Dresden: Das Flussbett der Elbe vor der Kulisse der Altstadt
analyse

Trotz hoher Investitionen Warum fehlen die DAX-Konzerne aus dem Osten?

Stand: 03.10.2024 15:46 Uhr

Auch 34 Jahre nach der Wiedervereinigung hat kein DAX-Konzern seine Zentrale im Osten - mit Ausnahme von Berlin. Woran das liegt - und was das über die ostdeutsche Wirtschaft aussagt.

Von Bianca von der Au

Die vielleicht überraschende Nachricht ist: die ostdeutsche Wirtschaft wächst - und zwar stärker als die gesamtdeutsche. So dürfte die Wirtschaftsleistung der ostdeutschen Bundesländer in diesem Jahr um 1,1 Prozent steigen, wie das ifo-Dresden ausgerechnetn hat. Bundesweit steht eine null vor dem Komma.

Dahinter steckt aber eine weniger positive Erklärung. Der Ökonom Joachim Ragnitz vom ifo-Institut, Niederlassung Dresden, spricht von einem "kleinen Wachstumsunterschied im laufenden Jahr, was primär daran liegt, dass wir in Deutschland insgesamt eine industrielle Schwächephase haben. Paradoxerweise wächst der Osten stärker, weil die Industrie dort nicht so stark ist."

So seien primär konsumnahe Dienstleistungen, der Gesundheitssektor und der Tourismus Wachstumstreiber im Osten. Heißt im Umkehrschluss, dass große Industrieunternehmen in den ostdeutschen Bundesländern fehlen. Der Volkswirt Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln drückt es so aus: "Es fehlen die Hidden Champions, die wirklich weltweit aktiv sind und die Marktführer in ihrem Bereich sind."

Folgen der Deindustrialisierung und der Planwirtschaft

Historisch gesehen ist das auch eine Folge der Deindustrialisierung und der Planwirtschaft zu DDR-Zeiten. "In der DDR-Ökonomie war die Zuweisung von Kapital, natürlichen Ressourcen und Arbeitskraft vier Jahrzehnte lang Ergebnis politischer Setzung statt der Logik des Marktes", beschreibt es das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle.

Zugleich attestieren die Wirtschaftsforscher der ehemaligen DDR ein Bildungsniveau, das dem westdeutschen ebenbürtig gewesen sei, in den technischen und Ingenieursberufen sogar etwas höher. Eigentlich beste Voraussetzungen für Innovation in Zukunftstechnologien - wie das Beispiel Dresden zeige, so Klaus-Heiner Röhl vom IW Köln. "Da haben wir ein Zentrum der deutschen Chip-Industrie, wir haben eine technische Universität, die die Fachkräfte dafür ausbildet. Wir haben Fraunhofer-Institute, die anwendungsnah forschen. Das ist alles super. " Was man aber nicht geschafft habe: weltweite Digital-Start-ups aufzubauen, die dort ihren Sitz haben und die weltweit aktiv sind.

Probleme, die sich nicht "weginvestieren" lassen

Trotz enormer Investitionen in die ostdeutsche Infrastruktur nach der Wende gebe es im Osten immer noch viele ländliche Regionen, die von Autobahnanschlüssen weit weg seien, die auch keine Bahn-Anschlüsse mehr haben, so Röhl.

Gemessen an der Gesamtbevölkerung gebe es mehr Peripherie, mehr flaches Land in Ostdeutschland. Ein Problem, dass sich auch nicht so einfach "weginvestieren" lasse, so der Wirtschaftsforscher. Umgekehrt hat das auch positive Effekte. Etwa habe sich der US-Elektroautohersteller Tesla für Brandenburg und gegen das Ruhrgebiet entschieden, weil es in der dichtbesiedelten Region im Westen keine geeignete Fläche für den Bau seines Werks gegeben habe.

Wirtschaftsstruktur geprägt von kleinen Firmen

Die Frage, warum es unter den 40 größten deutschen börsennotierten Konzernen im DAX kein einziges Unternehmen aus dem Osten gebe, beantwortet Wirtschaftsforscher Joachim Ragnitz vom ifo Dresden mit der Wirtschaftsstruktur ostdeutscher Bundesländer. Die sei sehr stark geprägt durch kleinere Unternehmen. "Das hat sehr viel mit der Transformations-Historie zu tun, also der Entwicklung seit 1990, wo sich naturgemäß eben kein großes Unternehmen von Westdeutschland nach Ostdeutschland bewegt hat, denn die Hauptsitze waren eben im Westen."

Einzige Ausnahme: Berlin, wo sich auch ein sogenanntes Start-Up-Ökosystem entwickelt hat. Mit einigen erfolgreichen Börsengängen in den vergangenen Jahren: der Online-Mode-Händler Zalando, der seine Zentrale in Berlin-Friedrichshain hat, ist sogar bis in den DAX aufgestiegen und gehört zu den 40 wertvollsten Börsenunternehmen in Deutschland. Auch die Essenslieferdienste Delivery Hero und Hellofresh waren zu ihren Hochzeiten, während der Corona-Pandemie, kurzzeitig im DAX. Sie sind aber mittlerweile abgerutscht in die "zweite Liga", in den M-DAX.

Junge Menschen wandern aus dem Osten ab

Berlin bleibt aber die Ausnahme im Osten - auch was die die Abwanderung junger Menschen angeht. Die bewegen sich, laut Statistischem Bundesamt, seit Jahren in eine Richtung: von Ost nach West.

Im vergangenen Jahr zogen erneut mehr 18- bis 30-Jährige von Ost- nach Westdeutschland als umgekehrt - Berlin ausgenommen. Damit setzte sich nach Angaben der Statistiker ein seit 1991 bestehender Trend fort. Seit damals verließen rund 727.000 junge Menschen die ostdeutschen Flächenländer in Richtung Westen.

Bianca von der Au, HR, tagesschau, 02.10.2024 17:36 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 03. Oktober 2024 um 16:42 Uhr.