Arbeitsmarkt Was man über den Mindestlohn wissen muss
Der Mindestlohn soll 2024 auf 12,41 Euro steigen - die Reaktionen darauf sind gespalten. Wer entscheidet eigentlich über die Höhe? Für wen gilt der Mindestlohn und wie hat er sich seit seiner Einführung entwickelt?
Die Mindestlohnkommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern hat ihren Vorschlag für die künftige Höhe des Mindestlohns vorgelegt. Ab Januar 2024 soll dieser von bisher 12 auf 12,41 Euro steigen, ein Jahr später dann auf 12,82 Euro. Der Mindestlohn soll laut Gesetz "zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beitragen" und gleichzeitig "faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen ermöglichen".
Wie wird über die Höhe entschieden?
Im vergangenen Herbst wurde der Mindestlohn ausnahmsweise von der Bundesregierung per Gesetz von 10,45 Euro auf 12 Euro angehoben. Vor allem die SPD hatte sich dafür im vergangenen Bundestagswahlkampf stark gemacht. Ansonsten ist die Mindestlohnkommission zuständig. In dieser beraten jeweils drei hochrangige Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter, zwei Wissenschaftler und ein oder eine Vorsitzende alle zwei Jahre über eine Erhöhung der Lohnuntergrenze. Berücksichtigt wird dabei die Tarifentwicklung im Land. Die Kommission legt dann einen Vorschlag vor, den die Regierung in der Regel mit einer Verordnung verbindlich macht.
Der aktuelle Vorschlag wurde erstmals nicht im Konsens beschlossen. Die Arbeitnehmervertreter waren gegen die in ihren Augen zu geringe Anhebung, wurden aber in der Kommission überstimmt. Trotz des Streits stellen die Arbeitnehmer aber das Gremium nicht in Frage.
Was sagen Politik und Experten zum aktuellen Vorschlag?
Der Dissens in der Kommission spiegelt sich auch in der öffentlichen Diskussion wieder. Während etwa der Wirtschaftsflügel der Union den Vorschlag als verantwortungsvoll und vernünftig begrüßt, kommt von Gewerkschaftsseite teils scharfe Kritik. "Diese fatale Entscheidung geht völlig an der Lebensrealität von Millionen von Menschen vorbei und passt nicht in die Zeit", hieß es etwa von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
SPD-Chefin Saskia Esken sagte, die Empfehlung der Kommission "trägt der Inflation nicht notwendig Rechnung". Jetzt komme es vor allem darauf an, dass die Tarifbindung ausgeweitet werde, um attraktive Arbeitsplätze auch zu erhalten.
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch nannte die Empfehlung enttäuschend. Sie sei ein Schlag ins Gesicht von Geringverdienern, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Auch unter Ökonomen sind die Meinungen geteilt. Aus verteilungspolitischen Gründen seien Forderungen nach erneut kräftigen Erhöhungen verständlich, sagte der Deutschland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Stefan Schneider. Es dürfe aber nicht vergessen werden, "dass Löhne nicht nur Einkommen, sondern auch Kosten sind". "Eine weitere kräftige Anhebung hätte angesichts der eingetrübten Konjunktur die Beschäftigungschancen der Mindestlohnbezieher wohl verschlechtert."
"Für die Beschäftigten im Niedriglohnbereich bedeutet die geringe Erhöhung, dass sie weiterhin einen deutlichen Verlust der Kaufkraft erleiden und somit den Gürtel enger schnallen müssen", sagte dagegen Marcel Fratzscher vom arbeitnehmernahen Wirtschaftsforschungsinstitut DIW. "Die Entscheidung der Mindestlohnkommission unterstreicht einmal mehr, dass die Festlegung des Mindestlohns grundlegender Reformen bedarf."
Wie hat sich der Mindestlohn im Vergleich zur Inflation entwickelt?
Der Mindestlohn ist seit seiner Einführung 2015 von 8,50 Euro schrittweise auf bisher 12 Euro erhöht worden. Das ist ein Plus von 41 Prozent. Besonders große Anhebungen gab es im vergangenen Jahr. Ende 2021 lag der Mindestlohn noch bei 9,60 Euro. In drei Schritten ging es dann 2022 auf 12 Euro hinauf. Die Verbraucherpreise stiegen zwischen 2015 und 2022 laut Statistischem Bundesamt - gemessen an den Durchschnittsjahreswerten - um 16,6 Prozent. Die nun vorgeschlagene Erhöhung entspricht einem Aufschlag von 3,4 Prozent im kommenden und 3,3 Prozent im übernächsten Jahr. Die Teuerung lag zuletzt bei 6,1 Prozent.
Wie viele Menschen arbeiten für den Mindestlohn?
Ganz genau lässt sich das nicht sagen. Nach jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamts arbeiteten im Oktober ungefähr sechs Millionen abhängig Beschäftigte (15 Prozent) im Niedriglohnsektor. Zum Niedriglohnbereich zählen in der Statistik Jobs, in denen weniger als 12,76 Euro pro Stunde gezahlt werden. Von der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro im Oktober profitierten nach diesen Angaben etwa 5,8 Millionen Menschen, die vorher weniger als 12 Euro die Stunde verdienten.
Ist der Mindestlohn brutto oder netto?
Brutto. Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums erhielten Beschäftigte bei einer 40-Stunden-Woche mit Mindestlohn zuletzt etwa 2080 Euro brutto im Monat. Wie viel davon netto nach Abzug von Steuern, Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung übrig bleibt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa der Steuerklasse, dem Familienstand oder der Anzahl der Kinder.
Was droht einem Arbeitgeber, der weniger zahlt?
Arbeitgebern, die die Verordnung unterlaufen, drohen hohe Geldbußen von bis zu 500.000 Euro. Außerdem kann das Unternehmen von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Auf der Internetseite des Bundesarbeitsministeriums gibt es einen Mindestlohn-Rechner: Durch Eingabe des Bruttogehalts und der Wochenarbeitszeit lässt sich dort überprüfen, ob das Gehalt unter dem Mindestlohn liegt. Für den Fall von Verstößen gibt es beim zuständigen Zoll die Mindestlohn-Hotline 030 - 60 28 00 28.
Haben auch Schüler, Azubis und Minijobber Anspruch?
Schülerjobs fallen in der Regel nicht unter die Mindestlohnregel: Wer unter 18 ist und noch keinen Berufsabschluss hat, hat keinen Anspruch. Für Azubis gibt es eigene Regeln (Mindestvergütung für Auszubildende). Bei Praktika, die freiwillig neben Studium oder Ausbildung absolviert werden ("Orientierungspraktika"), besteht kein Anspruch auf Mindestlohn, es sei denn sie dauern länger als drei Monate. Bei "Pflichtpraktika", die als Teil des Studiums absolviert werden müssen, besteht auch kein Anspruch. Minijobber haben dagegen uneingeschränkten Anspruch auf den Mindestlohn.