Fleisch liegt in einer Verkaufstheke.

Paläontologie Seit wann essen unsere Vorfahren Fleisch?

Stand: 21.08.2024 12:39 Uhr

Eine neue Zahnanalyse soll eines der größten Rätsel unserer menschlichen Vorfahren lösen: Wie wichtig war Fleisch für unsere Vorfahren und war Fleisch der Durchbruch hin zum modernen Menschen?  

Von Pascal Kiss und Marlène Seibold, SWR

Der Zahnbohrer ist ihr wichtigstes Werkzeug. Geochemikerin Tina Lüdecke entnimmt Proben aus dem Zahnschmelz, um möglichst bald eines der großen Geheimnisse unserer Vorfahren zu lüften: Wann haben Menschen zum ersten Mal Fleisch gegessen? Und wie wichtig war das Fleisch auf dem Weg hin zum modernen Menschen? Diese Fragen soll künftig eine neue Zahnschmelz-Analyse am Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie liefern.  

Vor etwa 2,4 Millionen Jahren haben unsere Vorfahren wahrscheinlich zum ersten Mal Fleisch gegessen. Doch bisher gibt es nur Vermutungen, die sich auf Funde von Steinwerkzeugen und Schnittspuren an tierischen Knochen stützen. Doch Geochemikerin Lüdecke sucht jetzt nach Fakten: "Wir können zum ersten Mal direkte Beweise zum Fleischkonsum anhand von individuellen Zähnen von Vormenschen rekonstruieren."

Lüdecke fühlt den menschlichen Vorfahren also auf den Zahn. Im Zahnschmelz sucht sie nach Spuren fossiler Aminosäuren. Diese Spuren lassen sich auch nach mehr als zwei Millionen Jahren noch nachweisen, weil sie im Zahnschmelz festgebunden sind. Mit einer speziellen Form der Stickstoff-Isotopenanalyse ermittelt das Forscherteam dann den chemischen Fingerabdruck im Zahnschmelz.

Tina Lüdecke sitzt an einem Tisch und arbeitet mit Lupe und Bohrer an einem Zahn.

Der Zahnbohrer ist ihr wichtigstes Werkzeug: Geochemikerin Tina Lüdecke bei der Arbeit

Neue Zahnschmelz-Analyse soll endlich Fakten liefern

Zurzeit testet Tina Lüdecke die Methode an Menschenaffen-Zähnen und hat schon bei der Analyse von Dinosaurierzähnen gezeigt, dass die neue Methode funktioniert. Hier hat sie - wie erwartet - nur Hinweise auf pflanzliche Nahrung gefunden.

Alles nur Etappenziele, denn bald will sie auch die Zähne unserer Vorfahren analysieren und muss dabei viel Überzeugungsarbeit leisten. "Gerade dadurch, dass ich Löcher in die Zähne bohre", sagt Lüdecke: "Niemand ist begeistert, wenn ich wie beim Zahnarzt mit einem Bohrer in die Sammlung komme." Es sei sehr schwierig, an fossile Zähne heranzukommen. 

Hat Fleisch uns zu modernen Menschen gemacht?

Wie hat der Fleischverzehr die Entwicklung hin zum modernen Menschen beeinflusst? Diese Frage ist in der Fachwelt umstritten. In den 1950ern und später vor allem in den 1990ern war die "Meat-made-us-human"-These verbreitet.

Demnach konnte der Mensch sich nur durch den Fleischkonsum hin zum modernen Menschen mit einem immer größeren Gehirn entwickeln. Denn klar ist: Größere Gehirne brauchen viel Energie: "Das Einfachste ist, eine Nahrungsquelle zu finden, die sehr einfach sehr viel Energie dem Körper zuführt. Und das ist Fleisch", sagt Lüdecke. 

Fleisch oder Feuer - was war der Durchbruch?

Obwohl das Gehirn nur zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht, verbraucht es etwa 20 Prozent der gesamten Energie. Aber war wirklich Fleisch die entscheidende Energiequelle? Diese kritische Frage wird in den vergangenen Jahren immer lauter.

Neue Theorien wie zum Beispiel die von Richard Wrangham von der Harvard Universität vermuten, dass vor allem das Feuer für den menschlichen Aufstieg entscheidend war. Denn gekochte Nahrung liefert oft viel mehr Energie als Rohkost. Wann haben also unsere Vorfahren nicht nur Fleisch, sondern auch gekochtes Fleisch gegessen? Auch diese Fragen könnten in Zukunft die Zahnschmelzanalysen beantworten, so die Hoffnung. 

Das bisherige Bild ist verzerrt

Die neue Zahnschmelz-Analyse soll endlich belastbarere Fakten liefern, sodass man sich nicht mehr auf Interpretationen von Steinwerkzeug-Funden oder Höhlenmalereien verlassen muss. Denn das bisherige Bild ist laut einer 2022 veröffentlichten Studie im Fachmagazin PNAS stark verzerrt.

Das Forschungsteam schaute sich die vermeintlichen archäologischen Belege für den Fleischkonsum an. Die Beweise nehmen bei 2,6 Millionen Jahre alten Funden zwar plötzlich zu. Doch gleichzeitig fällt auf: Diese Funde sind auch besonders häufig analysiert worden.

Dieses Zeitalter ist im Fokus der weltweiten Forschungsgemeinde. Das Fazit der Studie: Weil besonders viel geforscht wurde, werden Funde überbewertet und vermeintlich eindeutige Spuren von Werkzeugen und an Knochen falsch interpretiert. Diese Hinweise seien kein ausreichender Beweis für den ersten Fleischverzehr vor etwa 2,6 bis 2,4 Millionen Jahren. 

Zahnanalysen unserer Vorfahren sollen bald starten

Noch laufen die Analysen mit Menschenaffenzähnen. Die ersten Ergebnisse werden noch dieses Jahr erwartet. Hier dürfte die Geochemikerin nur Hinweise auf pflanzliche Nahrung finden. Danach möchte Lüdecke endlich erste Zähne von Frühmenschen anbohren, um das Rätsel zu lösen. 

Sie selbst isst übrigens nur noch selten Fleisch. Denn für den modernen Menschen ist Fleisch nicht mehr unbedingt überlebensnotwendig. Aber hat Fleisch uns zu modernen Menschen gemacht, oder war das Kochen und Braten über dem Feuer viel wichtiger? Diese Frage will die Geochemikerin Lüdecke bald klären.