Ein Geschäftsmann hält Blätter mit Zahlentabellen in der Hand.
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Nachhaltige Firmenfinanzierung Geldgeber wollen mehr als Zahlen

Stand: 21.10.2024 12:02 Uhr

Früher ging es bei Krediten ausschließlich um Finanzkennzahlen: Umsatz, Gewinn, Schuldenstand. Jetzt wollen Banken und Investoren mehr wissen: Wie geht ein Unternehmen mit der Umwelt, seinen Mitarbeitern und mit Führung um?

Von Oliver Günther und Jens Borchers, hr

Als die Norma Group aus dem hessischen Maintal neue Maschinen brauchte, war klar: Sie sollen weniger Energie verbrauchen und risikoärmer in der Wartung sein als die Vorgänger. Und: Sie mussten finanziert werden. Annette Stieve, Finanzvorständin der Norma Group, wusste, dass Nachhaltigkeit auch bei Finanzierungen eine immer größere Rolle spielt. Das börsennotierte Unternehmen - mehr als 8.000 Mitarbeiter weltweit, Jahresumsatz 2023 von 1,2 Milliarden Euro - stellt unter anderem Komponenten für die Automobilindustrie her.

"Nachhaltigkeit ist ganz tief in unserer Unternehmensstrategie verankert", sagt Stieve. Und das soll sich ja lohnen, auch bei einer Finanzierung. Also bot Norma einen Schuldschein für 120 Millionen Euro an. In den konnten Banken und andere Geldgeber investieren. Dieser Schuldschein hat einen besonderen Dreh: Wenn die Firma festgelegte Nachhaltigkeitsziele erreicht und übertrifft, muss sie den Investoren weniger Zinsen zahlen. Verfehlt Norma die Nachhaltigkeitsziele, steigt der Zinsgewinn der Geldgeber. Das Interesse bei den Geldgebern war riesig.

Nachhaltigkeit für Investoren interessant

"Für uns als Bank ist es essenziell, dass wir auch nachhaltiger werden." So sieht es Tim Buchholz. Er ist bei der DZ Bank in Frankfurt zuständig für nachhaltige Finanzierungen. Auch Finanzinstitute müssen in ihren Portfolios sichtbar machen, dass sie zukunftsfähige Firmen finanzieren. Deshalb investierte auch die DZ Bank, gemeinsam mit 20 anderen Kreditgebern, in den Schuldschein der Norma Group mit dem Nachhaltigkeitsdreh.

Das ist modernes Risikomanagement. Denn welche Bank will ein Unternehmen finanzieren, dessen Strategie nicht zukunftsfähig ist? Weil es zum Beispiel zu viel Ressourcen verbraucht? Oder weil es zu abhängig von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas ist, die in den kommenden Jahren immer mehr kosten werden?

Die Norma Group ist als börsennotiertes Unternehmen schon seit Jahren dazu verpflichtet, so genannte "nichtfinanzielle Daten" zu veröffentlichen. Daten, die Auskunft darüber geben, welche Rolle Aspekte zu den Themen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung in der Firma spielen. Diese sogenannten ESG-Kriterien spielen dann eben auch bei der Bewertung einer Finanzierung eine immer größere Rolle.

"Das ist kein Öko-Hokuspokus"

Denn da ist ein Kreislauf in Gang gekommen: Die Europäische Union hat mit ihren Regeln des "Green Deal" Normen gesetzt. Die bedeuten in der wirtschaftlichen Praxis für ein Industrieunternehmen wie die Norma Group, dass es in Nachhaltigkeit investieren muss: weniger CO2-Emissionen, weniger Energieverbrauch, mehr Wertschätzung für Mitarbeiter, mehr soziale Angebote.

Banken sind ebenfalls darauf verpflichtet, auch sie müssen das in ihren Strategien berücksichtigen. Deshalb ihr zunehmendes Interesse an "grünen" Finanzierungen. Kristina Jeromin, Expertin für zukunftsfähige Finanzierung, mag allerdings den Begriff "grün" im Zusammenhang mit solchen Finanzfragen keineswegs: "Das ist nicht irgendein Öko-Hokuspokus, sondern Nachhaltigkeitsinformationen sind relevanter Teil der Zukunftsfähigkeit von Unternehmen."

Für viele Firmen noch handfeste Probleme

Aber sie weiß auch: Noch gibt es handfeste Probleme. Zum Beispiel: keine gemeinsame Sprache. Viele Unternehmen verfügen noch gar nicht über die relevanten Daten. Sie müssen sie erst mühsam zusammensuchen oder erstellen lassen. Hinzu kommt, dass die Unternehmen aktuell von verschiedenen Banken teilweise gänzlich unterschiedliche Fragebögen vorgelegt bekommen.Das müsse deutlich erleichtert werden, sagt Jeromin, damit für die Firmen klar sei, welche Daten wirklich für alle notwendig sind.

Erleichterung würde bedeuten: einheitliche, klare Standards für alle. Bisher macht jede Bank ihre eigenen Nachhaltigkeitskriterien. Und beide Seiten, Banken wie Unternehmen, stöhnen über zusätzliche Bürokratie. Aber der Aufwand kann sich durchaus lohnen. Bei der Norma Group und ihrem Schuldschein hat sich Finanzvorständin Stieve das genau angesehen. Das Ergebnis: Wer über die notwendigen messbaren Daten zu Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsaspekten verfügt, kann bei einer Finanzierung mit Nachhaltigkeitskomponente profitieren. "Dann kommen Sie in den Genuss dieses Bonus aus der Zinsmarge, was dann schon auch durchaus ein fünfstelliger Betrag sein kann."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 17. Oktober 2024 um 11:30 Uhr in der Wirtschaft.