Eine Pflegekraft hilft in einem Seniorenzentrum einer Pflegehausbewohnerin sich hinzulegen.
hintergrund

Hürden für ausländische Fachkräfte "Schneller wieder weg, als wir schauen können"

Stand: 18.07.2024 11:23 Uhr

Die Ampel-Regierung plant Steuererleichterungen für ausländische Fachkräfte, um sie nach Deutschland zu locken. Dabei ist das eigentliche Problem ein ganz anderes: zu viel Bürokratie.

Von Fabian Siegel, SWR

Hümeyra Kücük arbeitet seit gut einem Jahr im ambulanten Pflegezentrum der Caritas in Rheinfelden nahe der Schweizer Grenze. Kücük ist türkische Staatsbürgerin, in der Schweiz aufgewachsen - dort hat sie auch ihre Ausbildung gemacht. Obwohl sie in der Schweiz als Pflegekraft deutlich mehr verdienen könnte, arbeitet sie trotzdem gerne in Deutschland: Die Arbeitszeiten ließen sich besser mit der Betreuung ihrer Kinder vereinbaren. Denn sie macht überwiegend Hausbesuche bei ambulant betreuten Patientinnen und Patienten, kann sich die Arbeit flexibel einteilen.

"Sonst ist das ungerecht"

Von der geplanten Steuererleichterung der Ampel-Koalition würde wahrscheinlich auch Hümeyra Kücük profitieren: Da es ihr erstes Arbeitsjahr in Deutschland ist, läge die Entlastung für sie wohl aktuell bei 30 Prozent. Im zweiten Jahr wären es 20, im dritten immerhin noch zehn Prozent. Trotzdem hält Kücük nichts von den Plänen. "Wenn ich die Steuererleichterung kriege, sollen das meine deutschen Kolleginnen auch kriegen. Sonst ist das ungerecht", sagt sie. Die arbeiteten schließlich genauso hart.

Pflegedienstleiterin Kerstin Posniak fürchtet Unruhen im Team, sollten ausländische Fachkräfte Steuererleichterungen bekommen, deutsche Fachkräfte für die gleiche Arbeit aber nicht. "Ich denke, wir sollten eher an anderer Stelle gucken, wo die Probleme liegen", warnt sie.

Ausbildungen werden nicht anerkannt

Das eigentliche Problem sei die Bürokratie - auch bei Hümeyra Kücük. Seit fast eineinhalb Jahren wartet sie darauf, dass ihre Ausbildung, die sie in der Schweiz gemacht hat, in Deutschland anerkannt wird. Doch die Behörden seien überlastet und vertrösteten sie immer wieder. "Jedes Mal, wenn ich beim zuständigen Regierungspräsidium anrufe, sagt man mir, sie arbeiten daran. Aber wie lange es noch dauert, weiß ich nicht", berichtet Hümeyra Kücük.

Die Folge: Kücük arbeitet aktuell als ungelernte Hilfskraft. Das bedeutet für sie 300 Euro weniger im Monat. Je nachdem, wie lange die Behörden auf sich warten lassen, kann diese Differenz auf bis zu 800 Euro monatlich anwachsen. Denn Fachkräfte bekommen bei der Caritas mehr Geld, je länger sie in einem Unternehmen sind. Ungelernte Hilfskräfte aber nicht. Die Caritas könnte ihr zwar theoretisch mehr Gehalt zahlen, würde dann aber wiederum von den Krankenkassen die Mehrkosten nicht erstattet bekommen.

Täglich neue bürokratische Hürden

Rolf Steinegger, Vorstand bei der Caritas Hochrhein, erlebt die bürokratischen Hürden fast täglich: Eine kamerunische Fachkraft, die längst angeworben sei, bekomme kein Visum und könne nicht nach Deutschland reisen. Eine amerikanische Pflegekraft habe zwar ein halbes Jahr mit internationalem Führerschein in Deutschland Auto fahren dürfen, jetzt müsse sie aber plötzlich für viel Geld einen deutschen Führerschein machen. In anderen Fällen wisse die eine Behörde nicht, was die andere mache.

"Man muss sich vorstellen, es kommt jemand aus dem Ausland und sagt, 'Ich will in Deutschland arbeiten'‘", sagt er. Den locke man zwar mit einer Steuererleichterung, die Probleme kämen aber erst danach. "Der ist schneller in Kanada oder wo sonst wo in der Welt, als wir schauen können." Dabei werden ausländische Fachkräfte gerade in Zeiten des Pflegenotstands dringend benötigt. Im ambulanten Pflegezentrum in Rheinfelden liegt ihr Anteil schon jetzt zwischen 30 und 40 Prozent.

Breiter Widerstand gegen Ampel-Gesetz

Nicht nur für die Betreiber, auch für eine Mehrheit der Deutschen sind Steuererleichterung nicht das geeignete Mittel: In Umfragen lehnt mehr als die Hälfte die Pläne der Ampel ab. Auch aus der Koalition selbst sowie aus der Opposition gibt es scharfe Kritik. Experten wie die Ökonomin Monika Schnitzer, Chefin der "Wirtschaftsweisen", halten den Ansatz zwar für richtig, betonen aber ebenfalls, dass in Deutschland vor allem bürokratische Hürden einer besseren Anwerbung von Fachkräften im Weg stünden.

Hümeyra Kücük hätte wahrscheinlich auch ohne Steuererleichterungen am Ende des Monats mehr netto, würde sie ihren Schweizer Berufsabschluss endlich anerkannt bekommen. "Ich habe langsam keine Lust mehr zu warten", sagt sie. Irgendwann geht sie zurück in die Schweiz. Und würde dem Pflegezentrum und seinen Patientinnen und Patienten als dringend benötigte Fachkraft fehlen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 10. Juli 2024 um 09:05 Uhr.