Krise in Venezuela "Aus" für die Schön-Wetter-Demokratie
Kein Geld, kein Strom und bald auch keine Demokratie mehr: Lateinamerika-Experte Detlef Nolte sieht die Entwicklung Venezuelas kritisch. Warum sich Präsident Maduro in einer Grauzone bewegt, erklärt Nolte im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Heute sind Einzelheiten bekannt geworden, was die Verlängerung des Ausnahmezustands in Venezuela bedeutet. Danach kann Präsident Nicolás Maduro unter anderem das Militär einsetzen, um die Lebensmittelproduktion und –verteilung zu sichern. Mit "Spezialmaßnahmen" soll laut Dekret auch eine Einmischung des Auslands in innere Angelegenheiten unterbunden werden. Sind diese Sondervollmachten noch mit demokratischen Grundsätzen vereinbar?
Detlef Nolte: Präsident Maduro bewegt sich in einer Grauzone, in der die dunkleren Töne sicherlich überwiegen. Die Entwicklung Venezuelas in den vergangenen Monaten und Wochen verläuft vom demokratischen System weg und auf ein autoritäres System zu.
Das beginnt damit, dass Maduro das Wahlergebnis von Dezember in seinem Handeln nicht anerkennt. Damals hatte das oppositionelle Parteienbündnis Mesa de la Unidad Democrática gewonnen, was als Erdrutschsieg gewertet wurde. Maduros Parteifreunde im Obersten Gerichtshof haben dafür gesorgt, dass die gewählte Mehrheit im Parlament gleich entmachtet wurde. Grundsätzlich ist es nämlich so, dass die Abgeordneten über solche Sondervollmachten wie jetzt mit entscheiden. Der Oberste Gerichtshof hat aber nach einer, um es vorsichtig zu formulieren, eigenwilligen Interpretation der Verfassung dem Parlament dieses Recht abgesprochen.
Seit 2006 leitet der Politikwissenschaftler Detlef Nolte das GIGA Institut für Lateinamerika-Studien in Hamburg. Er forscht zu regionalen Führungsmächten, politischen Institutionen und Vergangenheitspolitik in Lateinamerika.
tagesschau.de: Welche Gefahr geht von einem möglichen Militäreinsatz aus?
Nolte: Das jüngste Dekret sieht vor, dass der Präsident das Militär einsetzen kann, zum Beispiel um Lebensmittel zu verteilen oder um Unruhen zu bekämpfen. Ein solcher Einsatz sollte gut überlegt sein, denn Maduro könnte ein erhebliches Risiko eingehen. Wenn er das Militär in einer hochpolarisierten Situation zum Schiedsrichter macht, ist nicht auszuschließen, dass sich das Blatt gegen ihn selbst wendet, weil sich das Militär möglicherweise ungern zum Handlanger für eine offene Repressionspolitik degradieren lässt. Maduro könnte zum Bauernopfer werden, falls sich das Militär vom Regime distanzieren möchte. Auch wenn es bisher eine wichtige Stütze war.
tagesschau.de: Venezuela steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise und steht offenbar kurz vor dem Staatsbankrott. Darf oder muss der Präsident in dieser Situation nicht tatsächlich zu drastischen Maßnahmen greifen?
Nolte: Sicher verlangen außergewöhnliche Situationen nach außergewöhnlichen Maßnahmen. Aber die jetzige Regierung ist für den Absturz Venezuelas größtenteils selbst verantwortlich. Viele der Fehler sind hausgemacht, allein, dass es nicht gelingt, die Korruption zu bekämpfen. Auf dem Index von Transparency International liegt Venezuela auf dem 158. von 168 möglichen Plätzen. Da ist nicht viel Luft nach unten. Dazu kommt der niedrige Ölpreis, denn Öl ist die Hauptdevisenquelle für das Land. Dadurch gerät die Wirtschaft zusätzlich unter Druck.
Was soll die Zwei-Tage-Woche?
tagesschau.de: Was hätte Maduro eher tun können, um die Situation in den Griff zu bekommen? Manche Maßnahme wie die Einführung der Zwei-Tage-Woche wirkt, von hier aus betrachtet, eher absurd denn zielführend.
Nolte: Das Hauptmotiv vieler dieser Maßnahmen ist der eigene Machterhalt. Ich kann nicht erkennen, dass die Zwei-Tage-Woche oder die Verschiebung der Zeitzone zu einer wirtschaftlichen Verbesserung führen. Maduro ist nicht bereit, seine Politik auf eine breitere gesellschaftliche Basis zu stellen. Wenn er im Parlament über keine Mehrheit verfügt, sollte er auf die Opposition zugehen und diese nicht vor den Kopf stoßen. Mit der jetzigen Wirtschaftspolitik verprellt er überdies auch noch die letzten investitionswilligen Unternehmer.
Lebensmittel und Strom sind knapp: Venezuela erlebt eine dramatische Wirtschaftskrise mit dreistelliger Inflationsrate. Grund dafür sind der sinkende Ölpreis und eine langanhaltende Dürre.
tagesschau.de: Die Opposition will Maduro über ein Referendum zu Fall bringen. Er selbst sagt, er wolle einem Putsch vorbeugen. Für wie groß halten Sie die Gefahr eines Putsches in Venezuela?
Nolte: Akut sehe ich keine Putschgefahr, die von der Opposition ausgeht. Die Opposition versucht, Maduro zu stürzen, aber mit den konstitutionellen Mitteln, die dafür vorgesehen sind.
Die venezolanische Verfassung sieht ausdrücklich vor, dass der Präsident in einer Volksabstimmung abgewählt werden kann. Dafür sammelt die Opposition derzeit Stimmen. Die Regierung will das natürlich blockieren, unter anderem eben mit der Einführung der Zwei-Tage-Woche. Wenn die entsprechenden Behörden nur an zwei Tagen in der Woche arbeiten, dann dauert die Überprüfung der Unterschriften für ein Referendum entsprechend länger, was Maduro ein zusätzliches Zeitpolster verschafft. Ihm ist daran gelegen, ein Referendum möglichst weit hinaus zu schieben. Sollte er es vor Januar 2017 verlieren, muss neu gewählt werden. Verliert Maduro das Referendum nach Januar 2017, folgt ihm sein Vizepräsident nach, um die Zeit bis zur nächsten regulären Wahl zu überbrücken.
"Die Zeiten des Wirtschaftsbooms sind vorbei"
tagesschau.de: Inwieweit wird die Situation in Venezuela zusätzlich durch Nachrichten aus Brasilien angeheizt, wo Präsidentin Dilma Rousseff sich mit einem Amtsenthebungsverfahren konfrontiert sieht und zurzeit vom Amt suspendiert ist?
Nolte: Nicht nur die brasilianische, sondern auch die argentinische Entwicklung führt dazu, dass sich die Regierung Maduro zunehmend isoliert fühlt. Die Abwahl von Cristina de Kirchner war der Anfang, jetzt folgte dann die Suspendierung von Rousseff.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Bürgerlichen die Sozialisten für jahrelange Träumereien und Versäumnisse bezahlen lassen. Ich sehe aber vor allem wirtschaftliche Gründe für diesen politischen Kurswechsel. Die Zeiten des Wirtschaftsbooms sind vorbei und damit auch die Zeiten der Schön-Wetter-Demokratien, die Zeiten von hohen Staatseinahmen und teuren Wähler-Geschenken.
Zum einen hatten viele Links-Regierungen also einfach Pech, dass sie jetzt mit einem wirtschaftlichen Abschwung zu kämpfen haben. Zum anderen beweisen die Entwicklungen in Brasilien und Argentinien einmal mehr, dass Macht auf Dauer korrumpiert. Ob es dann die Bürgerlichen besser können, muss sich erst noch zeigen. Bislang muten die verkündeten Rezepte sehr konventionell und eher rückwärtsgewandt an.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de