Klimapolitik Wie die EU den Emissionshandel ausweiten will
Seit vielen Jahren wird in Europa mit Zertifikaten für den CO2-Ausstoß gehandelt, nun soll das System erweitert werden. Allerdings stehen hinter den Brüsseler Plänen noch einige Fragezeichen.
Das Gesetzespaket ist über Tausend Seiten dick, schließlich beschreibt es den Umbau von Europas Lebens- und Wirtschaftsweise, um die EU-Klimaziele zu erreichen. Dabei geht es eigentlich konkret um zwei Dinge, sagt der zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, nämlich den Ausstoß von Kohlendioxid teurer zu machen und die Abkehr von fossilen Brennstoffen zu belohnen: "Wir bepreisen CO2, um den Anreiz zu geben, weniger zu verbrauchen. Und wir belohnen Dekarbonisierung, um Impulse zu setzen für Innovation, Anpassung und die Markteinführung neuer Technologien, was uns hilft, unsere Ziele zu erreichen."
Verursacher müssen zahlen
Kohlendioxid einen Preis geben: Die Idee ist nicht neu. Seit 16 Jahren wird in der Europäischen Union mit Ausstoß-Gutschriften gehandelt. Wer CO2 zu geringen Kosten senken kann, bietet überschüssige Zertifikate an. Wer sich damit schwerer tut, kauft sie. Der Emissionshandel bittet Verursacher von klimaschädlichen Treibhausgasen zur Kasse - und setzt Impulse, weniger CO2 auszustoßen. Die Politik gibt vor, wie stark der Ausstoß sinken soll, um die Klimaziele zu erreichen - indem sie die Gesamtzahl der Zertifikate begrenzt und die Menge der umlaufenden Gutschriften stetig verringert. Den Rest macht der Markt, erklärt Sebastian Rausch vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
"Emissionen sollten dort vermieden werden, wo es am kostengünstigsten ist", so der Experte. "Es ist aber praktisch unmöglich, dass eine Regierung über diese Informationen verfügt und somit direkte Unterstützung so ausgestalten kann, dass keine Fehlanreize entstehen." Durch ein Emissionshandelssystem hingegen werde ein Markt geschaffen, auf dem durch Angebot und Nachfrage ein Preis für CO2 entstehe, so Rausch: "Dieser Preis hat eine Lenkungswirkung auf die Entscheidungen von Haushalten und Firmen, die selbst die Informationen besitzen, um zu entscheiden, in welchem Umfang es sich lohnt, Emissionen zu reduzieren."
Die Preise dürften steigen
In der EU müssen 11.000 Unternehmen für jede ausgestoßene Tonne Kohlendioxid ein Zertifikat vorweisen, in Deutschland sind rund 1850 Anlagen betroffen: Kraftwerke, Zementfabriken, Raffinerien, Stahlhütten. Seit 2012 ist auch der innereuropäische Flugverkehr enthalten. Insgesamt deckt der Emissionshandel (ETS) rund 40 Prozent des EU-Treibhausgasausstoßes ab. Das wirkt: Die besonders klimaschädliche Kohleverstromung wurde vielerorts unwirtschaftlich. Laut der Europäischen Umweltagentur sanken die Emissionen bis 2019 um 24 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990.
Ein Erfolgsmodell, das die EU-Kommission ausbauen will, sagt Sebastian Rausch vom ZEW: "Die Vorschläge der Kommission sehen vor, dass das Angebot an Zertifikaten im bestehenden Emissionshandel neben einer einmaligen Anpassung nach unten von Jahr zu Jahr stetig abgesenkt wird - und zwar mit einem erhöhten Faktor. Diese Verknappung des Angebots bedeutet, dass der Preis für Emissionszertifikate steigen wird." Um EU-Unternehmen im weltweiten Wettbewerb nicht zu benachteiligen, wurden anfangs die meisten Zertifikate verschenkt. Die Stahlindustrie bekommt rund 80 Prozent der Ausstoßrechte zugeteilt und kauft den Rest ein.
Doch damit soll jetzt Schluss sein. Deutschlands größter Stahlhersteller, Thyssenkrupp in Duisburg, befürchtet durch die geplanten Änderungen Nachteile gegenüber der außereuropäischen Konkurrenz: "Vor allem die massive Reduzierung kostenloser Zertifikate im Rahmen des Europäischen Emissionshandels würde uns substantielle Mittel entziehen, die wir für Investitionen in den Klimaschutz und damit für die Finanzierung der grünen Transformation benötigen werden. Wie ein an das ETS gekoppelter, noch nicht erprobter CO2-Grenzausgleich hier einen verlässlichen Ausgleich bieten kann, ist gleichzeitig noch völlig unklar", heißt es in einer Erklärung.
Wie stark verteuern sich Benzin und Heizöl?
Viele Fragezeichen stehen auch hinter dem Plan der Kommission, einen zweiten Emissionshandel für Verkehr und Gebäude einzuführen. Der würde die Kosten für Benzin und Heizöl nach oben treiben - auch wenn der Einstiegspreis 2026 niedrig liegen soll. Im Gespräch sind 25 Euro pro Tonne CO2, was einer Erhöhung von 6,6 Cent pro Liter Diesel entspräche. Auch später werden die Preise nicht so stark steigen, dass sie die nötigen Anreize setzen, um die deutschen Klimaziele zu erreichen, betont der Direktor der Denkfabrik Agora Verkehrswende, Christian Hochfeld: "So wie der Europäische Emissionshandel für den Verkehrssektor angelegt ist, kann er für Deutschland nicht zum Leitinstrument werden, sondern wir brauchen Flottengrenzwerte und andere fiskalische Instrumente, die die Verkehrswende und die Erreichung der Klimaziele 2030 verbessern."
Der Markt allein wird es demnach also nicht richten, deshalb soll die Politik Vorgaben machen. So schlägt die Kommission vor, die CO2-Grenzwerte für Neuwagen zu verschärfen, bis sie 2035 gar kein CO2 mehr in die Luft pusten dürfen. Jekaterina Boening vom Thinktank Transport&Environment wünscht sich außerdem "einen Policy-Mix aus Ordnungsrecht wie Flottengrenzwerte und Regulierung für die Ladeinfrastruktur sowie einen bunten Strauß von Bepreisungsinstrumenten". Dazu gehöre nicht nur der CO2-Preis, sondern auch die Kfz-Steuer und die Dienstwagenbesteuerung, so Boening.
Das geht ans Eingemachte. Im Bundestagswahlkampf bekennen sich die Kandidatin und die Kandidaten fürs Kanzleramt zwar grundsätzlich zu mehr Klimaschutz - konkrete Aussagen zu den Vorschlägen der EU-Kommission bleiben sie bisher schuldig. Vielleicht kommt das noch: Die Diskussion über Brüssels tausendseitige Vorlage hat ja gerade erst begonnen.