Gehortete Geldscheine Wo steckt das ganze Euro-Bargeld?
Es klingt paradox: Im Alltag wird immer mehr mit der Karte oder elektronisch gezahlt. Trotzdem sind Hunderte Milliarden Euro Bargeld im Umlauf. Wo ist das ganze Geld?
Der Anteil von Bargeldgeschäften im alltäglichen Einzelhandel sinkt seit Jahren. Immer mehr wird mit Karte bezahlt. Nach einer Untersuchung der Europäischen Zentralbank (EZB) liegt Deutschland mit noch etwa 60 Prozent Bargeschäften im oberen Mittelfeld Europas. In den nordischen Staaten und den Niederlanden wird mehr digital als bar gezahlt. Trotzdem sind enorme Mengen Banknoten im Umlauf: Ende vergangenen Jahres gab es gedruckte Banknoten im Wert von 1.570 Milliarden Euro. Wer braucht angesichts von Giro- und Kreditkartenkonten soviel Geld?
Aus einer Studie der Bundesbank geht hervor, dass in Deutschland nur rund ein Zehntel des Bargelds für echte Geschäfte genutzt wird. Der große Rest dient dazu, Werte aufzubewahren. 30 Prozent der baren Eurowerte verschwinden demnach in deutschen Geldspeichern, 20 Prozent werden in anderen europäischen Ländern gebunkert und 40 Prozent im Rest der Welt.
Bargeld statt Konto
In den Jahren nach der Finanzkrise 2008/2009 gab es für Geldanlagen keinen oder allenfalls niedrige Zinsen. Wenn Geschäftsbanken ihr Geld bei der Bundesbank parkten, mussten sie ab 2014 sogar einen negativen Zins zahlen. Laut einer Studie der EZB war die Folge, dass Banken ihre Tresore mit Bargeld vollstopften. Es war billiger, Bargeld mit eigenem Personal hin und her zu tragen und es zu versichern, als virtuelle Guthaben bei der Notenbank anzulegen. Auch Privatleute verloren Freude an Festgeldkonten und hamsterten zu Hause Bares. "Mit dem Ende der Negativzinsphase ist das Wachstum des Banknotenumlaufs faktisch zum Erliegen gekommen", sagt Bundesbank-Vorständin Sabine Mauderer. Das erreichte Niveau bleibt aber hoch.
"Die verstärkte Nachfrage nach Banknoten ist ein typisches Phänomen in Krisenzeiten, wo die Menschen auf Bewährtes setzen und dem Bargeld als ausfallsicherem Zentralbankgeld ihr Vertrauen schenken", schreibt die Bundesbank in einer Studie. Als in den Lockdowns zu Beginn der Pandemie unklar war, ob die Geldversorgung weiter funktioniert, wurden hohe Bargeldbeträge gehortet.
Im Ausland viel Cash
In Ländern mit hoher Korruption, schlechter Verwaltung und teurem und mangelhaftem Bankenwesen ist Bargeld ohnehin das Mittel der Wahl. Wenn auch noch die nationale Währung schwach ist, sind Dollar und Euro Trumpf.
Zwar zahlen viele Urlauber ihre Reisen in Deutschland. Reiseunternehmen entlohnen ihre Dienstleister vor Ort bargeldlos durch Überweisungen und Schecks. Aber je exotischer ein Reiseziel wird, desto mehr Bargeld nehmen Touristen mit. Mit steigender Reisebegeisterung steigt so der Bedarf an Bargeld.
Während der Krise um stockende Bezahlung hoher Staatsschulden wurde 2015 in Griechenland Geld knapp. Geldautomaten zahlten nur noch begrenzt aus. Folge war, dass Touristen aus Nordeuropa bündelweise Euros mitbrachten. Die Bundesbank registrierte drastische Zunahme der Nachfrage nach Fünfzigern und brachte 22 Millionen zusätzliche Scheine in Umlauf.
Verbrecherische Geschäfte
Über einen naheliegenden Markt für Bargeld schweigen amtliche Studien - über die Wirtschaft von Verbrechern. Drogenhändler und Erpresser arbeiten nicht mit Girokonten, sondern sammeln große Mengen Bargeld. Das muss gewaschen werden. In Europa wird es deswegen immer schwieriger, Geld auf Konten einzuzahlen. Ab 10.000 Euro werden peinliche Fragen gestellt. In der EU werden gerade Gesetze vorbereitet, die generell Bargeldgeschäfte auf 10.000 Euro beschränken.
Um Geldwäsche einzudämmen, gibt die EZB seit fünf Jahren keine 500-Euro-Scheine mehr heraus. Was zur Folge hatte, dass die Nachfrage nach 100- und- 200-Euro-Scheinen stieg. Eine Auswertung der Bundesbank zeigt, dass diese großen Scheine weit häufiger von Banken ausgezahlt werden, als dass sie dort eingezahlt werden. Sie verschwinden also in Geldspeichern.
Wie Bares die EU verlässt
Beträge ab 10.000 Euro müssen beim Grenzübertritt angemeldet werden. Die "Financial Intelligence Unit" des deutschen Zolls registrierte 2022 weniger als 500 Fälle von versuchtem Geldschmuggel. Die Zugriffe zeigen, dass das Netz große Löcher hat. Sieben von zehn Meldungen kamen von Flughäfen, wo Gepäck genauer betrachtet wird. Jeder vierte Fall flog bei Polizeikontrollen von Autos auf. In nur fünf Fällen wurden zweifelhafte Bargeldmengen in Eisenbahnzügen festgestellt. Die Auswertungseinheit des Zolls nennt hierzu keine Beträge. Ein Fall mit 25.000 Euro wird als beispielhaft geschildert.
Es werden Bargeldmengen in Länder geschafft, die nicht penibel sind. Als beliebt und gut erreichbar gelten die Türkei und die Balkanstaaten. Am Münchner Flughafen wurde Anfang Februar ein Reisender mit Ziel Istanbul mit 1,4 Millionen Euro im Koffer geschnappt. In seiner Wohnung wurde eine Geldzählmaschine sichergestellt.