Nach der Powell-Rede Zinssorgen dominieren
Die Aussicht auf weitere Zinserhöhungen der amerikanischen Notenbank ließ zur Wochenmitte keine Kauflaune aufkommen. DAX und Dow Jones zogen sich weiter zurück.
Die Rede von Jerome Powell vor dem US-Kongress ließ an Klarheit kaum zu wünschen übrig. Es sei noch "ein langer Weg", bis das Ziel einer Inflationsrate von 2,0 Prozent erreicht werde, erklärte der amerikanische Notenbankchef. Fast alle Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses rechneten damit, dass bis zum Jahresende weitere Anhebungen angemessen sein dürften.
Dieses klare Signal für weitere Zinserhöhungen war nach den Äußerungen nach dem letzten Zinsentscheid an sich keine Überraschung mehr, war aber nicht geeignet, die ohnehin etwas angeschlagenen Aktienmärkte zu beflügeln. Immerhin ließ Powells Aussage, dass es sinnvoll sein könnte, die Zinsen in einem moderateren Tempo anzuheben, die Notierungen wieder steigen. Am Ende ging der Leitindex Dow Jones moderate 0,3 Prozent tiefer aus dem Handel.
Die zinssensitiveren Technologieaktien standen stärker unter Druck. Der Nasdaq 100 büßte 1,35 Prozent ein.
Der DAX schloss unter dem Eindruck der Powell-Rede mit einem Minus von 0,55 Prozent nahe seines Tagestiefs. "Die Börsenampel für den Deutschen Aktienindex bleibt so lange auf grün, wie der Markt über 16.000 Punkten notiert", kommentierte Marktexperte Jürgen Molnar von RoboMarkets die derzeitige Lage. "Andernfalls könnte es schnell gehen. Denn auch weil sich fundamental die Rahmendaten für die deutsche Wirtschaft nicht wirklich verbessern, steigt die Skepsis."
Belastend für den deutschen Handel waren neue Prognosen zur deutschen Konjunktur. Das ifo-Institut erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 0,4 Prozent sinken dürfte - und damit stärker als noch im Frühjahr vorausgesagt (minus 0,1 Prozent). Zugleich wurde die Wachstumsprognose für das kommende Jahr 1,7 auf 1,5 Prozent Wachstum reduziert. Größte Bremse im laufenden Jahr dürfte der private Konsum sein, weil die hohe Inflation für viele Verbraucher teils deutliche Kaufkraftverluste bedeutet.
Am Devisenmarkt trieb die Aussage von Fed-Chef Powell, dass ein moderateres Zinstempo sinnvoll sein könnte, den Euro an. Die europäische Gemeinschaftswährung kletterte in Richtung der Marke von 1,10 Euro.
Die Ölpreise zogen deutlich an. Ein Barrel der Nordsee-Ölsorte Brent kostete am Abend 77,07 Dollar, 2,1 Prozent mehr als gestern. Die Notierung profitierte vom schwächeren Dollar. Rohöl wird überwiegend in der US-Währung gehandelt. Daher stützt ein schwächerer Dollar die Nachfrage. Stabilisiert werden die Ölpreise laut Händlern auch durch die Anstrengungen der chinesischen Regierung und der Notenbank, die Konjunktur zu stützen.
Die Papiere von VW, BMW und Mercedes-Benz wurden im DAX zeitweise von den jüngsten Zulassungszahlen beflügelt. Dank der hohen Nachfrage nach Elektroautos ist der Pkw-Markt in der EU weiter gewachsen. Im Mai stiegen die Neuzulassungen über alle Antriebsarten hinweg um 18,5 Prozent auf fast eine Million Einheiten, wie der europäische Herstellerverband ACEA mitteilte. Dabei kletterte der Absatz von Elektroautos um mehr als 70 Prozent.
Positive Meldungen kamen zudem aus China. Das Land verlängert die Steuererleichterungen für Verbraucher beim Kauf neuer Elektroautos teils bis 2027. Die Maßnahme folgt auf eine Reihe von Schritten, um den Verkauf und die Produktion im weltgrößten Markt für E-Fahrzeuge anzukurbeln.
Besondere Aufmerksamkeit erhielt Volkswagen. Der Autobauer will seinen Umsatz bis 2027 um jährlich fünf bis sieben Prozent steigern. Dabei soll der Aufwand für Sachinvestitionen sowie Forschung und Entwicklung spürbar sinken. Die Investitionsquote soll bis 2027 auf unter elf Prozent des Umsatzes zurückgefahren werden, teilte der DAX-Konzern anlässlich eines Investorentages mit.
Für dieses Jahr haben die Wolfsburger noch einen Anteil von 14,5 Prozent der Erlöse für Investitionsausgaben eingeplant. Konzernchef Oliver Blume will die derzeit nur schwach ausgelasteten Werke besser nutzen, indem an einzelnen Standorten mehr für verschiedene Marken gleichzeitig gefertigt wird. Die hohe Investitionsquote des Konzerns ist seit langem ein Kritikpunkt von Investoren. Dank der geringeren Investitionen soll das operative Ergebnis steigen. Peilte VW in der mittleren Frist zuletzt acht bis neun Prozent Umsatzrendite im Konzern ein, sollen es 2027 jetzt acht bis zehn Prozent werden. Dabei kommen auch geplante Einsparungen zum Tragen.
Blume erklärte auf der Veranstaltung, dass der Konzern sein umstrittenes Werk in der chinesischen Provinz Xinjiang von unabhängigen Prüfern durchleuchten lassen will. "Wir planen ein transparentes, unabhängiges externes Audit, um der Öffentlichkeit volle Transparenz zu geben", so der Konzernchef.
Ein enttäuschender Gewinnausblick des US-Paketdienstleisters FedEx belastete auch die Aktie der Deutschen Post. Sie verlor 2,5 Prozent. FedEx hat im vierten Geschäftsquartal einen Gewinnrückgang verzeichnet. Die Ergebnisse seien durch eine schwächere Nachfrage belastet worden und dies habe geplante Kostensenkungen überlagert, hieß es am Markt. Für die Konkurrenz aus Europa sei die Entwicklung bei FedEx ein schlechtes Signal, so ein Händler.
Im MDAX gehörte die Lufthansa zu den stärksten Titeln. Die Airline verkauft ihren Zahlungsspezialisten AirPlus für 450 Millionen Euro an die schwedische Bank SEB. "Nach den bereits erfolgten Vereinbarungen - zur Veräußerung der LSG-Gruppe im April und jüngst für eine Beteiligung an ITA - ist der Verkauf von AirPlus der nächste große Schritt in der Strategie der Lufthansa Group, sich künftig auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren", so Lufthansa-Finanzchef Remco Steenbergen. Es werde erwartet, dass der Verkauf einen positiven Effekt auf die operative Marge und die Kapitalrendite der Lufthansa haben wird.
Die Aktie der SGL Group im SDAX rutschte um mehr als sechs Prozent abwärts. Sie reagierte damit auf eine mögliche Kapitalerhöhung. SGL verschafft sich durch eine Wandelanleihe im Wert von etwa 120 Millionen Euro frische finanzielle Mittel. Aus diesem Erlös soll die Verschuldung gesenkt und eine bestehende Anleihe refinanziert werden. Die neuen Schuldverschreibungen sollen in bis zu 12,2 Millionen Stückaktien wandelbar sein, was rechnerisch in etwa einer Kapitalerhöhung von rund zehn Prozent entspricht. Zu den Zeichnern gehört auch die Großaktionärin Skion, die Beteiligungsgesellschaft der Unternehmerin Susanne Klatten, die zuletzt noch 28,5 Prozent hielt.
Am Nachmittag sprang die Cancom-Aktie nach oben. Der IT-Dienstleister will in den nächsten zwölf Monaten eigene Aktien zurückkaufen. Vom 3. Juli bis Ende Juni nächsten Jahres sollen bis zu gut 3,85 Millionen eigene Aktien am Markt erworben werden, teilte das Unternehmen mit. Dabei würden insgesamt bis zu 9,92 Prozent des derzeitigen Grundkapitals über die Börse gekauft.
Der angeschlagene Immobilieninvestor Adler Group soll weitermachen. Die Aktionäre stimmten auf der außerordentlichen Hauptversammlung in Luxemburg für die Fortführung des Unternehmens. Die Mitglieder des Verwaltungsrats wurden entlastet, obwohl das Unternehmen noch immer keinen Abschlussprüfer für die Bilanz des Jahres 2022 gefunden hat. Die hochverschuldete Adler Group hatte nur mit Zugeständnissen der Gläubiger eine Insolvenz abgewendet. "Adler ist auf dem Weg in eine neue Normalität", sagte Verwaltungsratschef Stefan Kirsten. Die restrukturierte Gruppe werde kleiner, klarer in ihrer Organisation und fokussierter in ihrem Geschäftsmodell sein.
Der österreichisch-rumänische Energiekonzern OMV Petrom erschließt ein großes Gasfeld im Schwarzen Meer. Das Gasfeld "Neptun Deep" habe ein förderbares Volumen von 100 Milliarden Kubikmeter Gas, teilte OMV mit. In den nächsten Jahren werde OMV Petrom in das Projekt bis zu vier Milliarden Euro investieren. "Neptun Deep" soll eines der größten Erdgasprojekte in der Europäischen Union werden. Das erste Gas werde voraussichtlich 2027 fließen. Die österreichische OMV hält 51 Prozent an dem Unternehmen.