Fünf Jahre Tesla in Grünheide Eine Region zwischen Wachstum und Widerstand
12.500 neue Jobs, 300 Hektar Fabrik statt Märkischer Kiefer, sechs Millionen Euro Gewerbesteuer - und immer noch viel Widerstand. Eine Bilanz nach fünf Jahren Tesla in Grünheide.
Es war am Abend bei der Verleihung zum "Goldenen Lenkrad" in Berlin, da verkündete der amerikanische US-Elektrobauer Elon Musk völlig überraschend: "Wir haben beschlossen, die 'Tesla Gigafactory Europe' im Raum Berlin zu errichten." Das ist die vierte Gründung nach Werken in Nevada, New York und Shanghai. Genau fünf Jahre ist das her.
Ein Coup - aber von der Politik von langer Hand und höchst diskret eingefädelt. "Im Raum Berlin" stellte sich später als die Gemeinde Grünheide mit ihren sechs Ortsteilen von Kagel bis Mönchwinkel im Landkreis Oderspree heraus. Und die brandenburgische Landesregierung zeigte den unbedingten politischen Willen: Tesla soll und wird kommen. "An uns wird es nicht scheitern", versprach Ministerpräsident Dietmar Woidke.
Die "Tesla-Geschwindigkeit"
Was dann dort in der Fläche entstand - und vor allem: wie schnell - ist ein Lehrstück, wie es auch gehen kann, wenn der Mut zum Risiko die Zweifel überwiegt. Manch deutsches Unternehmen könne sich da eine Scheibe von abschneiden, urteilt ein Wirtschaftsmagazin. Die Gemeinde hatte allerdings bereits einen Vorsprung gegenüber anderen Interessenten in Europa: Es gab nämlich schon ein Gelände, das für eine Industrieansiedlung vorbereitet worden war. Doch der Autobauer BMW, der dort eigentlich bauen wollte, sprang ab.
Tesla ging gleich zur Sache mit einem ambitionierten Fahrplan; 2021 sollte die Produktion anlaufen - sprich: Innerhalb von zwei Jahren sollte das Autowerk gebaut und auch produktionsfertig sein. Was vor allem die Landesregierung auf keinen Fall wollte: zu bürokratisch sein - und den impulsiven Elon Musk letzten Endes noch abschrecken.
Eine Taskforce wurde gegründet, um alle Behörden, die mitzuentscheiden hatten, an einen Tisch zu holen. Bloß keine unnötige Verzögerung. Das Wort "Tesla-Geschwindigkeit" machte die Runde. Alles ging in Windeseile: die Rodung von 90 Hektar Wald - erntereife minderwertige Kiefer, wie Bürgermeister Arne Christiani versicherte.
Nicht ohne Risiko
Per Eilverfahren wehrten sich Umweltverbände und Bürgerinitiativen regelmäßig gegen die Ansiedlung, aber das Werk entstand trotzdem in Rekordgeschwindigkeit. Zur feierlichen Eröffnung kam der Milliardär persönlich, um die ersten "Model Y made in Germany" an 30 Kunden zu übergeben. Bundespolitische Politprominenz war eingeladen, "Deutschland kann schnell sein", lobte Kanzler Olaf Scholz.
Was die einen massiv kritisierten, anderen aber eine Menge Respekt abnötigte: Tesla baute auf Basis von vorläufigen Genehmigungen. Die endgültige Baugenehmigung ließ lange auf sich warten, da war das Werk schon fast fertig. Risikolos war das nicht für Tesla.
Fünf Jahre sind vergangen, seit die Tesla-Ansiedlung verkündet wurde. Das Unternehmen und wohl alle, die das Projekt vorangetrieben haben, sind zufrieden: 12.500 Mitarbeiter produzieren derzeit 5.000 Autos pro Woche, Tendenz steigend. Hunderte Langzeitarbeitslose haben laut IHK Ostbrandenburg bei Tesla einen Job bekommen. 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden gerade von Leiharbeitsfirmen übernommen und fest angestellt.
Die riesige Tesla-Fabrik zieht Begeisterte aus ganz Europa an, und auch in der Region freuen sich viele über den Innovationsschub.
Das Problem mit der Wasserknappheit
Aber es gibt auch die andere Seite. Von Anfang an war es keineswegs so, dass die Tesla-Ansiedlung einhelligen Jubel auslöste in der "auserwählten" Region. Denn auch vorher schon war die wirtschaftliche Not nicht so groß, dass man die Landung Elon Musks im Märkischen Sand als Segen sah.
Der Bau der "Gigafactory" des schillernden US-Autobauers wurde mit großem Misstrauen begleitet. Immerhin baut Tesla im Trinkwasserschutzgebiet; Wassermangel im trockenen Brandenburg ist ein problematisches Thema, es war und ist ein Dauerkonflikt. Am Ende verbraucht Tesla wohl sogar weniger Wasser als sie dürfen, sagt der regionale Wasserverband.
Aber man ahnt: Hätten die Umweltverbände nicht akribisch darauf geachtet, wäre Tesla wohl nicht so sparsam mit der kostbaren Ressource Wasser umgegangen. Musk jedenfalls machte sich bei einem Besuch in Brandenburg eher lustig über die Wassersorgen: Hier sehe er Bäume, wobei er vielleicht die Wüste von Nevada vor Augen hatte.
Protest in den Wipfeln der Märkischen Kiefern: Polizeibeamte gehen gegen Aktivisten vor, die ein Anti-Tesla-Plakat aufhängen wollen.
Widerstand und Misstrauen bleiben
Steffen Schorcht von der Tesla-kritischen Bürgerinitiative Grünheide sieht die Sache mit dem Wasser nach wie vor kritisch. "Die Befürchtungen haben sich bestätigt. Jetzt wird andernorts gebohrt, damit genug Wasser da ist." Tesla halte sich nicht an Auflagen, beharrt Schorcht. Und überhaupt, Tesla sei eher ein "Entwicklungshindernis", sauge Arbeitskräfte und Wasser auf. Der zugenommene Verkehr sei belastend, und für den Wohnungsmarkt sei Tesla nicht gut.
Ein Blick in die Immobilienportale zeigt: Grünheide und die umliegende Region sind richtig teuer geworden, dabei ist ohnehin nur schwer Wohnraum zu bekommen. Sorgen bereitet Schorcht auch die schlechte Stimmung in der Gemeinde. "Die beiden Seiten reden nicht mehr miteinander."
Aber der Widerstand gegen Tesla geht weit über die Region hinaus. Das US-Unternehmen zieht Protestierende jeglicher Couleur an: Kapitalismus- und USA-Kritiker; ökologische Aktivisten; Einheimische, die mehr Transparenz fordern und Angst vor zu viel Veränderung haben. Ein Brandanschlag auf einen Strommast legte die Produktion lahm, in Baumhäusern harrten Protestierende aus, und auch in der Gemeinde gab es Gegenwind: Ein Erweiterungswunsch wurde mehrheitlich abgelehnt. Tesla disponierte um und baut nun behutsamer aus.
Die Antifa ist auch schon da: Die Front des Widerstands gegen die "Gigafactory" in Grünheide ist breit aufgestellt.
Tesla bringt wirtschaftlichen Aufschwung ...
Monique Zweig von der IHK Ostbrandenburg hingegen sieht die Tesla-Ansiedlung positiv. "Ein tolles Ding", sagt sie. Die Fabrik habe spürbare wirtschaftliche Auswirkungen auf die gesamte Region. "Wir haben ein Wirtschaftswachstum, das sich sehen lassen kann, und das liegt auch an Tesla", so Zweig.
Da seien die sechs Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen für die Gemeinde Grünheide nur ein Aspekt: "Die können jetzt ihre Wunschliste abarbeiten." Das Bruttoninlandsprodukt sei in der Region gestiegen: im Landkreis Oder-Spree um stolze 23,2 Prozent, in der eher strukturschwachen Uckermark um 21,7 Prozent.
Das Problem, dass Tesla Arbeitskräfte abwerbe, die dann anderen fehlen, kann Zweig so nicht bestätigen. "Ich war in den letzten Monaten viel in Betrieben unterwegs, da habe ich auch danach gefragt. Aber die meisten sagten, dass nur wenige den Betrieb wegen Tesla verlassen hätten."
... und internationale Bekanntheit
Und überhaupt: Für Zweig ist die Tesla-Ansiedlung eine Art Lehrstück, wie eine effiziente Wirtschaftsförderung laufen könne - und da gehe es nicht um Geld: "Die Behörden haben alle Hand in Hand gearbeitet, oft parallel, stimmten sich ab, um den bürokratischen Aufwand gering zu halten." So etwas wünschen sich die Industrie- und Handelskammern, sagt sie. Da könne man sich etwas für die Zukunft merken. Auch was Risikobereitschaft betrifft.
Was Bürgermeister Christiani oft als erstes einfällt: Die Gemeinde hat nun eine Rettungswache. Dafür hatte er viele Jahre gekämpft. Die Verkehrssituation wurde mit neuen Autobahnzubringern und Radwegen verbessert; hier sei Tesla in Vorleistung gegangen. Auch die Anbindung des Öffentlichen Nahverkehrs hat gewonnen: Mehr Züge fahren, die Gleise wurden ausgebaut. Irgendwie müssen Tausende Arbeitskräfte ja auch nach Grünheide und wieder wegkommen.
Von der verbesserten Verkehrsanbindung profitieren auch Einheimische, die nicht bei Tesla arbeiten. Und mehr noch: Grünheide soll einen komplett neuen, hochmodernen Bahnhof mit Shoppingmall bekommen, einen der modernsten Europas, wie es heißt. Und noch ein Superlativ: Nach Angaben Teslas steht auf einem öffentlichen Parkplatz die größte Ladestation Europas. Wer kannte vorher schon Grünheide mit seinen sechs Ortsteilen wie Kagel und Mönchwinkel? Tesla hat die Region weltberühmt gemacht.
Die "unheilige Allianz" in Washington
Dabei würden manche angesichts der aktuellen Entwicklungen lieber unsichtbar werden. Elon Musk war ohnehin schon für viele eine Reizfigur. Seit Musk seine tiefe Zuneigung zu Donald Trump entdeckt und der ihn in die künftige Regierung eingebunden hat, werden sogar Tesla-Fans ungern mit ihm in Verbindung gebracht. Es gibt einen Autoaufkleber: "I bought this car before Elon Musk lost his mind" - "Ich kaufte dieses Auto, bevor Musk den Verstand verlor".
Die brandenburgische Landesregierung versucht die Dinge auseinanderzuhalten: Die Firma sei das eine, die Politik etwas anderes. Es ist kompliziert: Teslas Erfolg ist wichtig für Brandenburg, aber allzu viel will man mit Musk gerade offenbar auch nicht zu tun haben.
Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach, der die Tesla-Ansiedlung einst vorantrieb, sagt: "Ich trenne diese beiden Dinge." Tesla sei ein hochinnovatives Unternehmen, der Besitzer habe eine eigene politische Meinung, die man nicht teilen müsse. Womöglich, so hofft der Wirtschaftsminister, wird Elon Musk nach einigen Monaten frustriert eine politische Kehrtwende machen.
Hauptsache das Tesla-Werk gedeiht weiterhin, so die Hoffnung der Wirtschaft und der Politik. Dazu passt, dass vor kurzem erst die erste Teilgenehmigung für den Ausbau der Produktion erteilt wurde.