 20.000 - die Zahlen haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht.
Nord-Süd-Gefälle gefährdet Wettbewerbsfähigkeit
Christina Freguja leitet bei der Statistikbehörde Ista den Bereich Arbeitsmarkt. Sie sieht vor allem im Süden immer größere Schwierigkeiten, Fachkräfte zu finden und zu halten. Die wären aber für eine Modernisierung der Wirtschaft und Aufschwung dringend notwendig.
Während der Norden noch von Auswanderern aus dem Süden profitiere, verliere der Süden jährlich Zehntausende wertvolle Arbeitskräfte.
"Wenn genau diejenigen, die Innovationen anregen und Unternehmen auf ein Niveau der Wettbewerbsfähigkeit bringen könnten, weggehen, dann verlieren wir weiter den Anschluss an Europa", befürchtet Freguja.
Das Konzept "Family Business" ist weit verbreitet
Der Rückstand werde noch verschärft durch traditionelle Wirtschaftsstrukturen in vielen Teilen Italiens und die Vielzahl kleiner Familienbetriebe. Diese Unternehmen beschäftigten häufig Familienmitglieder und investierten wenig in Qualifikation und Digitalisierung, so Freguja.
"Deswegen ist es für sie schwieriger, auf internationaler Ebene wettbewerbsfähig zu sein. Da sie familiengeführt und klein sind, konzentrieren sie sich hauptsächlich auf den heimischen Markt und sehen nicht die Notwendigkeit, junge Leute von außerhalb der Familie zu akquirieren". Mit der Folge, dass die Jungen keinen Job finden und die Betriebe veralten.
Frauen haben es schwerer am Arbeitsmarkt
Junge Frauen haben es besonders schwer auf dem italienischen Arbeitsmarkt. Sie bekommen sehr viel häufiger befristete Verträge angeboten als ihre männlichen Kollegen. Teils liegt das an der Wahl des Studienfachs, aber auch an einem kulturellen Erbe, das bis heute der Frau die überwiegende Verantwortung für Familie und Kinder überträgt.
Eine schlechte Versorgung mit Krippen- und Kindergartenplätzen - gerade im Süden - verfestigt, dass Frauen sich zwischen Arbeit und Familie entscheiden müssen.
"Hier gehe ich einfach raus"
Marlen di Nocco klappt in ihrem römischen Apartment den Laptop für heute zu und geht hinaus auf die Piazza. Noch ein Grund, warum sie aus Deutschland zurückgekehrt ist.
"In Deutschland muss man sich zwei oder drei Wochen vorher verabreden. Hier gehe ich einfach raus und treffe immer jemanden, mit dem ich reden oder ein Bier trinken kann". Geselligkeit hat ihr gefehlt. Und ein bisschen die Wärme. Aber mehr Sicherheit, das hätte sie in Deutschland gehabt.