Industrieanlage im Chemiepark Oberhausen, Nordrhein-Westfalen.
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Schlagwort De-Industrialisierung Industrieller Wandel ist machbar

Stand: 08.08.2024 15:38 Uhr

Die deutsche Industrie lahmt. Fehlende Aufträge und sinkende Exporte machen Deutschland zum Wachstumsschlusslicht. Die Herausforderungen sind groß Doch es gibt Wege aus der Misere.

Von Stefan Wolff, ARD-Finanzredaktion

Der völkerrechtswidrige russische Angriff auf die Ukraine hat die Koordinaten der Weltwirtschaft gründlich verschoben. Deutschland mit seiner energieintensiven Industrie und seinen nicht vorhandenen Rohstoffen wurde von den explodierenden Energiepreisen besonders betroffen. Große Konzerne, darunter Industrie-Ikonen, wie BASF, liebäugeln damit, dem Standort den Rücken zu kehren. Es macht das Wort der De-Industrialisierung die Runde.

Das Phänomen ist nicht neu. "Wenn ich sehe, dass BASF Werke stilllegt, weil das Management nicht mehr der Meinung ist, Basischemikalien effizient herstellen zu können, hat das für mich Tendenzen einer De-Industrialisierung", erklärt Arne Rautenberg von der Fondsgesellscvhaft Union Investment. Die Industrieproduktion sei schon seit 2017 auf dem absteigenden Ast. Denn es geht nicht nur um die Chemie. Berichten zufolge erwägt jeder zweite Konzern, dem Standort den Rücken zu kehren. Dabei beklagen die Unternehmen nicht nur hohe Energiepreise sondern auch den Fachkräftemangel und hohe Bürokratiehürden, nicht nur gegenüber klassischen Billiglohnländern.

Politische Versäumnisse

"Deutschland hat zum Beispiel auch beim Thema Unternehmenssteuern wenig gemacht, während Frankreich und die USA schon vor einigen Jahren die Investitionsbedingungen verbessert haben", erklärt Eric Heymann von db Research, der Denkfabrik der Deutschen Bank. Politische Versäumnisse auf der einen, wirtschaftliche Veränderungen auf der anderen Seite haben die deutsche Wirtschaft also ins Abseits gedrängt. Dabei spielt der Wandel der Wirtschaft eine entscheidende Rolle.

So droht das Autoland Deutschland beim Umbau in Richtung Elektromobilität ins Hintertreffen zu geraten. "Natürlich hat ein Großteil der deutschen Zulieferer davon gelebt, den deutschen Herstellern in der Produktion des Verbrennungsmotors zu helfen", sagt Rautenberg. "Wir stehen wir hier vor einer kompletten Umwälzung der Industrie, und das wird nicht nur Gewinner hervorbringen." Ähnliches gab es bereits im deutschen Schiffbau oder in der Solarindustrie. Deutsche Weltmarktführer wurden an die Wand konkurriert.

Deutsches Erfolgsmodell auf dem Prüfstand

Dieses Mal scheint aber das gesamte Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft auf dem Spiel zu stehen. "Wir sind an einem Schweideweg und müssen uns ein Stückweit neu erfinden", so Rautenberg. "Dieses ganze Exportmodell, Deutschland als Exportweltmeister, das hat wahnsinnig gut funktioniert in der Globalisierung." Tatkraft sei gefragt, fordert der Fondsmanager: "Es gilt jetzt, zuzupacken und die Weichen zu stellen. Und dann können wir wieder positiver in die Zukunft blicken."

Dabei könne der Wirtschaftsstandort durchaus mit den bekannten Stärken punkten, heißt es. Innovation, Forschung, hochwertige Maschinen und Autos - das alles sei vorhanden, sagt auch Heymann. Allerdings müsse man sich offen für neue Technologien zeigen und das vorantreiben, was die Industrie sich schon vor Jahren auf die Fahnen geschrieben haben: Industrie 4.0.

Deutschland bleibt Hochlohnland

Denn die grundsätzlichen Rahmenbedíngungen ließen sich nicht ändern. "Deutschland ist ein Hochlohnland", so Heymann. "Wir müssen gute Produkte herstellen, bei denen der Preiswettbeweb nicht so stark ausgeprägt ist." Als Beispiel für den Wandel nennt Heymann die einst blühende deutsche Textilindustrie: "Vor 50, 60,70 Jahren wurden in Deutschland noch weiße T-Shirts zusammengenäht. Das können andere Länder sehr viel besser und kostengünstiger", weshalb sich die deutsche Wirtschaft in solchen Bereichen auch nicht verkämpfen sollte. Nur dann könne der wirtschaftliche Wandel gelingen. Die Bedeutung der Industrie dürfte jedoch weiter sinken.

Stefan Wolff, HR, tagesschau, 08.08.2024 15:46 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 08. August 2024 um 11:51 Uhr.