Tarifkonflikt mit der EVG Warum Bahnstreiks weiterhin möglich sind
Zwar ist der 50-stündige Ausstand bei der Bahn nach einem Vergleich vor Gericht zunächst vom Tisch. Doch der Tarifkonflikt mit der EVG ist längst nicht gelöst. Weitere Warnstreiks sind möglich.
Zunächst heißt es aufatmen für Millionen Reisende. Denn nach der Absage des 50-Stunden-Streiks der Deutschen Bahn (DB) fallen nur vereinzelt Zugverbindungen aus. Am Samstag hatten die DB und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) einem Vergleich des Arbeitsgerichts in Frankfurt zugestimmt. Der Konzern hatte zuvor einen Eilantrag gestellt, um per einstweiliger Verfügung den Warnstreik abzuwenden.
Der Bahnbetrieb sei am Montagmorgen "weitgehend planmäßig angelaufen", so dass rund 90 Prozent der regulär geplanten Züge fahren würden, teilte die DB mit. Der S- und Regionalbahnverkehr verlaufe weitgehend normal. Ab Dienstag sollen dann alle ICE- und IC-Züge wieder wie geplant unterwegs sein.
Warnstreiks bei Privatbahnen
Der Streik ist allerdings nur für die Deutsche Bahn abgesagt. Deshalb kommt es vielerorts trotzdem zu Einschränkungen. Die EVG verhandelt seit Ende Februar auch mit rund 50 Konkurrenten der Deutschen Bahn über neue Tarifverträge. Aus Sicht der Gewerkschaft kommen die Gespräche mit den meisten dieser Unternehmen nicht entscheidend voran.
Darum wird bei vielen privaten Unternehmen dennoch gestreikt: In München ist etwa die Bayerische Oberlandbahn, in Brandenburg die Ostdeutsche Eisenbahn, in Hessen die Odenwaldbahn und in Thüringen und Sachsen-Anhalt der Betreiber Abellio betroffen.
Mindestlohn ist Knackpunkt
Trotz des gerichtlichen Vergleichs könnte es aber auch bei der Deutschen Bahn erneut zu Warnstreiks kommen. Ein Knackpunkt im laufenden Tarifkonflikt ist der gesetzliche Mindestlohn. Er beträgt seit dem 1. Oktober 2022 zwölf Euro pro Stunde. Die EVG hatte mit der Bahn vereinbart, den untersten Einkommensgruppen einen Stundenlohn von 12,62 Euro zu zahlen - das entspricht fünf Prozent mehr als gesetzlich gefordert. Etwa 2000 Beschäftigte sind davon betroffen und erhalten diesen Lohn seitdem als Zulage.
Ein Sprecherin der Bahn verwies gegenüber tagesschau.de darauf, dass die Bahn diese fünf Prozent über dem gesetzlich geforderten Mindestlohn übertariflich gewährt und auf eigene Initiative zahlt. Dies sei nicht mit den Gewerkschaften vereinbart worden.
Dieses Konstrukt sollte bis zum Abschluss des aktuell verhandelten Tarifvertrags gelten. Die EVG forderte nun, dass der gesetzliche Mindestlohn von zwölf Euro als Sockel in den Tariftabellen verankert wird, bevor es Verhandlungen über die allgemeinen Gehaltszuwächse gibt. Das bedeutet, dass alle weiteren Lohnsteigerungen auf den gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro addiert werden sollen.
Vor Gericht wurde darum betont, dass künftige Verhandlungsergebnisse auch für Beschäftigte im mindestlohnnahen Bereich in vollem Umfang gelten werden. Doch wie diese Lohnzuwächse aussehen, muss nun noch verhandelt werden.
Untere Einkommensgruppen stärken
Die Bahn wollte zunächst keine Vorbedingungen vor den eigentlichen Verhandlungen erfüllen. Doch am vergangenen Freitag stimmte der Konzern zu, den Mindestlohn vorab in die Tariftabellen aufzunehmen, auch wenn der Streit nur rund ein Prozent der Menschen, für die insgesamt verhandelt wird, betrifft. Dennoch ist dieser Punkt für die Gewerkschaft entscheidend: Sie will die Beschäftigten mit geringen Löhnen etwa mit Blick auf die Inflation überproportional stärken.
Das zeigt sich auch an den weiteren Forderungen der EVG: 650 Euro mehr pro Monat will die Gewerkschaft mindestens für die Beschäftigten bei den 50 Bahnunternehmen erreichen. Bei den oberen Einkommen fordert sie zwölf Prozent. Die laufende Tarifrunde betrifft 230.000 Beschäftigte, 180.000 davon arbeiten bei der Deutschen Bahn.
Streit um die Laufzeiten
Die Bahn hat zuletzt steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen von insgesamt 2850 Euro angeboten. Zudem sollten untere und mittlere Einkommen nach dem Angebot des Unternehmens um zehn Prozent, obere Einkommensgruppen um acht Prozent steigen.
Auch um die Laufzeit des neuen Tarifvertrags streiten die EVG und die deutsche Bahn. Während die EVG fordert, dass ein neuer Tarifvertrag nur noch zwölf Monate läuft, um in Zukunft schneller handlungsfähig sein zu können, will die Bahn die Laufzeit auf 27 Monate festsetzen, um nicht im nächsten Jahr erneut Verhandlungen führen zu müssen.
Weitere Tarifverhandlungen - auch weitere Streiks?
Nun ist es also wieder Zeit für neue Verhandlungen, und diese sollten nun zügig und konstruktiv verlaufen, mit dem Ziel eines baldigen Abschlusses, hieß es. Unklar ist noch, wann sich die Tarifparteien wieder an einen Tisch setzen. Die nächste reguläre Verhandlungsrunde ist für den 23./24. Mai angesetzt; denkbar ist aber auch, dass schon zu einem früheren Zeitpunkt verhandelt wird.
Ob es zu einem erneuten Streik kommt, hängt von dem Frieden zwischen den beiden Tarifparteien ab. Die EVG erklärte, sie werde unter bestimmten Umständen den Zugverkehr erneut lahmlegen. Sie forderte die Deutsche Bahn nach der Streikaussetzung auf, "umgehend in Verhandlungen mit uns zum Thema Mindestlohn einzutreten". Sollte die Bahn "wortbrüchig werden, werden wir erneut zu einem Streik aufrufen", warnte deren Sprecher zugleich. Dies sei "möglich und zulässig".
50.000 Zugfahrten neu organisieren
Der Warnstreik sollte eigentlich am Sonntagabend beginnen. Die Bahn begann nach der Absage am Samstagabend damit, die Rückkehr zum normalen Angebot zu organisieren. "Erstmals musste der Bahnbetrieb innerhalb von 24 Stunden von Runterfahren auf Hochfahren umorganisiert werden", erklärte der Konzern.
Dazu würden bundesweit rund 50.000 Zugfahrten allein im Fern- und Nahverkehr sowie die dazugehörigen Schicht- und Einsatzpläne wieder neu geplant. Fahrzeuge müssten neu disponiert und teilweise an neue Abfahrtsorte gebracht werden.