Resistente Keime Wenn Antibiotika nicht mehr helfen
Lange galten Antibiotika als Allheilmittel. Doch immer häufiger wirken sie nicht mehr, weil Keime resistent geworden sind. Die WHO spricht von einer der größten globalen Bedrohungen für unsere Gesundheit.
Bakterien, die gegen Antibiotika unempfindlich sind, sorgen laut WHO jedes Jahr weltweit für mehr als eine Million Todesfälle. Allein in Europa sind es 35.000. Und die Warnungen vor immunen Bakterien werden immer dringender: Bis 2050 könnten mehr als 39 Millionen Menschen an antibiotikaresistenten Keimen sterben, prognostizieren Fachleute im Fachmagazin The Lancet. Bei weiteren 169 Millionen Todesfällen könnten solche Erreger demnach eine Rolle spielen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft antimikrobielle Resistenz (AMR) als eine der zehn größten globalen Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit ein. Wenn sich nichts ändere, so WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus bei einem hochrangigen Treffen der Vereinten Nationen zum Thema AMR, könnten resistente Keime hundert Jahre medizinischen Fortschritts zunichtemachen. Heute noch einfach zu behandelnde Krankheiten könnten ein Todesurteil werden.
Anlässlich ihrer Aufklärungswoche zu antimikrobieller Resistenz bekräftigt die WHO, dass jede und jeder überall auf der Erde betroffen sei und dass jetzt gehandelt werden müsse.
Abstraktes Problem sichtbar gemacht
Antibiotikaresistente Keime sind für den Menschen unsichtbar. "Wir kommen zunehmend in die Problematik, dass diese Multiresistenz, wo vielleicht noch ein Reserveantibiotikum wirken würde, umschlägt in eine Panresistenz, wo wir gar kein Antibiotikum mehr haben", sagt Professor Christian Kühn, Facharzt für Herzchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) in ARD-Dokumentation Wissen. "Und da steht man dann als Kliniker wirklich mit dem Rücken an der Wand und weiß auch nicht mehr, was man dem Patienten noch geben soll."
Unterschiedliche Arten von Resistenz
Bakterien können einfach resistent sein, so dass eine bestimmte Sorte Antibiotika nicht mehr wirkt. Sie können auch multiresistent, sein, so dass verschiedene Antibiotika versagen oder sogar panresistent, wobei gar kein Antibiotikum mehr anschlägt.
Dass Keime immun sind oder werden, ist ein natürlicher Anpassungsprozess. Er ist nicht komplett aufzuhalten, wohl aber zu verlangsamen. Da ein falscher und höherer Einsatz von Antibiotika zu mehr resistenten Bakterien führt, ist für Fachleute klar: Antibiotika müssen weltweit weniger, gezielter und kontrollierter eingesetzt werden. Wie eine kürzlich erschienene Studie zeigt, gibt es etwa in nicht-universitären Krankenhäusern in Deutschland deutliche Mängel bei der Verschreibung von Antibiotika.
Verantwortungsvoller Einsatz von Antibiotika
Viele Universitätskliniken in Deutschland haben mittlerweile sogenannte ABS-Teams (Antibiotic Stewardship). Unter ABS versteht man den rationalen und verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika, indem zum Beispiel der Erreger der Infektion zunächst diagnostisch ermittelt wird, dann das geeignete Antibiotikum ausgewählt und sowohl Therapiedauer, Dosierung und Form der Antibiotikagabe angepasst wird.
Auch die Charité in Berlin verfolgt dieses Konzept. "Wir gucken, dass der Antibiotika-Einsatz moderat ist, dass er gezielt ist und dass nach einer gewissen Zeit Medikamente wieder abgesetzt werden", sagt Ulrike Trost, Fachapothekerin für Infektiologie und Mitglied des dortigen ABS-Teams. Dadurch sollen sich Resistenzen gar nicht erst ausbreiteten, unter Umständen zurückgedrängt werden können und um die Antibiotika als Ressource geschützt werden.
Schließlich würde die in fast allen Bereichen der modernen Krankenhausmedizin benötigt, die Leiterin des ABS-Teams an der Charité, Miriam Stegemann. Gebraucht werde es etwa bei Operationen, Autoimmunerkrankungen, Chemotherapien, auf Intensivstationen und bei der Versorgung Neugeborener. Die Herausforderung sei, dass das Thema vielfach gar nicht als so wichtig wahrgenommen würde: "Die Konsequenzen von Resistenzentwicklung sind oft nicht gleich spürbar."
Resistenzen zurückdrängen und impfen
Neben Ärztinnen und Ärzten gilt es Patientinnen und Patienten davon zu überzeugen, Antibiotika richtig einzusetzen. "Da ist es auch ganz wichtig, dass man sich nicht falsch behandelt fühlt, bloß weil mein Arzt, meine Ärztin kein Antibiotikum verordnet, sondern das ganz bewusst nicht macht", so Infektiologin Stegemann.
Umfragen zeigen: Fast die Hälfte der Europäerinnen und Europäer weiß nicht, dass Antibiotika nicht gegen Viren wirken, sondern ausschließlich gegen Bakterien. Gerade Erkältungskrankheiten etwa werden jedoch vielfach von Viren verursacht, so dass Antibiotika hier nicht helfen.
Ein weiterer Tipp von Fachleuten, um den Einsatz von Antibiotika weltweit zu reduzieren sind Impfungen, wie die gegen Diphtherie, Hirnhautentzündung, Keuchhusten oder Tetanus. Denn wen Bakterien gar nicht erst krank machen, der braucht auch kein Antibiotikum. Außerdem müsse mehr in die Entwicklung neuer Antibiotika sowie in die Erforschung zusätzlicher Therapiemöglichkeiten investiert werden.
Die Doku von ARD Wissen "Wenn dein Medikament nicht mehr wirkt - Lena Ganschow und die Antibiotika-Krise" läuft am 18. November 2024 um 22:50 Uhr im Ersten oder schon jetzt in der ARD-Mediathek.