Macht der Markenhersteller Wie die Lebensmittelpreise entstehen
Einige Lebensmittel sind inzwischen so teuer wie noch nie. Die Preisverhandlungen zwischen Herstellern und dem Handel sind hart - was sich bald in den Supermarktregalen bemerkbar machen könnte.
Etwa ein Drittel mehr für Sonnenblumen- oder Rapsöl, rund 18 Prozent mehr für Salat oder Kartoffeln, und frisches Gemüse ist ebenfalls knapp 15 Prozent teurer: Verbraucher müssen derzeit für ihre Lebensmittel deutlich tiefer in die Tasche greifen als noch vor einem Jahr.
"Neben den Steigerungen der Energie- und Rohstoffpreise, die sich durch den Ukraine-Krieg noch einmal verschärft haben, sind auch die globalen Lieferketten durch Probleme beim Containertransport und fehlende Lastwagenfahrer weiterhin angespannt", erklärt Carsten Kortum, Studiengangsleiter Handel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) die Gründe gegenüber tagesschau.de. Dazu komme ein schwacher Euro, der die Importwaren wie Kaffee oder Bananen teurer macht.
Lebensmittel um mehr als sechs Prozent teurer
Insgesamt kletterten die Preise für Lebensmittel nach Angaben des Statistischen Bundesamts im März um 6,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Der Verbraucherpreisindex für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke lag im vergangenen Monat bei 5,9 Prozent. Zum Vergleich: 2021 betrug die Rate zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 1,6 Prozent.
Und es könnte noch schlimmer kommen. So teilte etwa der weltgrößte Lebensmittelkonzern Nestlé mit Marken wie Nespresso, Maggi oder KitKat mit, angesichts anziehender Kosten für Rohstoffe und Logistik die Preise erneut anzuheben. Auch erste Handelsketten wie Aldi gaben die Steigerungen zuletzt bereits an die Kunden weiter.
Gleichzeitig werfen die großen Handelskonzerne Rewe und Edeka den Herstellern vor, in den Preisverhandlungen überhöhte Forderungen zu stellen und damit Extra-Renditen einfahren zu wollen. Nicht vermeidbare Erhöhungen dürften nicht allein den Verbrauchern aufgebürdet, sondern müssten in der gesamten Wertschöpfungskette verteilt werden. Aber wie bilden sich die Preise in den Supermärkten überhaupt?
Verhandlungsmacht bei kleinen Herstellern begrenzt
"Grundsätzlich entstehen die Preise im Rahmen der sogenannten Jahresgespräche, also der einmal jährlich stattfindenden Konditionsverhandlungen zwischen den Händlern und Herstellern", sagt Thomas Roeb, Professor für Marketing und Handelsbetriebslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, im Gespräch mit tagesschau.de. Dabei gehe es nicht nur um den Preis, sondern auch um Liefermengen, Werbeaktionen oder die Logistik.
Die Verhandlungen verliefen dabei sehr unterschiedlich. Wenn das angebotene Produkt - etwa Apfelsaft oder Fleisch eines lokalen Herstellers - im Gesamtumsatz der Supermarktkette keine große Rolle spiele, könne ein einzelner Anruf ausreichen. "Im anderen Extremfall haben wir große Player wie Coca Cola oder Nestlé, bei denen die Vertreter in persönlichen Gesprächen und mehreren Runden hart verhandeln", so der Handelsexperte. Dabei werde nicht immer sofort ein Ergebnis erreicht. Die Treffen zögen sich teils über Monate.
Wer die größere Verhandlungsmacht hat, hänge von der Größe des Herstellers ab, sagt DHBW-Professor Kortum. "Die Produzenten von Eigenmarken und auch kleinere Hersteller von austauschbaren Produkten sind stark abhängig vom Handel und haben im Prinzip gar keine Chance mehr, wenn die Verhandlungen platzen, weil sie teils nur exklusiv für einzelne Händler produzieren." Kürzlich seien deshalb Produzenten für Eigenmarken von Waschmittel und Windeln pleite gegangen, weil der Handel höhere Preise nicht akzeptiert habe.
Große Marken haben mehr Einfluss
Über 80 Prozent des Marktumsatzes nehmen die vier großen Handelsgruppen ein: die Schwarz-Gruppe um Lidl und Kaufland, die Aldi-Schwestern, Edeka sowie Rewe. "In vielen Fällen ist der Händler in den Gesprächen der Stärkere. Für ein bestimmtes Produkt haben sie teilweise ein halbes Dutzend oder ein Dutzend verschiedene Lieferanten", meint daher auch Roeb. Die Möglichkeiten für diese, Preise zu gestalten, seien begrenzt.
Anders sieht es bei der großen Markenindustrie um Nestlé, Unilever oder Danone aus. Dort befinde sich die Machtstellung der Hersteller auf ähnlichem Niveau mit dem Handel, so Kortum: "Auf starke A-Marken wie Nutella kann der Handel nicht verzichten, weil es keine wirklichen Alternativen in der Warengruppe gibt. Umgekehrt kann eine starke A-Marke aber auch nicht auf Edeka verzichten, die in Deutschland einen Marktanteil von über 30 Prozent haben."
Dennoch sehen einige Branchenkenner Veränderungen in den Verhandlungen. "Bislang waren die Einzelhändler immer sehr stark", sagt etwa René Schumann, Gründer und Geschäftsführer der Negotiation Advisory Group in Düsseldorf. Das Unternehmen berät unter anderem Nahrungsmittelhersteller bei den Jahresgesprächen und trainiert Führungskräfte für Verhandlungen.
Mittlerweile steigen aber einige Hersteller laut Schumann immer forscher in die Preisverhandlungen ein. Nestlé setzte bereits zu Jahresbeginn weltweit Preissteigerungen von 5,2 Prozent durch. "Die Händlerseite war durch die gute Argumentation des Konzerns einfach überfordert und hat die Preise deshalb weitergereicht", sagt er tagesschau.de.
Mehr Flexibilität in den Verträgen
Die Branche erlebe gerade harte und eskalierende Verhandlungen. "Hersteller wie Nestlé, die einen partnerschaftlichen Ansatz nicht mitgehen und tatsächlich höhere Preise durchsetzen, drehen die Spirale weiter", so Schumann. Die Steigerung ende erst, wenn die Verbraucher das jeweilige Produkt nicht mehr kaufen.
Ähnlich beschreibt es auch der Wirtschaftsexperte Roeb: "Ein Hersteller, der beliebte Markenartikel in seinem Sortiment hat, kann natürlich einiges durchsetzen." Einige Produzenten testeten aktuell, ob ein Händler Produkte lieber aussortiert oder nachgibt und die höheren Preise akzeptiert, meint Verhandlungsexperte Schumann.
Auf einen weiteren Trend weist Carsten Kortum hin: "Ich sehe die Tendenz, dass sehr viel mehr flexible Bestandteile - sogenannte Preisgleitklauseln - eingebaut werden, weil viele Preiskomponenten nicht mehr kalkulierbar sind." Wenn sich der Weltmarktpreis oder der Glas- und Verpackungspreis von Produkten verändere, könne so auch der Verkaufspreis angepasst werden und müsse nicht neu verhandelt werden.
Hersteller sind gezwungen, Preise anzuheben
Nach Einschätzung des Experten Schumann treten darüber hinaus immer mehr sogenannte Free-Rider auf, die die aktuelle Situation ausnutzen und versuchen, auf die unvermeidbaren Erhöhungen noch eine Schippe draufzulegen. Eine Vielzahl dieser Trittbrettfahrer schließt Kortum allerdings aus: "Die Einkäufer im Handel sind alles Profis. Sie können einzelne Produktpreise ziemlich genau auf den Cent kalkulieren und haben viele Vergleichszahlen."
Daran, dass Lieferanten und Industrie aber höhere Preise verlangen müssten, bestehe kein Zweifel. Dem Wissenschaftler zufolge sind die Gewinnspannen von Nestlé oder Danone zuletzt nicht gestiegen und könnten in Zukunft sogar eher etwas sinken. Das bestätigt auch Schumann: "Viele Hersteller erzielen durch die hohen Energiekosten und Probleme in den Logistikketten keine Margen mehr." Um die Lieferungen nicht komplett einstellen zu müssen, seien sie davon abhängig, dass die Preise nach oben gehen.
Und wie geht es nun weiter? "In der Vergangenheit wurden die Lieferungen erst einmal fortgesetzt, wenn es keine Einigung gab", so Schumann. Mittlerweile bedeute eine Nicht-Einigung aber die Auslistung: entweder weil keine Lieferung mehr kommt oder die Händler das Produkt boykottieren. "Wir werden es als Verbraucher erleben, dass sich das Sortiment bei vielen Händler über die nächsten 12 Monate verändern wird."
Experte rechnet mit mehr Preisanpassungen
Kortum hält Auslistungen dagegen für relativ unwahrscheinlich - vor allem wegen der bereits jetzt teils problematischen Warenverfügbarkeit. "Aus verhandlungstaktischen Gründen noch mehr Lücken in den Regalen in Kauf zu nehmen, ist ein hohes Risiko für die Händler." Dass Konsumenten aufgrund der mangelnden Vielfalt beim Einkaufen den Laden wechseln, wolle ein Händler unbedingt vermeiden.
Schon jetzt hätten die Ketten Sorge, Kunden und Marktanteile an günstigere Discounter zu verlieren. "So eine Preissteigerung bei Lebensmitteln hat es noch nie gegeben. Die Händler sind völlig unsicher, wie die Verbraucher darauf reagieren", sagt Kortum. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs verzeichnen die Discounter dem Marktforscher IRI zufolge deutlich mehr Kunden.
Auch die Länge der Verhandlungen und die Vertragslaufzeit mit den Produzenten könnten daher geringer ausfallen. "Weil die Planbarkeit so schwierig geworden ist, wird es in Zukunft erheblich mehr Preisanpassungen geben." Die Preiswelle sei noch längst nicht vorbei.