Künstliche Intelligenz in der Industrie Damit das Klopapier 48 km/h draufhat
Künstliche Intelligenz soll in der Industrie dafür sorgen, dass Maschinen zuverlässiger laufen. Längst gibt es Firmen, die damit Geld verdienen - zum Beispiel in der Produktion von Toilettenpapier.
Tino Pietraßyk sitzt in einem loftartigen Großraumbüro und spricht mit Begeisterung über Klopapier. Minutenlang kann er über die Eigenheiten des Produktionsprozesses referieren: Einlagig, zweilagig, Bandgeschwindigkeit, was kann schief gehen, was kann man verbessern - Pietraßyk weiß, wovon er spricht. Der 36-Jährige arbeitet als Senior Data Scientist bei der Berliner KI-Firma FactoryPal.
Das Unternehmen berät Papierfabriken an zahlreichen Standorten in Deutschland. "Toilettenpapier ist unser Bread and Butter", sagt Pietraßyk und erklärt erst einmal, was es mit Künstlicher Intelligenz (KI) eigentlich auf sich hat. Was genau bedeutet der Begriff? Was tut die KI in der Praxis? Und lässt sich damit Geld verdienen?
Jede Maschine macht Fehler
Zum Beispiel mit Klopapier. Dieses werden in Deutschland dezentral, also an vielen verschiedenen Standorten hergestellt. Das bedeutet auch: viele verschiedene Maschinen, die optimiert werden können. Und genau hier komme die KI ins Spiel. Im Grunde gehe es darum, "so schnell wie möglich eine Papierbahn durch eine 50 Meter lange Maschine zu jagen, ohne dass etwas kaputt geht", so Pietraßyk. "Mit so 48 km/h im Idealfall."
Der Datenexperte Tino Pietraßyk von der Berliner KI-Firma FactoryPal weiß: KI kann Produktionsprozesse optimieren - und so den Gewinn steigern.
KI-Unternehmen wie FactoryPal und andere hätten erkannt: Jede Maschine mache nun einmal Fehler. Papier reißt oder staut sich, Walzen stecken fest, der Einzug klemmt. Fehlerquellen gibt es mehr als genug. Eine Produktionsanlage für Toilettenpapier etwa liefere in der Regel nur zwischen 60 und 70 Prozent des theoretisch denkbaren Outputs. Der Rest gehe durch kleine Pannen verloren.
"KI in der Produktion" - darum ging es diese Woche auf einer Fachkonferenz in Berlin. Keine Zukunftsvisionen also, sondern Praxisbeispiele - über die sich jede Menge Firmenchefs, einige Wissenschaftler und auch Berlins Wirtschaftssenatorin austauschten.
Auf den Prozentpunkt kommt es an
Das Ziel des Unternehmens FactoryPal ist es, den Output zu erhöhen. Mindestens um drei Prozentpunkte könne die "Overall Equipment Efficiency" (OEE) steigen, wenn sie einen Auftrag übernehmen, verspricht Pietraßyk. Das klingt wenig, aber: "Jeder Prozentpunkt OEE kann bis zu eine Million Euro pro Jahr kosten."
Industrieanlagen sind mittlerweile hochkomplexe Gebilde. Selbst eine überschaubare Produktionsstraße wie die für Toilettenpapierrollen sei für Menschen nicht mehr komplett zu überblicken. Pietraßyk und sein Team messen - je nach Anlage - zwischen 200 und 2.500 Eingangsparameter. Hinzu kommen 30 bis 70 Einstellungen, die am Gerät verändert werden können.
Milliarden kleinste Stellschrauben
"Das bedeutet Milliarden Kombinationsmöglichkeiten", fasst Pietraßyk zusammen. Milliarden Möglichkeiten also, die "OEE" im Prozent- oder Promillebereich zu verbessern. Das erledigen Algorithmen, die selbständig lernen, welche Einstellungsmöglichkeiten zu effizienteren Abläufen führen. Sprich: zu mehr Klopapier in kürzerer Zeit bei weniger Produktionsausfällen.
Das ist es, was KI-Firmen landauf, landab gerade tun, womit sie ihr Geld verdienen. Prozessoptimierung, die letzten Prozente an Wirkungsgrad herauskitzeln. Alles automatisiert, alles dank Algorithmen, die Kausalzusammenhänge erkennen, die kein menschliches Hirn mehr herausfiltern könnte. "Im Prinzip ist KI nichts anderes als Mathe", sagt Pietraßyk. "Unserer KI ist es egal, was wir herstellen."
Und beim Toilettenpapier sei es nicht anders als bei anderen Produkten. Es gebe eine bestehende Industrie mit Fachleuten. Manchmal sei es nicht ganz einfach, jeden davon zu überzeugen, dass überhaupt noch etwas besser laufen könne.
Der Algorithmus weiß es besser?
Pietraßyk erzählt von seinen Erfahrungen mit Experten der Herstellung von Klopapier: "Viele der Mitarbeiter fahren die Maschine gern lieber etwas langsamer, weil sie glauben, dass weniger Papierrisse auftreten." Kurze Pause. "Aber die Datenauswertung zeigt das so nicht." Heißt: die Experten irren sich, der Algorithmus weiß es besser.
Die mitunter geäußerten Befürchtungen, dass Künstliche Intelligenz reihenweise für einen Kahlschlag bei Arbeitsplätzen führen könnte, teilt Pietraßyk nicht. "Arbeitskräfte ersetzen? In diesem Fall tatsächlich nicht", sagt er. Kein einziger Fall sei ihm bekannt, bei dem ein Mitarbeiter seinen Job wegen der KI verloren habe. Stattdessen würden die Algorithmen nur dabei helfen, den Prozess effizienter zu machen.