Karten mit der Aufschrift "Wer sich abschottet, macht dicht" aus der Kampagne "#bleiboffen" der Jenoptik AG
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Konjunktur in Ostdeutschland Was die Wahlergebnisse für die Wirtschaft bedeuten

Stand: 02.09.2024 16:15 Uhr

Viele junge Menschen ziehen weg - und ausländische Fachkräfte könnten abgeschreckt werden. Experten befürchten, dass die Erfolge der AfD die Wirtschaft im Osten weiter belasten könnten. Doch es gibt auch Hoffnungsschimmer.

Von Stefan Wolff, ARD-Finanzredaktion

Wer die börsennotierten Unternehmen in Thüringen und Sachsen zählen möchte, ist schnell fertig. Mit Carl Zeiss Meditech und Jenoptik aus dem thüringischen Jena finden sich gerade mal zwei Konzerne aus dem Nebenwerteindex M-DAX. Ob die Kursverluste bei Carl Zeiss mit dem Ergebnis der Landtagswahl zu tun haben, ließ sich heute allerdings nicht ergründen. Wohl aber die Tatsache, dass die Börse schnell zur Tagesordnung übergegangen ist.

Das Ergebnis hatte sich abgezeichnet, heißt es von Analysten. Überraschungen seien ausgeblieben. Trotzdem könnte der Siegeszug der in Thüringen als in weiten Teilen rechtsextrem eingestuften AfD negative Folgen für die Börse haben, sagt Joachim Schallmeyer, Anlagestratege bei der Deka Bank: "Für internationale Investoren ist das keine gute Nachricht. Das wird keine Anlegergelder nach Deutschland ziehen."

 

Ostdeutsche Wirtschaft wächst stärker

Das dürfte außerhalb der Börse nur auf mäßiges Interesse stoßen. Doch zurückhaltende Investoren belasten auch die Wirtschaft und das wirtschaftliche Umfeld drumherum. Die fünf östlichen Bundesländer tragen 16 Prozent zur deutschen Wirtschaftsleistung bei. Zuletzt sind sie stärker gewachsen als der deutsche Durchschnitt. Ein Trend, der sich nach Einschätzung des ifo-Instituts weiter fortsetzen dürfte, da steigende Renten und steigende Löhne die Kaufkraft erhöhten und das jüngste Wachstum vor allem von einer starken Binnenwirtschaft lebe, weniger vom Export.

Doch dieses Wachstum benötige vor allem Fachkräfte, sagt Knut Bergmann vom Wirtschaftsforschungsinstitut IW in Köln: "Dass die ostdeutsche Wirtschaft in der Vergangenheit überhaupt noch an Beschäftigung zugelegt hat, ist alleine ausländischer Zuwanderung geschuldet. Die inländischen Erwerbspotenziale sind nicht in der Lage, die Abgänge aus dem Arbeitsmarkt zu decken und das ist ein großes Problem."

 

"Wir brauchen mehr Investitionen"

Dennoch werde die AfD vor allem wegen ihrer Zuwanderungspolitik gewählt. Und habe dabei ein Klima geschaffen, dass Investoren und Zuwanderer eher abschrecke. Auch deshalb schrumpft die Bevölkerung in Sachsen und Thüringen. Junge Menschen suchen ihr berufliches Heil woanders, während die Menschen vor Ort zunehmend unzufrieden seien, erklärt der Sozialforscher Christoph Butterwegge von der Universität Köln: "Die Mitte der Gesellschaft, die, die in der Mittelschicht Angst vor Abstieg oder Absturz haben, die wenden sich häufig nach rechts außen." 

Das Phänomen zieht sich also durch alle gesellschaftlichen Schichten. Armut oder Reichtum spielen ebenso wenig eine Rolle wie objektive Zahlen, die belegen wollen, dass es eigentlich gar nicht so schlecht läuft. Aber der Niedriglohnsektor ist groß im Osten, die Löhne, Renten und Gehälter im Vergleich niedriger. 

Wie also dem Erfolg populistischer und rechtsextremer Parteien begegnen? Eine andere Sozialpolitik hilft da wenig, sagt Knut Bergmann: "Wir brauchen mehr Investitionen, und auch wenn die langfristig wirken, wäre das ein gutes Signal für die Bundestagswahl."

 

Sozialstaat muss funktionieren

Es ist ein Plädoyer für eine wirtschaftsfreundliche Politik, um Investoren anzulocken, Firmen anzusiedeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Doch ohne Sozialpolitik gehe es dann doch nicht, erklärt Butterwegge: "Der Sozialstaat umfasst ja auch soziale Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur. Wenn die Gesundheitsversorgung auf dem Land in Sachsen und Thüringen so schlecht ist, wenn die Schulen und Kitas nicht entsprechend ausgestattet sind, dann macht das mit den Menschen was."

Solche Situationen führten dazu, dass Leute "enttäuscht und frustriert sind. Und dann sind rechtspopulistische Angebote, wie die der AfD attraktiv für sie." Mehr Schulen und mehr Krankenhäuser bedeuten aber auch einen höheren Personalbedarf - und damit mehr Zuwanderung.

Stefan Wolff, HR, tagesschau, 02.09.2024 15:31 Uhr

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 02. September 2024 um 16:22 Uhr auf MDR Aktuell.