Luftbild von Schmiedeberg, einem Ortsteil der sächsischen Großen Kreisstadt Dippoldiswalde im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.
analyse

Ökonomische Lage in Sachsen und Thüringen Was Ost und West wirtschaftlich noch unterscheidet

Stand: 31.08.2024 12:15 Uhr

Die ostdeutsche Wirtschaft wächst, während die Bevölkerung altert. Was heißt das für die Lebensverhältnisse vor Ort? Auf Spurensuche in den beiden Ländern, die am Sonntag wählen.

Wer im "Obertorgrill" einkehrt, erfährt bei Bier und Schnitzel, dass die Dippoldiswalder froh sind über ihre Geschäfte. Es gebe Discounter, Lebensmittelläden und einen Getränkemarkt. Das ist auf dem Land längst keine Selbstverständlichkeit mehr.

Dippoldiswalde liegt in Sachsen, im Erzgebirge - auf halber Strecke zwischen Dresden und Tschechien. Ärzte gebe es zu wenig, heißt es im "Obertorgrill", der an diesem Abend die einzige Möglichkeit ist, in der Innenstadt etwas trinken zu gehen.

Viele Menschen sind weggezogen

Vor 20 Jahren lebten im Landkreis von Dippoldiswalde 266.000 Menschen. Jetzt sind es noch 246.000. Zahlen des Statistischen Landesamtes zeigen: Kinder gibt es heute wie damals. Die Bevölkerungsstatistik reißt aber schon in der Altersklasse 15 bis 18 Jahre ab. Junge Berufstätige ziehen weg, allem voran Frauen.

Das Bundesland hat in 20 Jahren knapp eine Viertelmillion Einwohner verloren. Derzeit leben noch 4,1 Millionen Menschen in Sachsen. In Thüringen sieht es noch schlechter aus: Geblieben sind 2,1 Millionen. Vor zwei Jahrzehnten waren es gut eine Viertelmillion Menschen mehr.

Zum Vergleich eignet sich Rheinland- Pfalz. Auch hier gibt es viel Landwirtschaft und Natur, florierende Industrie und erfolglose Regionen. In Rheinland-Pfalz ist die Bevölkerung während der vergangenen 20 Jahre um 120.000 Menschen auf 4,2 Millionen gewachsen.

Die Alterung der Gesellschaft ist deutschlandweit ein Trend. Doch es gibt Unterschiede: In Rheinland-Pfalz sind 23 Prozent der Menschen im Rentenalter, in Sachsen und Thüringen sind es 27 Prozent.

Junge Menschen sind gut ausgebildet

Was können die Menschen, die bleiben? 85 von 100 Sächsinnen und Sachsen haben einen Beruf gelernt oder studiert. Das ist viel: In Rheinland-Pfalz haben nur 77 von hundert Einwohnern irgendeine Art der Ausbildung abgeschlossen.

Allerdings machen in Sachsen mehr junge Leute eine Lehre, und im Vergleich mit dem westdeutschen Bundesland studieren weniger. Für Thüringen hat das Statistische Landesamt keine Daten zur Verfügung gestellt.

Das vergleichsweise niedrigere Qualifikationsniveau wirkt sich umso mehr aus, als kaum Ersatz durch Fachkräfte aus dem Ausland kommt. Das Institut der deutschen Wirtschaft weist darauf hin, dass Ausländer lieber im Westen arbeiten als im Osten. Unter den wenigen Ausländern in Sachsen seien sehr viele Polen, die zur Arbeit einpendeln.

Ähnlicher Branchenmix in Ost und West

Die hohe Arbeitslosigkeit während des Umbaus der maroden DDR-Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft nach 1989 ist Geschichte. In Sachsen liegt die Arbeitslosigkeit bei 6,6 Prozent, in Thüringen bei 6,3 Prozent. Noch etwas niedriger ist die Quote in Rheinland-Pfalz: Hier sind nur 5,4 Prozent der Erwerbswilligen ohne Anstellung.

Wenn man einzelne Wirtschaftsbereiche, etwa Landwirtschaft, Bauwirtschaft ansieht, fällt auf: Die verschiedenen Branchen haben nahezu überall den gleichen Anteil an der Wirtschaftsleistung. Die Verteilung in Sachsen und Thüringen ähnelt der Verteilung in Rheinland- Pfalz.

Die Unternehmen sind im Osten generell kleiner als im Westen. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle berichtet von geringem Unternehmertum. Die "Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder" zeigt, dass auch der wirtschaftliche Erfolg der Unternehmen unterschiedlich ist. Demnach erwirtschaften Erwerbstätige in Sachsen pro Stunde Werte von 55 Euro, in Thüringen 54 Euro, während es in Rheinland- Pfalz 64 Euro sind.

Was heißt das für die Einkommen?

Am unteren Ende der Einkommen sieht es im Osten und Westen ähnlich aus. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdienen im Erzgebirgskreis in Sachen und im Saale-Orla-Kreis in Thüringen mit durchschnittlich je 2.568 Euro im Monat am wenigsten. In Rheinland-Pfalz ist es im Südwestkreis mit durchschnittlich 2.424 Euro noch weniger.

An der Spitze stehen Städte mit Industrie. In Sachsen kommt noch die Landesverwaltung dazu - in Dresden wird durchschnittlich 3.276 Euro verdient. Jena in Thüringen sieht mit 3.305 Euro noch besser aus.

Damit liegen diese Städte allerdings deutlich unter dem Durchschnittsverdienst in Städten im Westen mit alteingesessenen Großkonzernen. Am Konzernsitz der BASF im pfälzischen Ludwigshafen kassieren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Schnitt 4.431 Euro monatlich. Das ergibt sich aus Daten, die der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz vom ifo Institut Dresden zur Verfügung gestellt hat.

Im Osten gibt es insgesamt mehr Landkreise mit schlechten Verdienstmöglichkeiten als im Westen. In den Kreisen und Städten, in denen gut verdient wird, ist es immer noch weniger als im Westen.

Hohe Kaufkraft im Osten

Die Menschen bekommen in Ostdeutschland allerdings mehr für ihr Geld als im Westen: Mieten und Grundstückspreise sind niedrig, in Sachsen teils sehr niedrig. Darauf hat das Basler Prognos-Institut vergangenes Jahr hingewiesen. So kamen die Forscher zum Ergebnis, dass Rentner im Jahr 2021 nirgendwo in Deutschland eine so hohe Kaufkraft hatten wie in der thüringischen Stadt Gera.

Im rustikalen "Obertorgrill" im erzgebirgischen Dippoldiswalde kommt man mit 15 Euro schon ziemlich weit. Mit 20 eingemeindeten Ortsteilen zählt das Städtchen inzwischen 14.000 Einwohner, darf sich "Große Kreisstadt" nennen. Allerorten sind die Häuser schön saniert, die Straßen sind in gutem Zustand. Die Bevölkerung schrumpft trotzdem.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. Juli 2024 um 13:19 Uhr.