Luftverkehr Klimaneutrales Fliegen - eine Illusion
Klimaneutrales Fliegen ab 2050: Die Luftfahrtbranche stellt das gerne in Aussicht. Wachse der Luftverkehr wie vorhergesagt, könne das nicht funktionieren, sagen Forscher.
Das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu fliegen, sei ambitioniert, aber realistisch, schreibt der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) und weckt damit die Hoffnung, in Zukunft ohne schlechtes Gewissen fliegen zu können. Ermöglichen möchte die Industrie das durch "High-Tech-Lösungen" wie etwa neue Flugzeuge und nachhaltige Treibstoffe.
Doch Wissenschaftler warnen davor, sich beim Klimaschutz allein auf neue Technologien zu verlassen. Die Herausforderungen bei der Entwicklung seien dafür noch zu groß, sagt etwa der Mobilitätsforscher Stefan Gössling, Professor an der schwedischen Universität Kalmar.
Mobilitätsforscher Stefan Gössling
Flugverkehr wird voraussichtlich stark wachsen
Außerdem wird der Flugverkehr Prognosen zufolge in den kommenden Jahren noch kräftig wachsen und sich bis 2050 mindestens verdoppeln. Auch deshalb könnten die Klimaschutzziele nur erreicht werden, wenn die Politik die Nachfrage nach Flügen bremse, so der Wissenschaftler Gössling.
Doch das Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing will das nicht. Auf Anfrage des ARD-Magazins Panorama teilt es mit, die "Bundesregierung möchte die gesellschaftlichen Bedürfnisse nach Mobilität nicht einschränken." Stattdessen setze sie auf eine "technologieoffene Förderung von Forschung und Entwicklung". Vor allem nachhaltige Kraftstoffe würden eine Schlüsselrolle spielen. So könne der "Luftverkehr seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten und auch das prognostizierte Wachstum kompensieren."
Politik und Luftfahrtbranche hoffen dabei vor allem auf synthetisches Kerosin, das aus erneuerbarer Energie, Wasser und Kohlendioxid hergestellt werden kann. Der nachhaltige Treibstoff soll nach und nach das klimaschädliche Kerosin aus Erdöl ersetzen.
Riesige Mengen erneuerbarer Energien nötig
Doch noch sind die Herausforderungen bei der Entwicklung riesig. Unklar ist auch, wo die gigantische Menge an erneuerbarer Energie herkommen soll, die benötigt wird. Allein um den aktuellen Kerosinbedarf synthetisch zu decken, wäre mindestens dreimal so viel Solar- und Windenergie nötig, wie weltweit 2021 insgesamt produziert wurde.
Alles, was gerade geplant sei, werde bei weitem nicht reichen, sagt der Verkehrsexperte Gössling. "Wir brauchen gewaltige Mengen an Treibstoffen." Und dafür sind weltweit Hunderte, möglicherweise sogar Tausende neuer, großer Produktionsanlagen nötig.
In Jülich forscht das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) an der Herstellung von synthetischem Kerosin mithilfe von Sonnenwärme.
Zwischenziel wird wohl verfehlt
Bereits das erste Zwischenziel, das die Bundesregierung gesetzlich festgelegt hat, wird wohl verfehlt. Ab 2026 muss nämlich eigentlich 0,5 Prozent des in Deutschland getankten Kerosins synthetisch hergestellt sein. Doch das werde "nicht zu schaffen sein", schreibt die "Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany" (aireg) auf Anfrage von Panorama. In dem Verband haben sich große Unternehmen der Luftfahrtindustrie und Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen.
Auch das Umweltbundesamt (UBA) rechnet nicht damit, dass ausreichende Mengen an synthetischem Kerosin hergestellt werden können. Auf Anfrage von Panorama teilt es mit, es gehe davon aus, dass auch 2050 noch "zu einem wesentlichen Anteil fossiles Kerosin genutzt" werde.
Batterie- und Wasserstoffflugzeuge nur bedingt geeignet
Um klimaschädliche Emissionen zu vermeiden, werden auch Batterie- und Wasserstoffflugzeuge entwickelt. Doch die können selbst in optimistischen Szenarien nur zu einem kleinen Teil helfen. Denn Batterien sind für große Flugzeuge viel zu schwer, ihre Energiedichte ist im Vergleich zu Kerosin viel geringer. Zum Einsatz werden sie deshalb wohl nur in Kleinstflugzeugen auf kurzen Strecken kommen.
Auch Wasserstoff ist nur bedingt geeignet. Er braucht viel mehr Platz als Kerosin und wird deshalb voraussichtlich auch nicht für Langstrecken eingesetzt werden können. Airbus etwa entwickelt derzeit mögliche Flugzeugmodelle für mittlere Distanzen. Ein erster Prototyp solle bis Ende dieses Jahrzehnts entwickelt werden, teilte Airbus auf Anfrage mit. Die Zulassung werde dann noch einige Jahre dauern. Frühestens 2035 soll es in Betrieb gehen.
Damit es dann fliegen kann, müsste auch an den Flughäfen die nötige Infrastruktur geschaffen werden - und zwar überall. Das ist herausfordernd, denn flüssiger Wasserstoff muss bei minus 253 Grad gelagert werden. Was die Branche dagegen bereits in geringen Mengen nutzt sind Bio-Kraftstoffe. Allerdings ist Biomasse - etwa altes Speiseöl, Raps oder Holzreste - nur begrenzt verfügbar.
Auch 2050 noch CO2-Emissionen
So rechnet die Luftfahrtindustrie entgegen der eigenen Kampagne wohl selbst nicht damit, 2050 komplett CO2-frei unterwegs zu sein. Verschiedene Verbände und Unternehmen, darunter Airbus, Boeing und die Internationale Luftfahrtvereinigung (IATA), haben im September 2021 einen gemeinsamen Bericht veröffentlicht, wie sie die Emissionen reduzieren wollen. In sämtlichen Szenarien bleiben demnach Restmengen an CO2, die auf anderem Wege kompensiert werden sollen.
Auch Lufthansa schreibt auf die Frage von Panorama, ob 2050 komplett auf fossiles Kerosin verzichtet werden könne: Das Ziel sei, den Einsatz "kontinuierlich zu reduzieren". In welcher Geschwindigkeit dies geschehen könne, hänge noch von einer Vielzahl von Faktoren ab. Der Luftfahrt-Verband BDLI zeigt sich auch auf Nachfrage überzeugt, dass emissionsfreies Fliegen bis 2050 möglich sei. Entscheidend dafür sei "der Aufbau von Produktionskapazitäten von nachhaltigen Kraftstoffen sowie grünem Wasserstoff und der entsprechenden Infrastruktur".
Ungelöstes Problem: Nicht-CO2-Effekte
Und selbst wenn der CO2-Ausstoß weitgehend reduziert werden sollte, bliebe noch immer ein großes Problem ungelöst. Denn Flugzeuge schaden dem Klima nicht nur durch Kohlendioxid, sondern auch durch andere sogenannte Nicht-CO2-Effekte.
Stickoxide, Ruß und Kondensstreifen aus Wasserdampf tragen insgesamt etwa doppelt so stark zur Erderhitzung bei wie das CO2. Forscher und Industrie erwarten zwar, dass auch diese Nicht-CO2-Effekte gesenkt, aber nicht komplett vermieden werden können.
In einer aktuellen Studie der Fachzeitschrift "Nature" kommen Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die gesamten klimaschädlichen Emissionen 2050 noch so hoch wie 2021 sein werden, wenn der Flugverkehr so wächst wie von der Industrie vorhergesagt. Auch die Internationale Energie Agentur IEA sieht keine Chance, die Klimaziele im Flugsektor zu erreichen, ohne die Nachfrage zu bremsen. Weltweit dürften Geschäftsflüge und Fernurlaubsreisen demnach nicht über das Niveau von 2019 hinausgehen.
Auch Stefan Gössling sieht nur eine Chance, um die Klimaziele einzuhalten: Es muss weniger geflogen werden. "Ich würde mir von der Politik und auch von der Luftfahrt selbst mehr Ehrlichkeit wünschen", sagt er. Die Politik müsse jetzt deutliche Vorgaben machen, wie die Emissionen reduziert werden.
Anmerkung der Redaktion: In einer zunächst veröffentlichten, ersten Version dieses Artikels hieß es, der Luftfahrt-Verband BDLI habe auf eine schriftliche Anfrage nicht geantwortet. Das war leider falsch und ist korrigiert worden.