Energiekrise in Deutschland Firmen wappnen sich für Gaslieferstopp
Deutschland droht ein Gasmangel. Im Notfall werden private Haushalte und die kritische Infrastruktur vorrangig mit Gas versorgt. Die Industrie muss früh mit Einschnitten rechnen - und bereitet sich intensiv darauf vor.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt vor Produktionseinbrüchen als Folge eines möglichen Gasmangels. "Politik und Wirtschaft müssen die Sommermonate zwingend nutzen, um Gas zu sparen und die Speicher vor der anstehenden Heizsaison zu füllen", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm der Nachrichtenagentur dpa. "In der angespannten Lage zählt jeder gewonnene Tag und jeder eingesparte Kubikmeter Gas."
Die Unternehmen über alle Branchen hinweg seien in allerhöchster Sorge, berichtet Eckhard Göske, fachpolitischer Sprecher Industrie, Forschung, Innovation und Informationstechnologie bei der Industrie- und Handelskammer NRW. "Wenn die Energiekosten weiter so hoch bleiben und es zu Versorgungsengpässen kommt, droht der Verlust von Arbeitsplätzen und sogar ganzen Unternehmen", befürchtet Göske.
Aluminium-Branche massiv betroffen
Vor allem die Aluminiumbranche macht sich große Sorgen. Die Versorgung mit Gas ist für die Aluminiumindustrie und ihre Produktionsprozesse von elementarer Bedeutung. "Bis unsere Produkte beim Kunden ankommen, durchlaufen sie in der Fertigung eine mehrmalige Wärmebehandlung: Zum Schmelzen beim Recycling, zum Aufwärmen für weitere mechanische Bearbeitung und zum Homogenisieren. Diese Prozesse erfordern eine hohe Präzision und sind auf den Einsatz von Gasöfen zugeschnitten", erklärt Hinrich Mählmann, Präsident von Aluminium Deutschland.
Neun von zehn Unternehmen der deutschen Aluminiumindustrie könnten danach nicht kurzfristig auf einen anderen Energieträger umsteigen. In der Hälfte der Unternehmen würde die Produktion bereits ab einer Drosselung der Gaszufuhr von bis zu 30 Prozent stillstehen, bei einem weiteren Viertel ist das bei einer Kürzung um 30 bis 40 Prozent der Fall, so der Verband.
Nach Aussagen von Mählmann bereiten sich die Unternehmen auf ein Worst-Case-Szenario vor. Notfallpläne beschreiben, welche Geräte zuerst und dann in der Folge abgeschaltet werden müssen. Dies sei jedoch nur in einem gewissen Umfang möglich, danach müssen die Betriebe geschlossen werden.
Unternehmen sind bereit, Gas einzusparen
Auch BASF ist als Chemiekonzern auf Erdgas angewiesen. Am Standort Ludwigshafen gibt es ebenfalls einen Notfallplan. Mit der Hälfte der normalen Liefermenge könnte das Unternehmen noch umgehen. Dann würden die Maschinen mit reduzierter Last weiter betrieben, so eine Sprecherin. Das Unternehmen erwarte jedoch, dass die Preise für Gas massiv steigen, weil die Versorger verstärkt Gas kaufen. BASF setze alles daran, die Abhängigkeit von fossiler Energie, vor allem Gas, noch schneller zu reduzieren.
Henkel sieht sich für eine Gaskrise gewappnet. Man sei durch ein "diversifiziertes Energieportfolio" bereits gut aufgestellt, aktuell könne das Unternehmen aber nicht auf Gas verzichten. Das Kraftwerk in Düsseldorf laufe überwiegend mit Gas, und eigentlich sollte der Betrieb ab Herbst zu 100 Prozent auf Gas umgestellt werden. Nun will Henkel mehr Kohle oder Öl einsetzen. Ein Drittel des Gases lasse sich so einsparen. Allerdings warte man noch auf die Genehmigung der Bundesnetzagentur.
Kältere Wohntemperaturen und höhere Nachzahlungen
Das Wohnungsunternehmen Vonovia versucht, durch die Optimierung der Heizungsanlagen Gas einzusparen. Etwa acht Prozent seien möglich, so das Unternehmen. "Um möglichst viel Gas einzusparen, werden wir in unseren Beständen sukzessiv eine Nachtabsenkung der Heizungstemperatur bei den Gas-Zentralheizungen für die kommende Heizperiode einführen", schreibt Sprecherin Jana Kaminski. "Dabei reduzieren wir die Heizungsleistung zwischen 23 und 6 Uhr. Tagsüber und in den Abendstunden können unsere Mieter:innen wie gewohnt heizen", so Kaminski. Die Warmwasserversorgung sei davon nicht betroffen.
Vonovia versuche, auf nachhaltige Energieträger umzustellen. Gleichzeitig würden viele Wohnungen energetisch saniert. Auf Mieterinnen und Mieter werden wohl Nachzahlungen zukommen. Marko Rosteck von der Deutsche Wohnen schreibt auf Nachfrage, dass im Zuge der Betriebskostenabrechnungen die Vorauszahlungen für Heizkosten pauschal um 40 Prozent erhöht werden müssen.
Unternehmen erwarten Flexibilität und mehr Transparenz
Auch die Automobilbranche versucht, sich auf einen eventuellen Gasmangel vorzubereiten. BMW hat an allen Produktionsstandorten in Deutschland und Österreich untersucht, welche Möglichkeiten bestehen, die Nutzung von Gas zu reduzieren.
BMW-Sprecher Frank Wienstroth nennt ein Beispiel: "Die BMW Group betreibt an vielen ihrer Standorte gasbetriebene Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Die durch diese Anlagen erzeugte Strommenge könnten wir gegebenenfalls auch am Markt über den zusätzlichen Zukauf von Fremdstrom kompensieren. Wir prüfen derzeit, ob dies umsetzbar wäre und was mögliche Implikationen sein könnten."
Die Bundesnetzagentur müsste dazu entsprechende Genehmigungen erteilen. Das dauere oft zu lange, beschwert sich BDI-Präsident Russwurm: "Die Bundesregierung sollte dringend die Genehmigungen für Umrüstungen vereinfachen und beschleunigen, etwa durch einen Umstieg von der Genehmigungs- zur Anzeigepflicht." Verbandspräsident Mählmann von Aluminium Deutschland fordert von der Politik mehr Klarheit und Planungssicherheit.
"Leider agiert die Bundesnetzagentur eher intransparent. Energiesparen ist die eine Seite der Medaille, die Beschaffung und Verteilung die andere. Es gibt keinerlei Informationen zum Vorbereitungsstand, zu Gasmengen, zur Priorisierung, es gibt keine Szenario-Planung", beschwert sich Mählmann. Dabei sei eine Perspektive gerade jetzt so wichtig.