Ein Mitarbeiter montiert im Stammwerk der Heidelberger Druckmaschinen AG ein Druckwerk.
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Wirtschaft und Innovationen Wie viel Hightech schafft Deutschland?

Stand: 01.09.2024 11:43 Uhr

Gute Qualität, bezahlbare Preise: Das ist seit über 100 Jahren der deutsche Platz in der Weltwirtschaft. Doch sie glänzen vor allem in traditionellen Branchen. Was, wenn bald Künstliche Intelligenz den Takt vorgibt?

Eine Analyse von Ulrich Ueckerseifer, WDR

Deutschland hat ein Problem: Es läuft wirtschaftlich nicht rund. Schon seit Längerem stagniert die Wirtschaft, und in Zukunft werden voraussichtlich gerade die deutschen Vorzeigebranchen wie Automobil und Maschinenbau durch Konkurrenz aus China unter Druck kommen.

Umso wichtiger erscheint es, dass Forschung und Wirtschaft in Deutschland neue Produkte und Anwendungen entwickeln. Der große Innovationstreiber wird vermutlich Künstliche Intelligenz (KI) - und die Wirtschaft weltweit verändern. Was bedeutet das für Deutschland?

Auf den ersten Blick ermutigend

Wenn es um Innovationen geht, dann liegt der Blick auf die Patentanmeldungen nahe. Und da liegt Deutschland gar nicht so schlecht. Im vergangenen Jahr belegte Deutschland Platz zwei bei den Patentanmeldungen des Europäischen Patentamts.

Platz zwei ist gut, gerade wenn man bedenkt, dass aus ähnlich großen europäischen Ländern wie Frankreich und Großbritannien deutlich weniger Patente angemeldet werden - und die USA zwar rund doppelt so viele Patente angemeldet haben, aber eben auch viermal so viele Einwohner haben.

Stark in "konservativen" Branchen

Der nähere Blick auf die Patentanmeldungen zeigt indes: Die Masse der Anmeldungen aus Deutschland entfällt auf die etablierten Industriebrachen Auto, Chemie und Maschinenbau - also genau die Bereiche, wo Deutschland sowieso schon stark ist.

Weniger stark ist die Bundesrepublik in der digitalen Welt. Das zeigt die Analyse der digitalen Wettbewerbsfähigkeit, die seit Jahren von der der Schweizer Wirtschaftshochschule IMD erstellt wird. Auch in diesem Ranking liegen die USA vorn. In der Spitzengruppe finden sich außerdem kleinere asiatische Staaten sowie aus Europa die Niederlande, die Schweiz und die nordischen Staaten. Deutschland liegt abgeschlagen auf Rang 23. Dass Deutschland digital besser werden muss, ist offensichtlich.

Milliarden für strategische Unabhängigkeit

Es ist eine der größten Investitionen in Deutschland: Die neue Chipfabrik in Dresden, für die in der vergangenen Woche der Grundstein gelegt wurde. Für die Ansiedlung der neuen Fabrik werden enorme Subventionen gezahlt: fünf Milliarden Euro. Mit Blick auf die damit entstehenden rund 2.000 Arbeitsplätze erscheint die Summe extrem hoch, denn immerhin wird jeder Arbeitsplatz rechnerisch mit 2,5 Millionen Euro gefördert.

Doch in diesem Fall stehen nur nicht die Jobs im Fokus, sondern vor allem strategische Unabhängigkeit. Das betont Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrates. Sie denkt, dass eine Förderung der Chipindustrie die richtige Strategie ist: "Es geht darum, dafür zu sorgen, einen Zugang für technologisches Know-how zu bekommen, was nur dadurch möglich ist, dass wir hier vor Ort selbst produzieren und von TSMC lernen - ein Unternehmen, der wirklich der Marktführer weltweit ist."

Der taiwanische Konzern arbeitet in Dresden mit den dort bereits ansässigen Firmen Bosch, Infineon und NXP Semiconductors zusammen.

Langer Atem ist nötig

Das Beispiel Dresden zeigt exemplarisch, was nötig ist, damit ein starkes ökonomische Cluster aus Forschung, großen Unternehmen, Zulieferern und Dienstleistern entstehen kann: Schon in den 1980er-Jahren war der Standort Dresden mit den dortigen Hochschulen und dem VEB Robotron das Zentrum der Mikroelektronik in der damaligen DDR. Es gab also viel technisches Know-how.

Auf dieser Basis siedelten sich nach der Wiedervereinigung großen Unternehmen wie Infineon an. Auch damals wurde bereits erhebliche Fördergelder bezahlt. In den Folge kamen weitere Zulieferer und Dienstleister. Heute ist Dresden der stärkste Produktionsstandort für Halbleiter in Europa - mit langer Vorgeschichte. Diesen langen Atem braucht Deutschland auch dann, wenn es bei den nächsten großen technologischen Entwicklungen vorn dabei sein will.

Förderung für "Sprunginnovationen"

Im Oktober feiert sie ihr fünfjähriges Bestehen: Die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SprinD). Sie soll frühzeitig erfolgversprechende Technologien erkennen und in der Entwicklung finanziell fördern - und so etwas ausgleichen, was derzeit in Deutschland zu selten passiert: neue Technologien nicht nur zu entwickeln, sondern auch zur Marktreife zu bringen. Nach der Forschung soll auch die Wertschöpfung in Deutschland stattfinden.

Derzeit fördert die Agentur unter anderem die Forschung zu Immuntherapien gegen Krebs und die Entwicklung von Lösungen des Mikroplastik-Problems sowie von leistungsfähigen Höhenwindrädern, die deutlich mehr Strom erzeugen können als bisherige Modelle. Für SprinD-Direktor Rafael Laguna ist dabei eins wichtig: "Es reicht nicht, nur auf bestehende Industrien zu setzen. Wir brauchen echte Sprunginnovationen, die neue Märkte schaffen."

Sogenannte Sprunginnovationen sind technologischen Entwicklungen, die das Leben ganz grundsätzlich verändern und die die früheren "industriellen Revolutionen" geprägt haben. Historisch waren das unter anderem die Dampfmaschine, die Eisenbahn und das Auto. Aktuell wird vor allem der Künstlichen Intelligenz zugetraut, die Wirtschaft und das Leben ganz grundsätzlich zu verändern.

Wo Deutschland Nachholbedarf hat

Deutschland steht nach Einschätzung von SprinD-Direktor Laguna bei der KI-Forschung recht gut da. Es gebe aber unzureichende Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen, die aus den Universitäten heraus gegründet werden. Die Folge: Junge Unternehmen werden durch US-Investoren finanziert statt durch deutsche oder europäische. Die bessere Finanzierung junger Unternehmen ist aber eine wichtige Voraussetzung, damit die Unternehmen nicht abwandern, sondern es dauerhaft Wertschöpfung in Deutschland gibt.

Bei den konkreten technologischen Anwendungen sehen Ökonomen die größten Chancen in den Bereichen, wo KI-Anwendungen in der Industrie eingesetzt werden. Denn dort sind deutsche Unternehmen oft führend - der Markt und die Chancen sind entsprechend groß. Es geht also nicht darum, eine Alternative zu Microsoft, Apple und anderen aufzubauen, sondern zu schauen, wo Deutschland im Bereich der KI seine besonderen Stärken einbringen kann.

Der dritte Punkt könnte der schwierigste sein: Eine Veränderung in der Mentalität. Denn deutsche Ingenieure sind sehr gut darin, bestehende Technologien zu perfektionieren. Das hat viele Jahrzehnte gut funktioniert, ist jedoch vermutlich für die sich rasant verändern Technik-Welt nicht ausreichend. Darum braucht Deutschland neben größeren Investitionen in Forschung und Entwicklung wohl auch einen mutigeren Umgang mit neuen Technologien.