Kriminalität Wie Händler im Kampf gegen Ladendiebe aufrüsten
Die Zahl der Ladendiebstähle steigt rapide. Der Schaden ist manchmal so groß, dass Ladenbesitzer um ihre Existenz bangen. Sie wehren sich mit Überwachungskameras, Spiegeln oder Diebstahlsicherungen - selbst am Olivenöl.
Manche Diebe gehören im Berliner Reformhaus Demski zur Stammkundschaft. Sie kommen immer wieder. Eine ältere Dame zum Beispiel. Sie ist höflich, nett - und steckt auch mal Waren im Wert von 1.000 Euro ein.
"Die kommt regelmäßig, um uns zu beklauen", sagt Marc Andreas Demski, der Eigentümer des Reformhauses Demski. Damit sei sie längst nicht die Einzige. "Viele haben, glaube ich, das Gefühl, sie gönnen sich mal einen Rabatt, und hier steht doch so viel Ware rum, das tut doch dem Demski nicht weh, wenn man sich mal die Taschen vollmacht", sagt Demski.
Insgesamt betreiben seine Frau Carolin und er acht Geschäfte in Berlin. Verstärkt haben sie es auch mit Banden und Auftragsdieben zu tun. "Die kommen hier mit Einkaufszettel." Gestohlen wird alles - Tee, Honig, Vitamine, Kosmetik, Olivenöl, Hausschuhe.
"Man kann kaum noch was hinstellen"
Die Demskis versuchen, sich zu schützen. Jede ihrer Filialen ist videoüberwacht. Teurere Produkte haben sie längst weggeschlossen. Im Regal stehen fast nur noch die leeren Verpackungen. "Man kann kaum noch was hinstellen, weil die Leute so hemmungslos sind", sagt Carolin Demski.
Ein Dieb hat erst vor wenigen Tagen hundert Tafeln Schokolade aus den Regalen geräumt, in aller Seelenruhe, unter den Augen diverser Kameras. Gesamtschaden: 250 Euro.
Am Regal einer Demski-Filiale in Berlin hängt ein Hinweis auf die Diebstahl-Sicherung an den Ölivenöl-Flaschen.
Schokolade ist bisher nicht extra gesichert. Olivenöl schon. Die Flaschen haben eine Diebstahlsicherung und die Verkäuferinnen und Verkäufer eine neue Zusatzaufgabe: Sicherungen an- und nach dem Kauf wieder abbauen.
An den Regalen und den Flaschen prangt deutlich sichtbar der Hinweis: "Öffnen der Sicherung zerstört die Flasche. Bruchgefahr." Hausschuhe und Wollsocken haben Farbsicherungen.
Pro Monat fehlen 10.000 Euro
Die Demskis haben das Personal geschult, Ladendiebe möglichst zu erkennen, aufmerksam zu sein. Für die Demskis ist das eine Gratwanderung. "Wir beschäftigen schließlich Leute, die vom Beruf her Kunden beraten und gut betreuen sollen, und keine Security-Leute, die wie James Bond irgendwelchen Kriminellen hinterherspurten."
Zumal das auch gefährlich für die Belegschaft sein kann. Vor einigen Wochen wurde ein Mitarbeiter von einem Dieb geschlagen. Doch Ladendetektive beschäftigen sie bisher nicht. Das würde sich nicht rechnen. Die meisten Diebstähle fallen so erst im Nachhinein auf - wenn Carolin und Marc-Andreas Demski ihre Bestände überprüfen.
Monatlich entsteht dem Unternehmen ein Schaden von ungefähr 10.000 Euro. Der Hauptverband Deutscher Einzelhandel (HDE) beziffert die Verluste im Einzelhandel deutschlandweit auf mehrere Milliarden Euro.
"Um Ladendiebstahl zu verhindern, investieren Handelsunternehmen insgesamt rund 1,5 Milliarden Euro jährlich in die Sicherheit ihrer Geschäfte", sagt der HDE-Hauptgeschäftsführer Stephan Genth. Das sei zusammen eine große wirtschaftliche Belastung.
Hohe Dunkelziffer
In den vergangenen Jahrzehnten hatte sich die Zahl der Ladendiebstähle nach Höchstwerten Anfang der 1990er-Jahre eingependelt. Jetzt steigen die Zahlen wieder. 426.000 Ladendiebstähle wurden im vergangenen Jahr angezeigt. Im Vergleich zu 2022 ist das ein Anstieg von mehr als 23 Prozent.
Auch bei den Diebstählen durch organisierte Banden verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik massive Zuwächse. Die Dunkelziffer dürfte allerdings deutlich höher liegen. Der Handelsverband schätzt, dass 90 Prozent der Taten nicht angezeigt werden.
"Viele Händlerinnen und Händler haben die Erfahrung gemacht, dass keine Ermittlungstätigkeit wegen eines Ladendiebstahls stattfindet", sagt Genth. Die Verfahren würden eingestellt, wenn die Händler den Täter nicht identifizieren könnten.
Viel Frust und Misstrauen
Die Demskis zeigen an. Jedes Mal, wenn sie einen Dieb ertappen oder ihn im Nachhinein auf ihren Videoaufnahmen entdecken. Doch auch sie sind frustriert. Zu lange dauern in ihren Augen die Prozesse, zu gering fallen die Strafen aus. Von der Justiz und der Politik wünschen sie sich eine klare Haltung, ein Nein zu Ladendiebstahl und schnellere Reaktionen.
"Wenn wir da jetzt nicht gegensteuern, dann wird es irgendwann zu spät sein. Dann gibt es solche Läden wie uns einfach gar nicht mehr", sagt Marc Andreas Demski. Das ewige Misstrauen gegenüber jedem Kunden, der finanzielle Verlust, die Sicherheitsvorkehrungen würden ihrem Verständnis von Einzelhandel nicht gut tun - und auf lange Sicht das Geschäft kaputtmachen.
Welchen Sinn macht es noch, im Laden zu stehen? Manchmal sei es so schlimm, dass man sich das frage. "Es ist so frustrierend, es bereitet uns sehr viel schlaflose Nächte", sagt Demski. "Es bedroht unsere Existenz."