BGH ruft EuGH an Müssen Sportwettenanbieter Einsätze zurückzahlen?
Der Bundesgerichtshof hat angedeutet: Ex-Spieler von Sportwetten könnten insgesamt Millionen Euro zurückfordern. Erst muss aber der Europäische Gerichtshof entscheiden.
Jahrelang ging Thomas Melchior aus Magdeburg regelmäßig ins Wettbüro oder auf die passenden Webseiten und schloss Sportwetten ab. Rund 800.000 Euro hat er so innerhalb von knapp 15 Jahren verspielt. Er wurde durch Werbung darauf aufmerksam - und dann süchtig.
"Du kannst noch so viel Sportwissen haben: Am Ende ist es ein Glücksspiel, und du weißt nicht, wie das Spiel ausgeht", sagt Melchior heute.
Anwalt rechnet mit Millionen Betroffenen
Einen Teil der 800.000 Euro möchte Melchior sich aber zurückholen. Dafür bereitet er eine Klage vor. So geht es vielen Ex-Zockern, erklärt Rechtsanwalt Alexander Voigt. Er geht von Millionen Betroffenen aus. Geklagt hätte bislang aber nur ein Bruchteil.
"Wir haben derzeit ungefähr 4.500 Mandanten. Und die Entscheidung ist für uns natürlich wichtig, weil der BGH mitgeteilt hat, wie der die Sache sieht", sagt Rechtsanwalt Voigt von der Kanzlei Goldenstein.
Jeder einzelne Wetter fordert einige Tausend Euro zurück. Für die Sportwetten-Branche geht es aber insgesamt um Millionen- oder gar Milliardenbeträge. Entscheidend für all diese Klagen und die übrigen Betroffenen: die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes (BGH) . Denn daran werden sich auch die übrigen Gerichte in Deutschland, die unteren Instanzen, orientieren.
BGH: Spieler könnten Wetteinsätze zurückbekommen können
Die Richter des höchsten deutschen Zivilgerichts haben heute in einem Beschluss deutlich gemacht: Sie gehen davon aus, dass alle Sportwettenverträge zwischen 2012 und 2020 nichtig sind. Das hieße: Die Spieler könnten ihre gesamten Einsätze, abzüglich der Gewinne, zurückverlangen. Zumindest, soweit die Ansprüche noch nicht verjährt sind.
"Diese Rechtsfolgen sind unserer Ansicht nach mit dem Blick auf den Zweck des Verbots erforderlich, die Bevölkerung vor den Gefahren zu schützen, die von öffentlichem Glückspiel ausgehen", sagt der Vorsitzende Richter des Ersten Zivilsenats, Thomas Koch.
Noch kein abschließendes Urteil des BGH
Trotz dieser deutlichen Worte hat der BGH heute aber noch nicht abschließend geurteilt. Stattdessen haben die Richter das Verfahren ausgesetzt. Sie haben noch Fragen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.
Im konkreten Fall am BGH fordert ein Ex-Spieler über 3.000 Euro vom Anbieter Tipico zurück. Tipico hatte im entscheidenden Zeitraum zwar keine deutsche Lizenz, diese aber beantragt. Die deutschen Behörden hatten sie aber nicht erteilt, was gegen Europarecht verstieß. Tipico arbeitete stattdessen mit einer Lizenz aus Malta. Wie sich das auf die Rückforderung auswirkt, möchte der BGH nun von den europäischen Richtern wissen.
Mit ihrer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof weichen die BGH-Richter von einem sogenannten Hinweisbeschluss aus diesem Frühjahr ab. Sie hatten da noch von einer Vorlage an den EuGH abgesehen. Denn im damals zu bewertenden Fall hatte der Wettanbieter - ein anderer als Tipico - die Vorgaben für eine deutsche Lizenz nicht erfüllt. Spielern konnten dort mehr als 1.000 Euro im Monat einsetzen, was Anbieter aber unterbinden müssen.
Im heute vom BGH zu entscheidenden Fall von Tipico haben sich die Vorinstanzen zu diesem Aspekt nicht geäußert - der Fall musste daher auch vom BGH anders behandelt werden.
Sportwettenanbieter nach EuGH-Vorlage zuversichtlich
Die Sportwettenanbieter sehen die heutige Vorlage zum EuGH als Erfolg. Sie gehen davon aus, dass der EuGH zu ihren Gunsten entscheiden wird. Das Europarecht sorge dafür, dass sie ihre Wetten auch in Deutschland anbieten durften, so auch die Argumentation von Tipico. "Die Klärung der Rechtslage kommt allen Beteiligten zugute und wird durch die heutige Entscheidung des BGH beschleunigt", sagt Tipico-Rechtsanwalt Ronald Reichert.
Wenn der Europäische Gerichtshof ein Urteil gefällt hat, muss sich der BGH nochmal mit der Frage befassen. Erst dann wird klar sein, ob die Tausenden Sportwettenspieler mit ihren Klagen Erfolg haben werden oder nicht.
Für Thomas Melchior ist das kein Problem, sagte er heute nach der Entscheidungsverkündung am BGH in Karlsruhe. Er habe schon lange gewartet. Wichtig sei, dass es Rechtssicherheit gebe und "mal jemand den Anbietern auf die Finger klopfe." Da komme es auf einige Monate oder Jahre nicht an, so der 45-Jährige. Er hat seine Sucht nach eigener Aussage mittlerweile überwunden und hält Vorträge in Schulen zum Thema Wettsucht.