Erkältungswelle Ein verschnupfter Sommer mit Corona
In diesem Sommer sind so viele Menschen krank gemeldet wie noch nie seit Bestehen des Beobachtungsportals des RKI 2011. Die Menschen leiden an Erkältungssymptomen, haben Schnupfen, Husten und Fieber - und das oft wochenlang.
Gut 4,1 Millionen Menschen sind zur Zeit von einer akuten Atemwegserkrankung betroffen, so der aktuelle Wochenbericht des Robert Koch-Instituts, kurz RKI. Die Zahl der Infektionen liege auf einem vergleichsweise hohen Niveau, fasst das RKI das Geschehen zusammen. Doch im Vergleich zu den Vorwochen ist in der Kalenderwoche 28 die Zahl der Neuinfektionen erstmals gesunken. Statt 6.000 Erkrankter auf 100.000 Einwohner waren es in der aktuell ausgewerteten Woche nur noch 4.900 Erkrankte auf 100.000 Einwohner.
Die Situation in den Praxen
In den Praxen der niedergelassenen HNO- und Hausärzte könne trotzdem nicht von einer dramatischen Situation gesprochen werden, sagt Jana Husemann, Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes. Deshalb seien die meisten niedergelassenen Medizinerinnen und Mediziner angesichts der sommerlichen Erkältungswelle entspannt. Zwar merkten sie, dass die Infektsprechstunden wieder voller sind, und "wir merken es auch durch Ausfälle in den Praxisteams, die erkältungsbedingt sind", aber noch komme es zu weder zu Versorgungsengpässen noch zu überfüllten Praxen.
Die Viren, die das Infektionsgeschehen verursachen
Die meisten der akuten Atemwegserkrankungen lösen die sogenannten Rhinoviren aus, besser bekannt als klassische Schnupfenerreger. Ihr Anteil, so zeigt es der aktuelle Wochenbericht des RKI, liegt bei rund 21 Prozent. Daneben sorgen auch herkömmliche Erkältungsbakterien für vergleichsweise viele Infektionen, berichtet der HNO-Facharzt Bernhard Junge-Hülsing, Landesvorsitzender des Bayerischen Berufsverbandes der HNO-Ärzte. "In den Abstrichen sind eine ganze Menge Streptokokken und eine ganze Reihe Haemophilus-Bakterien. Eigentlich ist das Haemophilus-Influenza-Bakterium ein normales Schnupfenbakterium, mit dem die Leute selbst fertig werden müssten, werden sie jetzt aber nicht."
Er vermutet, dass das bei vielen Menschen noch immer eine Spätfolge des Maskentragens ist, weil dadurch das Immunsystem mit vielen Erregern nicht in Kontakt gekommen ist. Und so laborieren viele Erkrankte mit Husten, Schnupfen und Fieber deutlich länger herum als in anderen Sommern.
Auch das Wetter im Frühsommer habe daran vermutlich einen Anteil, sagt HNO-Arzt Bernhard Junge-Hülsing. Wochenlang war es bei uns vergleichsweise kalt, mit Regen, Sturm und Wind. Und diese Faktoren beeinflussten das Immunsystem negativ. Hinzu komme, dass sich Menschen dann häufiger in Innenräumen aufhielten und damit leichter ansteckten. Darüber hinaus berichten Medizinerinnen und Mediziner auch von verhältnismäßig vielen Fällen von Keuchhusten, Mittelohrentzündungen oder Paukenergüssen.
Corona-Fälle nehmen zu
Während die Infektionen mit Rhinoviren erstmalig zurückgegangen sind, hat die Anzahl der Coronainfektionen zugenommen. Sie machen aktuell rund 17 Prozent der gemeldeten Krankheitsfälle aus. In der Vorwoche waren es noch zwölf Prozent, eine deutliche Zunahme, wie der aktuelle Wochenbericht des RKI zeigt.
Dabei zieht das RKI verschiedene Quellen zurate, Meldungen aus den Laboren, aber auch das Abwassermonitoring, das während der Pandemie in verschiedenen Regionen installiert wurde. Alle diese Quellen zeigten, dass der Anteil von SARS-CoV-2 am Infektionsgeschehen seit Mitte Mai kontinuierlich zunimmt, wenn auch auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau, so das RKI. Auch Junge-Hülsing beobachtet diesen Anstieg. Viele Menschen besuchten seine Praxis wegen der Beschwerden. "Sie haben coronatypische Symptome wie Halsweh, Halskratzen, Schwächegefühl und Kopfschmerzen", so der HNO-Arzt.
Auch die Zahl der Menschen, die wegen einer schweren Covid-Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden müssen, ist nach Angaben des RKI angestiegen. So werden aktuell 173 Covid-Patienten auf einer Intensivstation behandelt. Das sind rund 21 Prozent mehr als in der der Woche davor. Dennoch betont das RKI im aktuellen Wochenbericht, dass sich auch dieser Anstieg insgesamt betrachtet auf einem niedrigen Niveau befinde.
Die Covid-Variante KP.3
Den beobachteten Anstieg der Coronainfektionen erklären die Forschenden mit einer neuen Subvariante des Virus, die zur Zeit in Deutschland unterwegs ist. Sie heißt KP.3 und macht bereits über die Hälfte der Neuinfektionen aus. Dieser neuen Variante gelinge es, den Antikörpern besser zu entgehen und sich enger an die Körperzellen zu binden. Dennoch sei sie nicht besonders gefährlich: Weder steigt bisher die Anzahl der schweren Krankheitsverläufe drastisch an noch nehmen die Krankenhauseinweisungen deutlich zu.
Allerdings verweist das RKI darauf, dass eine Covid-Erkrankung nach wie vor vor allem für diejenigen gefährlich sein kann, die älter sind als 60 Jahre, die vorerkrankt sind und keinen Immunschutz haben. Weil der Impfschutz mit der Zeit nachlässt, rät Virologe Christian Drosten in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, ältere und gefährdete Menschen sollten sich auch im nächsten Herbst wieder schützen mit dem jetzt neu angepassten Impfstoff.
Wie es weitergeht
Ob sich aus diesem Anstieg der Covid-Infektzahlen eine Corona-Herbstwelle entwickeln wird, lässt sich im Moment noch nicht abschätzen. Aber viele Medizinerinnen und Mediziner mutmaßen, dass sich das gegenwärtige Infektionsgeschehen schon bald beruhigen könnte. Denn jetzt sind in fast allen Bundesländern Schulferien, die Kontakte reduzieren sich, Kinder sitzen nicht mehr in Klassenräumen eng beieinander. Aber bis dahin, so sagt Jana Husemann vom Hausärzteverband in Hamburg, sollten alle Erkrankten "die Hygienemaßnahmen einhalten, die wir jetzt alle durch Covid so gut kennen und sich richtig auskurieren", statt zur Arbeit zu gehen.