OECD-Studie Wie attraktiv ist der deutsche Arbeitsmarkt?
Deutschland wirbt um hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland. Laut OECD-Studie schaffen aber nur wenige den Weg hierher. Die bürokratischen Hürden sind zu hoch - und es fehlt auch eine Willkommenskultur.
Arushi Singh sitzt an ihrem Homeoffice-Arbeitsplatz in der Düsseldorfer Altstadt und tippt E-Mails, nimmt an Meetings teil und entwirft Strategie-Papiere für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Unternehmen. Die studierte Marketing-Analystin ist seit Oktober 2022 in Deutschland und arbeitet für die Düsseldorfer Niederlassung der Unternehmensberatung Deloitte.
Die Inderin hat schon in einigen Ländern gewohnt: Vereinigte Emirate, Großbritannien. Mit dem Ende der Pandemie hat sie sich entschlossen, nach Deutschland zu kommen. "In Deutschland gibt es ein großes Freizeitangebot. Ich kann zum Beispiel sicher Fahrrad fahren", so Singh. "Es gibt eine gute Work-Life-Balance." Und das Gesundheitssystem biete auch eine hohe Sicherheit, sagt die 32-Jährige.
Arushi Singh ist eine hochqualifizierte Fachkraft, die Deutschland mithilfe des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes unbedingt gewinnen will. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden 400.000 Fachkräfte pro Jahr aus dem Ausland gebraucht, um dem Renteneintritt der Babyboomer entgegenzuwirken. Doch die Zuwanderung und das Ankommen in Deutschland ist für viele Fachkräfte offenbar schwieriger als gedacht und mit hohen Hürden in der Bürokratie verbunden.
OECD-Studie mit ernüchterndem Ergebnis
Das zeigt sich auch in einer aktuellen Untersuchung der OECD, in Auftrag gegeben vom Bundesministerium für Arbeit. Dafür wurden 2022 zunächst knapp 29.000 potenzielle Arbeitskräfte mit Studium aus Drittstaaten wie Türkei, Indien oder Kolumbien befragt, die sich für eine Arbeitsstelle in Deutschland interessieren.
Ein Jahr später wurden dieselben nochmal befragt, von denen mehr als 6.000 Teilnehmer geantwortet haben. Darunter sind gerade mal fünf Prozent tatsächlich nach Deutschland gezogen. 92 Prozent leben noch im Ausland, von denen weniger als 15 Prozent konkrete Schritte unternommen haben, nach Deutschland zu kommen.
Der Grund dafür liege vor allem im System, sagt Thomas Liebig von der OECD, der die Untersuchung geleitet hat. Zum einen hätten viele Migranten Schwierigkeiten, überhaupt mit deutschen Arbeitgebern in Kontakt zu treten. Zum anderen - und das sei der wesentliche Flaschenhals - seien es die Visastellen im Ausland.
Hängepartie in Deutschland
Auch für Arushi Singh war es eine echte Hängepartie, eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. "In Großbritannien war es viel einfacher. Da gab es eine Fast-Track-Möglichkeit, bei der man innerhalb einer Woche eine Entscheidung über die Arbeitserlaubnis bekommen hat. In Deutschland habe ich drei Monate auf den ersten Termin gewartet." Die Inderin hat immerhin durch ihren Arbeitgeber einen Lotsen durch die deutsche Bürokratie zur Seite gestellt bekommen.
Viele haben das nicht und scheitern, weiß auch Jasna Rezo-Flanze von der IHK Köln. Sie berät deutsche Unternehmen, die Fachkräfte nach Deutschland holen wollen. Oft fehle es an der Digitalisierung in den Behörden und am Personal. Anträge müssten in den Botschaften per Post gestellt werden.
"Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollte der Prozess beschleunigt werden, aber es ist keine Beschleunigung." Viele Unternehmen resignieren, so Rezo-Flanze. "Lange dachte man, Migranten kommen gerne nach Deutschland. Das hat sich aber geändert."
"Ich werde Ausländerin genannt"
Tatsächlich ist auch Arushi Singh nach einem Jahr in Deutschland ins Grübeln gekommen. Sie spricht kein Deutsch, im Unternehmen ist die Arbeitssprache Englisch. Als sie in Deutschland das erste Mal im Rathaus war, habe niemand Englisch gesprochen. "Gerade am Anfang fühlte ich mich nicht besonders willkommen."
Ähnlich erging es ihr bei der Wohnungssuche. Ständig sei sie abgelehnt worden, obwohl es keinen nachvollziehbaren Grund dafür gab. Und wenn sie sich raus aus der Großstadt bewege, erfahre sie schnell Diskriminierung: "Ich werde Ausländerin genannt und ich sehe den Gesichtsausdruck der Passanten. Das macht mich traurig. Wenn sich die Leute vor mir fürchten, dann fürchte ich sie auch."
Die Inderin ist mit diesen Erfahrungen nicht allein. In der OECD-Studie berichten mehr als die Hälfte der befragten Fachkräfte, die nach Deutschland eingereist sind, von Diskriminierungserfahrungen. "Das war eines der erschreckendsten Ergebnisse unserer Untersuchung", sagt Thomas Liebig, "dass nach so kurzer Zeit in Deutschland hochqualifizierte Fachkräfte diese Erfahrungen machen".
Es mangelt an Willkommenskultur
Es gibt aber auch positive Ergebnisse: Unter den eingereisten Teilnehmern der Umfrage sind mehr als die Hälfte mit ihrem Leben in Deutschland ziemlich oder sehr zufrieden. Einer von ihnen ist der Iraner Mohammad Delbari. Der Elektroingenieur hat sich vor zwei Jahren entschieden, nach Deutschland zu gehen. Er hat Deutschkurse in Teheran beim Goethe-Institut belegt. Ein Jahr lang hat es gedauert, bis er seinen Aufenthaltstitel in Deutschland bekam.
Seit Januar 2023 ist er in Deutschland und plant Bahnsteige und die dazugehörige Infrastruktur in einem Team mit 15 Ingenieuren. Er spricht mittlerweile akzentfrei Deutsch und möchte hier auch bleiben. Neben der Bürokratie, so sagt er, war die Sprache wohl die wichtigste Hürde, die er genommen hat.
"Was fehlt, ist eine andere Willkommenskultur und mehr Kümmererstrukturen", fordert Jasna Rezo-Flanze von der IHK Köln. Große Unternehmen könnten Lotsen oder Agenten für die komplizierten Verfahren, die Wohnungssuche und die Integration engagieren. Kleine Unternehmen könnten das aber nicht. Denn die Konkurrenz um die Arbeitskräfte ist groß. In allen europäischen Nachbarländern werde nach Fachkräften gesucht.