Mehr Jobs für Flüchtlinge? Es dauert und es kostet
VW, RWE, Siemens - alle wollten sie Jobs für Flüchtlinge schaffen. Was wurde bislang erreicht und wie sieht die Prognose aus? tagesschau.de erklärt, welche Faktoren über die Integration auf dem Arbeitsmarkt entscheiden.
Zusammengestellt von Ute Welty, tagesschau.de
Wer traf sich im Kanzleramt?
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Unternehmen eingeladen, die sich an der Initiative "Wir zusammen" beteiligen. Dazu zählen unter anderem Siemens, Evonik, Opel, RWE und VW - Firmen, die weltweit fast 1,1 Millionen Mitarbeiter beschäftigen.
Eine Umfrage unter 100 der beteiligten Firmen ergab, dass diese Firmen bislang 449 Flüchtlinge fest angestellt haben. Mehr als 3200 Praktikumsplätze wurden angeboten, von denen 1800 vergeben sind. Von den rund 700 Ausbildungsplätzen für Flüchtlinge waren mehr als 530 in Anspruch genommen worden.
Wie viele Flüchtlinge suchen Arbeit?
Laut Bundesagentur für Arbeit waren im August 153.000 Flüchtlinge als arbeitslos registriert, 13.000 mehr als im Juli. Die meisten von ihnen waren jünger als 35 Jahre. Als arbeitslos gilt, wer keine Arbeit hat, aber dem Arbeitsmarkt sofort zu Verfügung steht. Deswegen gelten alle Flüchtlinge, die zum Beispiel einen Integrationskurs besuchen, nicht als arbeitslos, sondern als arbeitssuchend. Ihre Zahl beläuft sich auf 193.000. Das macht insgesamt 346.000 Menschen, die ohne Job oder Ausbildungsplatz sind.
Erst seit Juni registriert die Bundesagentur für Arbeit Flüchtlinge gesondert. Damit wird die die bisherige Praxis ergänzt, die Zahl der Arbeitssuchenden und Arbeitslosen nach Herkunftsland aufzuschlüsseln. Diese Statistik weist dann auch die aus, die aus der Statistik herausfallen. So haben mehr Menschen, die aus einem nicht-europäischen Asylherkunftsland wie Syrien, Irak oder Afghanistan kommen, eine sozialversicherungspflichtige Arbeit gefunden. Der Wert stieg gegenüber 2015 um 25.000 auf 103.000 Personen. Die Bundesagentur für Arbeit spricht in diesem Zusammenhang von einem "moderaten" Wachstum.
Was hat die Bundesregierung bislang erreicht?
Die Bundesregierung betont immer wieder, mit dem Integrationsgesetz zügig wichtige Maßnahmen umgesetzt zu haben: im Mai von der Regierung beschlossen, im Juli vom Bundestag verabschiedet und seit August in Kraft. Die Länder können jetzt entscheiden, ob sie die sogenannte Vorrangprüfung für drei Jahre aussetzen und haben das in großem Umfang bereits getan. Bei der Vergabe eines Jobs muss also nicht mehr überprüft werden, ob ein Deutscher oder ein EU-Bürger für diese Tätigkeit zu Verfügung steht, der dann vor anderen Bewerbern zu bevorzugen ist.
Asylbewerber dürfen auch als Leiharbeiter beschäftigt werden. Außerdem finanziert die Bundesregierung 100.000 Minijobs "in und um Aufnahmeeinrichtungen". Diese sind nicht als feste Arbeits-oder Beschäftigungsverhältnisse gedacht, sondern als niedrigschwelliger Einstieg in die Arbeitswelt. Wer eine Ausbildung beginnt, darf für die gesamte Dauer in Deutschland bleiben. Die bislang bestehende Altersgrenze für den Beginn einer Ausbildung ist aufgehoben, die Unternehmen treffen die Entscheidung. Wer in Deutschland geduldet wird und erfolgreich eine Ausbildung abschließt, kann damit rechnen, dass er für sechs weitere Monate geduldet wird. Bei anschließender Beschäftigung soll es eine zweijährige Aufenthaltserlaubnis geben.
Warum finden Flüchtlinge keine Arbeit?
Wichtigster Grund: Die Sprachkenntnisse reichen nicht aus. Viele Arbeitgeber, so heißt es, fordern das fortgeschrittene B2-Sprachniveau. Nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen bedeutet das, dass jemand in der Lage ist, Inhalte komplexer Texte zu verstehen, auf dem eigenen Spezialgebiet Fachdiskussionen zu führen und sich spontan und fließend zu verständigen.
Die Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD hält immerhin B1-Niveau für realistisch, mit dem die meisten Alltagssituationen sprachlich zu bewältigen sind. Noch 2014 hätten 40 Prozent der Flüchtlinge nach zehn Jahren dieses Niveau erreicht. Inzwischen sei davon auszugehen, dass künftig dieser Wert auf 60 Prozent steigen werde.
Trotz dieser günstigeren Annahme: Spracherwerb braucht Jahre. Matthias Schulze-Böing, Leiter des Offenbacher Amts für Arbeitsförderung, macht deshalb einen ganz anderen Vorschlag. Er regt an, Firmen und Abteilungen zu gründen, in denen Flüchtlingen in ihrer Muttersprache arbeiten können. Der herkömmliche Weg, Flüchtlinge in Sprach- und Integrationskursen mit Milliardenaufwand an den Arbeitsmarkt heranzuführen, funktioniere nicht.
Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung stellt zudem fest: Flüchtlinge bekommen selten einen Job, weil die für sie passenden Jobs zum Beispiel durch zunehmende Digitalisierung immer seltener werden.
Wo klappt es trotzdem?
In Baden-Württemberg haben die elf "Kümmerer-Stellen" der Industrie- und Handelskammern etwa 300 Flüchtlinge in Praktika und Ausbildung vermittelt. Die IHK Pfalz hat einen Fonds mit einer Million Euro ausgestattet, um den Ausbildungsstand und die Fähigkeiten von Flüchtlingen zu testen, denn häufig fehlen Zeugnisse oder andere Dokumente. Die Mainzer Verkehrsgesellschaft qualifiziert Flüchtlinge für eine Ausbildung als Busfahrer. Immerhin vier von 20 Flüchtlingen starten damit im Oktober.
Auch die Bundesagentur für Arbeit beschäftigt 166 Mitarbeiter aus acht nicht-europäischen Asylherkunftsländern, darunter 110 Syrer. 64 junge, geflüchtete Menschen beginnen zurzeit eine Ausbildung zum Fachangestellten für Arbeitsmarktdienstleistungen. Mit einem Ausbildungsprogramm für 45 Syrer will die Bundeswehr einen Beitrag zur Integration von Flüchtlingen leisten. An sechs Standorten in Bayern, Niedersachsen und Berlin werden vierwöchige Kurse angeboten, die Grundkenntnisse in den Bereichen Handwerk, Sanitätsdienst, Technik und Bau vermitteln. Wer will, kann mehrere Kurse besuchen.
Wesentlich zahlreicher sind dagegen die Praktika, die Flüchtling im Rahmen von Sprachkursen absolvieren. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bietet eine berufsbezogene Sprachförderung an, die Deutschunterricht, berufliche Qualifizierung und Praktika miteinander verbindet. Teilnehmer nehmen verpflichtend an vierwöchigen Betriebspraktika teil - im vergangenen Jahr besuchten rund 23.000 Migranten solche Kurse, in diesem Jahr nach Auskunft des BAMF bislang rund 19.000.
Welche Erfahrungen können helfen?
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat die Daten derjenigen analysiert, die zwischen 1990 und 2010 aus Ländern wie Mazedonien, Tadschikistan und Afghanistan nach Deutschland flüchteten. Eine Befragung des DIW ergab, dass mehr als 65 Prozent aller geflüchteten Männer innerhalb von fünf Jahren in Deutschland Arbeit fanden. Bei den Frauen waren es nur 25 Prozent. Entscheidend für den Erfolg bei der Arbeitssuche war zur Hälfte der persönliche Kontakt über Freunde, Bekannte und Angehörige.
Die Flüchtlinge sprachen bei ihrer Ankunft schlechter Deutsch als andere Zuwanderer, holten diesen Rückstand aber schnell auf. Das DIW betont, dass schon viele institutionelle Hindernisse aus dem Weg geräumt wurden, sieht aber noch reichlich Potenzial. So besuchten Kinder von Flüchtlingen selten eine Kita, wenn sie jünger als drei Jahre waren. Auch sei es hilfreich, ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter mit Flucht- und Migrationshintergrund für den Bildungsbereich zu rekrutieren.
Wie sieht die Prognose aus?
Es dauert und es kostet, da sind sich die Beobachter einig. Grundsätzlich geht man aber davon aus, dass sich die Investition lohnt. Deutsche-Bank-Chefvolkswirt David Folkerts-Landau meint, durch erfolgreiche Integration könne "ein erheblicher Teil des demografisch bedingten Rückgangs des Trendwachstums in den nächsten zehn bis 15 Jahren vermieden werden".
Ähnlich argumentiert Alain Dehaze, Chef der weltgrößten Personalagentur Adecco. Deutschland müsse dem drohenden Mangel an Arbeitskräften angesichts der alternden Bevölkerung und des schrumpfenden Personalangebots entgegenwirken. "Flüchtlinge können eine Schlüsselrolle dabei spielen", so Dehaze.