Starkregen und Permafrost-Tau Wie der Klimawandel Bergen zusetzt
In Tirol ist ein Teil eines Berggipfels abgebrochen, die Gerölllawine ist zwei Kilometer lang. Schuld ist wohl die Permafrost-Schmelze. Nicht das einzige Phänomen, das Berge bröckeln lässt.
Aus der Luft ist die Gewalt des Felssturzes vom vergangenen Sonntag am besten zu sehen: Der Gipfelaufbau des Fluchthorns im Tiroler Silvrettagebirge ist abgebrochen. Wo jetzt im Juni noch alles schneebedeckt und weiß ist, klafft eine dunkle Flanke, ein schwarzes Band aus Geröll durchzieht den Schnee wie ein Strom aus Lava.
100.000 Kubikmeter Gestein abgerutscht
Der massive Bergsturz wurde wohl durch den tauenden Permafrost im Gebirge ausgelöst. Tirols Chef-Geologe Thomas Figl schätzt, dass mindestens 100.000 Kubikmeter Gestein vom Südgipfel des Fluchthorn-Massivs bei Galtür gestürzt sind. Laut Bergrettern ist sogar das Gipfelkreuz verschwunden.
Bei einem Erkundungsflug seien klare Anzeichen zu erkennen gewesen, dass das schwindende Permafrost-Eis im Gestein die Ursache für das Naturereignis war, sagte Figl. "Das Eis schmilzt wegen der stattfindenden Klimaerwärmung, und das sorgt dafür, dass die Berge bröckeln", erklärt der Geologe. "Das Eis ist der Klebstoff der Berge, und dieser Klebstoff geht jetzt schön langsam verloren."
Permafrost-Schmelze bringt Berge zum Bröckeln
Permafrost ist dauerhaft und ganzjährig gefrorener Untergrund. Laut der Wissensplattform Erde und Umwelt der Helmholtz-Gemeinschaft gibt es Permafrost in Deutschland nur auf der Zugspitze. Das Eis in den Bergen hält das Gestein zusammen und spiele auch eine Rolle für die Festigkeit der Felsen, sagt Michael Krautblatter, Geomorphologe an der TU München.
Zudem sei Wasser, das in Felsen eindringt, ein Problem. Taue eine Kluft auf, könne dort plötzlich Wasser eindringen. Das Wasser komme mit einer Temperatur von drei Grad Celsius bis zu 60 Meter tief unter den Fels. Dieses Auftauen über Wasser gehe viel schneller als von außen.
So könnte es nach Meinung des Geomorphologen auch am Fluchthorn gewesen sein: Wasser dringt in Spalten ein, der Druck im Inneren steigt, das Eis taut auf, es kommt zum Bergsturz. "Wir haben vor zehn Jahren damit gerechnet, dass von außen über den Fels langsam die Wärme reinkommt und der Permafrost auftaut. Wir sehen jetzt an der Zugspitze und anderswo, dass dort Wasser plötzlich in Bereiche reingeht, an denen wir dachten, dass die noch 30 bis 40 Jahre gefroren sind", sagt Krautblatter.
Experten: Fels- und Bergstürze nehmen zu
Mit seinem Team entwickelt Krautblatter Frühwarnsysteme für den alpinen Raum, der besonders vom Klimawandel betroffen ist. "Die Gletscher ziehen sich zurück, der Permafrost geht zurück, die Starkniederschläge werden häufiger", sagt der Geomorphologe. Und trotzdem müsse man die Sicherheit im Bergtourismus bereitstellen. "Wir sehen in den Alpen in den letzten zehn Jahren eine unglaubliche Zunahme in der kritischen Höhe von 3000 Metern im Permafrost-Bereich", so Krautblatter.
Diese Entwicklung sei sehr gefährlich. "Wenn man am falschen Ort ist, gibt es kein Entkommen", sagt Krautblatter. Man wisse nicht, welcher Gipfel als nächstes bricht. "Das kann uns kein Großvater oder so erzählen, sondern wir haben nur die Wissenschaft", sagt der Geomorphologe. Der Bergsturz in Tirol zeige, dass man noch mehr Gipfel beobachten müsse.
Die Gefahr von Bergstürzen nimmt angesichts des Klimawandels nach Ansicht von Experten zwar zu, sei aber kein Grund zur Panik. "Viele der sich entwickelnden Hotspots in den Alpen sind bekannt und werden gemanagt", sagt der Glaziologe Jan Beutel von der Universität Innsbruck. Die lokalen Behörden würden in diesen Fällen rechtzeitig warnen oder Wege sperren. "Ein Restrisiko bleibt aber", sagt der Forscher und Bergführer.
Gesteinsmassen bedrohen Schweizer Bergdorf
Der seit Wochen erwartete Felssturz bei Brienz im Schweizer Kanton Graunbünden ist in der Nacht zum Freitag passiert. Riesige Felsmassen stürzten den Hang hinunter und blieben nur wenige Meter vor dem alten Schulhaus des Bergdorfes auf rund 1100 Metern Höhe liegen. Eine Straße oberhalb des Dorfes liege meterhoch unter Schutt, sagte Christian Gartmann, Sprecher der Gemeinde Albula, zu der Brienz gehört. "Brienz hatte großes Glück", sagte Gartmann dem Sender SRF.
Im Unterschied zum Fluchthorn in Tirol gibt es bei Brienz keinen Permafrost. Der Berg bewegt sich dort schon seit mehr als hundert Jahren. Allerdings verschärfte der anhaltende Regen im vergangenen Mai die Lage in Brienz. Die Gesteinsrutschung beschleunigte sich so sehr, dass die gut 80 Einwohner vorsichtshalber in Sicherheit gebracht wurden.
Auch in Bayern droht großer Felssturz
Auch einem Gipfel in Bayern droht ein großer Fels- oder sogar Bergsturz, dem Hochvogel bei Bad Hindelang im Oberallgäu. Im Gipfel des Hochvogel klafft ein Spalt, der immer tiefer wird. Krautblatter und sein Team beobachten den Gipfel minutiös, Sensoren registrieren und melden jede Bewegung. "Der Hochvogel hat gerade einen besonders großen Felssturz in Vorbereitung", sagt der Geomorphologe.
An der Zugspitze würden zwar auch ständig kleinere Stücke brechen, aber die Forscher gehen davon aus, dass am Hochvogel 260.000 Kubikmeter Fels abbrechen werden. "Das ist der halbe Gipfel, der dann wegbräche, das ist nicht so alltäglich", erklärt Krautblatter. Die nächsten Ortschaften wären - anders als in der Schweiz - nicht direkt vom Felssturz betroffen. Dennoch müssten alle rechtzeitig gewarnt werden, insbesondere auch Wanderer und Bergsteiger.
Starkregen beschleunigt Felsstürze
Wie in Brienz gibt es auch am Hochvogel keinen Permafrost. Dafür ist der 2592 Meter hohe Berg zu niedrig - das Fluchthorn in Tirol ist rund 3400 Meter hoch. Dass der Hochvogel bricht, ist seit mehr als 100 Jahren bekannt. Felsstürze sind ganz normal in den Alpen.
Das Problem: Starkregen verschärft auch hier die Lage. "Fünf, sechs oder sieben Mal schneller bewegt sich der Hochvogel nach einem Starkniederschlag. Und diese Starkniederschläge werden mit dem Klimawandel häufiger", sagt Krautblatter. Permafrost und die Häufigkeit von Starkniederschlägen seien Faktoren, die die Häufigkeit von Felsstürzen deutlich beeinflussen. "Das Einzige, was wir entgegenhalten können, ist die schnelle Entwicklung von Frühwarnsystemen", sagt Krautblatter. Damit möglichst keine Menschen Opfer von Fels- oder Bergstürzen werden. Denn nicht immer ist ein einstürzender Berg so menschenleer wie das Fluchthorn am vergangenen Sonntag.