Temu-App auf auf dem Bildschirm eines Smartphones.

Temu und Shein Der Druck auf chinesische Billiganbieter wächst  

Stand: 29.12.2024 17:37 Uhr

Innerhalb kürzester Zeit haben sich Temu, Shein & Co. als feste Größen im Online-Shopping etabliert. Online-Händler in Deutschland sind deshalb besorgt. Die EU diskutiert neue Gegenmaßnahmen.

Von Constantin Röse, ARD-Finanzredaktion

Besser könnte es für Temu, Shein & Co. nicht laufen: Während in Deutschland eine Konsumflaute herrscht und viele Menschen ihr Geld lieber zusammenhalten, floriert das Geschäft der chinesischen Billiganbieter. Zu gut sind die Preise. In diesem Jahr dürften allein von Temu und Shein 135 bis 170 Millionen Pakete ihren Weg nach Deutschland gefunden haben. Das schätzt die Beratungsfirma Effigy Consulting. In Europa hat sich die Warenflut insgesamt in den letzten zwei Jahren verdreifacht auf vier Milliarden Sendungen, wie aus Zahlen der EU-Kommission hervorgeht.

Für Unmut sorgen besonders die Methoden der chinesischen Online-Riesen. Dabei geht es um schlechte Arbeitsbedingungen in Fabriken, gefälschte oder gar giftige Produkte. Zu Silvester untersuchte der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) Party-Artikel wie Luftballons, Pappbecher oder Lichterketten und stellte fest: Mehr als die Hälfte der Produkte von Temu und Shein enthielten gefährliche Inhaltsstoffe. Oft waren die gesetzlichen Grenzwerte von krebserregenden Stoffen wie Nitrosamine, PFAS und Phthalate deutlich überschritten.

Steuer- und Zoll-Tricks im Fokus

"Im Grunde werden systematisch die Lücken im europäischen Recht ausgenutzt und sich damit Wettbewerbsvorteile verschafft", sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE). Der Spitzenverband schätzt, dass in diesem Jahr der Umsatz der Billiganbieter zwischen drei und fünf Milliarden Euro liegen wird. Geld, das Händlern hierzulande fehle, so Genth.

Getrickst wird offenbar auch bei Steuern und Zoll. So werden laut EU-Kommission schätzungsweise 65 Prozent der Waren falsch deklariert. Dazu kommen Bestellungen, die in mehrere Pakete aufgeteilt werden, um die Zollfreigrenze von 150 Euro nicht zu überschreiten. Die Billiganbieter weisen diese Vorwürfe vehement zurück.

Die EU plant die Zollfreigrenze bis 2028 abzuschaffen. Auch die IT und die Zusammenarbeit der Behörden soll verbessert werden. Zu spät, findet Viola Wohlgemuth, Beraterin des NGO-Bündnisses Exit Plastik: "Das Problem ist, dass Shein und Temu so schnell sind, dass sie einfach erkannt haben, wo die Schlupflöcher sind." Die Gesetzgebungen würden oft nicht ausreichen in der neuen digitalen Welt, so Wohlgemuth. Auch der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ) geht es nicht schnell genug. Sie fordert zur Entlastung von Zollbeamten ein modernes und schnelles System zur Zollabfertigung, das etwa mittels Künstlicher Intelligenz verdächtige Sendungen erkennt.

Glücksräder und Werbung sind Teil des Geschäftsmodells

Anders als bei Konkurrenten wie Amazon oder Zalando sind die chinesischen Plattformen nicht für den Versand der Waren zuständig. Lieferungen kommen direkt vom Hersteller zum Kunden. Das spart Kosten, weshalb Produkte günstiger angeboten werden können. Der rasante Aufstieg chinesischer Plattformen lässt sich aber auch mit ihrem Marketing erklären. Besonders in sozialen Medien. Das zeigen Recherchen der ARD-Finanzredaktion während der Shopping-Tage rund um den Black Friday. Auf Instagram und Facebook schaltete Temu in einer Woche über 14.000 Werbeanzeigen in Deutschland. Online-Händler Zalando kam gerade einmal auf über 700 im gleichen Zeitraum.

Hinter Temu steckt der chinesische Mutterkonzern PDD. In diesem Jahr rechnen Analysten mit einem Konzernumsatz von rund 55 Milliarden Dollar. Unterm Strich erwartet man einen Gewinn von 15 Milliarden Dollar - fast doppelt so viel wie 2023. Rekordverdächtig sind auch die Marketingausgaben. Rund ein Drittel des Gewinns fließt in Werbung.

EU prüft nächste Schritte

Auch der EU-Kommission sind die Werbetricks der chinesischen Plattformen ein Dorn im Auge. Ein Vorwurf gegenüber Temu: Die Plattform sei so gestaltet, dass sie süchtig mache und zu ungeplanten Käufen verleite. Durchgreifen will die EU mit dem Gesetz für digitale Dienste (DSA). Darunter fallen Online-Plattformen, die mehr als 45 Millionen Nutzer haben. Seit Oktober läuft ein formelles Verfahren gegen Temu. Der Online-Riese soll Daten liefern, was er selbst zum Beispiel gegen regelwidrige Waren tut. Bei nachgewiesenen Verstößen drohen Bußgelder von bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes.

Druck baut die EU auch durch eine neue Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit (GPSR) auf. Seit Mitte Dezember sind chinesische Online-Marktplätze dazu verpflichtet eine verantwortliche Person für die jeweils verkauften Produkte zu benennen. Das soll die Rückverfolgbarkeit erleichtern.

Kommt eine neue Steuer für Onlineshops?

Wie die "Financial Times" erfahren hat, erwägt Brüssel zudem, eine neue Steuer auf Onlineshops und eine zusätzliche Bearbeitungsgebühr für Importpakete einzuführen. Das würde Lieferungen aus Asien teurer machen. Der Haken dabei: Eine solche Steuer würde auch EU-Firmen treffen. Heftiger Widerstand ist absehbar, weshalb unklar ist, ob die EU-Mitgliedsstaaten zustimmen würden.

Ein Vorbild ist Frankreich. Hier hat sich die Nationalversammlung schon vor Monaten auf Strafgebühren und Werbeverbote für sogenannte Fast Fashion-Unternehmen geeinigt. Ab kommenden Jahr müssen französische Kunden des chinesischen Modehändlers Shein beispielsweise eine Umweltabgabe von fünf Euro pro Kleidungsstück bezahlen. Das soll die Billiganbieter unattraktiver machen. Gleichzeitig will Frankreich auf die Umweltverschmutzung der Textilindustrie aufmerksam machen.

Konkurrenz für Zalando und About You

In Deutschland ist die E-Commerce-Branche nervös und steht angesichts der Konkurrenz aus China unter Druck. Für Analysten an der Börse kommt es nicht zufällig, dass Online-Modehändler Zalando jetzt seinen kleineren Konkurrenten About You übernehmen will. Beide Unternehmen selbst wollen den Zusammenschluss aber nicht als Reaktion auf die Chinesen verstanden wissen. "Wir haben auch große europäische Wettbewerber", sagte Zalando-Co-Chef David Schröder der "FAZ".

Trotzdem: Den Wettbewerbsdruck merken die deutschen Händler. Schon vor der Übernahme hatte About You angekündigt, das Geschäftsmodell von Temu und Shein teilweise zu kopieren. So soll es Direktlieferungen vom Hersteller an den Kunden geben - um günstigere Preise anbieten zu können. Auf Nachfrage heißt es, dass man ab kommenden Jahr mit Mode "on demand" starten will.

Auch Online-Riese Amazon möchte den chinesischen Billiganbietern nicht das Feld überlassen und hat in den USA mit Amazon Haul ein Konkurrenzangebot gestartet. Niedrige Preise und viele Rabattaktionen sollen ebenfalls Kunden locken.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 11. November 2024 um 10:13 Uhr.