Im ersten Halbjahr 2024 Deutschland stellt mehr als 80.000 Arbeitsvisa aus
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll mehr qualifizierte Arbeitskräfte anlocken. Doch der erhoffte Anstieg bei den Zuwanderungen bleibt aus. Die Spitzenverbände der Wirtschaft fordern eine neue Willkommenskultur.
Das Auswärtige Amt hat im ersten Halbjahr dieses Jahres mehr als 80.000 Visa für Menschen ausgestellt, die in Deutschland arbeiten wollen. Etwa die Hälfte von ihnen - mehr als 40.000 - sind Fachkräfte, wie die Nachrichtenagentur dpa aus dem Ministerium erfuhr. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum wurden rund 37.000 Visa an Fachkräfte erteilt.
Im gesamten Jahr 2023 hatte das Auswärtige Amt den Angaben zufolge über 157.000 Visa zu Erwerbszwecken ausgestellt, davon gingen 79.000 Visa an Fachkräfte.
Kritik an Defiziten bei Wohnen und Kinderbetreuung
Spitzenverbände der Wirtschaft fordern angesichts des akuten Fachkräftemangels eine neue "Willkommenskultur" in Deutschland. Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, sagte, die Botschaft müsse lauten: "Wir freuen uns, euch hier in Deutschland begrüßen zu können." Defizite sieht er in vielen Bereichen: Das fange bei der Visa-Erteilung an und höre bei der Bereitstellung von Wohnung und Kinderbetreuung auf.
Auch Industriepräsident Siegfried Russwurm sieht Nachbesserungsbedarf. Schon die deutschen Botschaften müssten solch eine Willkommenskultur ausstrahlen. Außerdem müsse man etwa ein Auto zulassen können, ohne Deutsch sprechen zu können. Eine Umfrage der DIHK hatte ergeben, dass über die Hälfte der Unternehmen den Fachkräftemangel als Geschäftsrisiko sehen.
Für Fachkräfte: "Blaue Karte" und "Chancenkarte"
Deutschland hat seit 2020 ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz, um den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte zu fördern. Im November 2023 trat der erste Teil einer von der Ampelkoalition beschlossenen Reform dieses Gesetzes in Kraft. Er umfasste vor allem Erleichterungen bei der "Blauen Karte EU" sowie für anerkannte Fachkräfte.
Die sogenannte Chancenkarte, die zum 1. Juni eingeführt wurde, hat noch keinen großen Einfluss auf die Zahl der Erwerbsmigranten. Bisher seien knapp 200 Visa nach dieser Rechtsgrundlage erteilt worden, hieß es aus dem Auswärtigen Amt.
Voraussetzung für die "Chancenkarte" ist eine im Erwerbsland staatlich anerkannte, mindestens zweijährige Berufsausbildung oder ein entsprechender Hochschulabschluss sowie Sprachkenntnisse in Deutsch oder Englisch. Je nach Sprachniveau, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug bekommen Interessierte Punkte, die sie zum Erhalt der "Chancenkarte" berechtigen.
Arbeiten ohne vorherige Anerkennungsverfahren
Auch für Qualifikationen in Engpassberufen gibt es Punkte. Wer genügend Punkte hat, kann nach Deutschland kommen und hat dann ein Jahr lang Zeit, sich einen festen Job zu suchen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine einmalige Verlängerung um zwei Jahre möglich.
Seit März können Fachkräfte mit Abschluss und Berufserfahrung ohne vorheriges Anerkennungsverfahren einreisen und in Deutschland arbeiten. Sie müssen also noch keine in Deutschland anerkannte Ausbildung vorweisen, aber ein Arbeitsplatzangebot mit einem Bruttojahresgehalt von mindestens 40.770 Euro - bei Tarifbindung des Arbeitgebers genügt eine Entlohnung gemäß Tarifvertrag.