Sicht auf den Aletschgletscher Jungfraujoch im März 2025.
Player: videoErster UN-Weltgletschertag: Die Folgen der immer schnelleren Schmelze

Erster Welttag der Gletscher Das Wasserschloss Europas schmilzt

Stand: 21.03.2025 08:53 Uhr

Weltweit schmilzt das ewige Eis. Besonders eindrücklich zeigt sich das beim "Wasserschloss Europas": den Schweizer Alpen. Die Auswirkungen sind erheblich - und auch in Deutschland zu spüren.

Von Kathrin Hondl und Sandra Biegger, ARD Genf

Wenn es einen Preis für den Arbeitsplatz mit der spektakulärsten Aussicht gäbe - der von Erich Furrer wäre sicherlich dabei. Furrer ist Betriebswart der hochalpinen Forschungsstation Jungfraujoch in den Schweizer Alpen. 3.500 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, inmitten einer spektakulären Berglandschaft. Sattsehen kann er sich daran nicht. "Ein wunderbarer Ausblick, oder?", fragt er, während er auf die mächtigen Gipfel von Jungfrau, Gletschhorn und Aletschhorn zeigt.

Dramatischer Schwund

Das Jungfraujoch ist ein Ort, an dem man sich der Ewigkeit sehr nah fühlen kann - und doch die Vergänglichkeit vor Augen hat. Zwischen den Berggipfeln fließt der größte und längste Eisstrom der Alpen: der Aletschgletscher. Schneeweiß und majestätisch präsentiert sich der Eisgigant in der Wintersonne. Doch für die Jahreszeit liege viel zu wenig Schnee, der viel zu schnell wieder schmelze, sagt Furrer. Es sei schrecklich anzusehen, wenn der Gletscher blank liegt.

Erich Furrer

Erich Furrer steht an der hochalpinen Forschungsstation Jungfraujoch. Der Betriebswart arbeitet in 3.500 Metern Höhe.

Allein in den vergangenen sechs bis sieben Jahren hat der Große Aletschgletscher einen Kubikkilometer Eis verloren, "also einen Würfel mit einem Kilometer Seitenlänge", präzisiert Matthias Huss, Glaziologe an der ETH Zürich und Leiter des Gletschermessnetzes GLAMOS. Insgesamt haben die Schweizer Gletscher in den vergangenen 25 Jahren 38 Prozent ihres Eisvolumens verloren, so Huss. Und auch in anderen Teilen der Erde sieht es nicht besser aus.

Weltweit schmelzende Gletscher

Nach Angaben des World Glacier Monitoring Service (WGMS) an der Universität Zürich, einem Projekt für weltweite Gletscherüberwachung, gibt es weltweit ungefähr 275.000 Gletscher mit einer Gesamtfläche von rund 700.000 Quadratkilometern.

Noch vor etwa 15 bis 20 Jahren habe es in einzelnen Regionen - etwa in Neuseeland, dem Himalaya oder Nordnorwegen - noch Gletscher gegeben, die an Eismasse zulegten, erklärt die Glaziologin Isabelle Gärtner-Roer. Aber das habe sich geändert. "2023 hatten wir in keiner Region mehr positive Werte", so die WGMS-Expertin.

Auch der aktuelle Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) zum Zustand des Weltklimas 2024 bestätigt: In den vergangenen drei Jahren ging weltweit so viel Gletschereis verloren wie nie zu vor.

Karte: Aletschgletscher und Rhonegletscher in der Schweiiz

"Wasserschloss Europas"

Die Folgen der Gletscherschmelze sind nicht nur in entlegenen Bergregionen zu sehen und zu spüren. Weltweit sind nach Angaben der WMO mehr als zwei Milliarden Menschen auf das Wasser der Gletscher angewiesen - für Trinkwasserversorgung, Landwirtschaft, Industrie und Binnenschifffahrt.

Dank der Gletscher gilt die Schweiz als das "Wasserschloss Europas". Die Alpengletscher sind ein Langzeitreservoir für die Wasserversorgung und spielen unter anderem eine wichtige Rolle bei der Stromproduktion: Wasserkraftwerke erzeugen knapp 60 Prozent des Stroms in der Schweiz.

Auch weit über die Landesgrenzen hinaus sind die Schweizer Gletscher bedeutende Wasserspender. Sie speisen die großen Flüsse - etwa die Rhône, die am Rhonegletscher ihren Ursprung hat, und den Rhein.

Bilderstrecke

Vergleich des Rhonegletschers zwischen 2015 und 2024

Diese Kombination zweier Fotos zeigt den Rhonegletscher am 14. Juli 2015 (links) und an derselben Stelle am 30. September 2024.

Gletscherschmelze führt zu Niedrigwasser im Rhein

Der Hydrologe Jan Seibert von der Uni Zürich beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Zusammenhang von Gletscherschmelze und Rheinpegel. Er prophezeit: Wegen der weniger werdenden Gletscher müsse man in Zukunft häufiger und länger mit Niedrigwasser im Rhein rechnen. Das werde auch in Deutschland Auswirkungen auf vielfältige Lebensbereiche haben.

Nach Auskunft der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins trinken beispielsweise 30 Millionen Menschen aufbereitetes Rheinwasser. Daneben ist der Fluss eine der wichtigsten Wasserstraßen Europas. Bei extremem Niedrigwasser können auf dem Rhein keine Containerschiffe fahren - oder nur mit weniger Last.

Das Niedrigwasser im Rhein 2018 habe einen wirtschaftlichen Schaden von etwa zehn Milliarden Euro verursacht, weil Frachtschiffe gar nicht mehr oder nur mit weniger Last fahren konnten, erinnert Seibert. "Wenn ein Fluss wie der Rhein, an dessen Ufer viel Industrie angesiedelt ist, Niedrigwasser hat, dann trifft das Industrie und Verbraucher empfindlich. 2018 waren beispielsweise die Benzinpreise explodiert, weil auf dem Rhein Schiffe nicht mit voller Ladung fahren konnten."

Trendwende möglich?

Manche Schweizer Glaziologen bezeichnen ihre Arbeit als Sterbebegleitung. Wie lange wird es noch Gletscher in den Schweizer Alpen geben?

Matthias Huss vom Gletschermessnetz GLAMOS verweist auf unterschiedliche wissenschaftliche Prognosen - "je nach Klimaszenario", wie er sagt. "Wenn wir davon ausgehen, dass es quasi keinen Klimaschutz gibt, also eine Erwärmung wie in den vergangenen Jahrzehnten, dann werden wir tatsächlich bis zum Jahr 2100 praktisch alle Gletscher verlieren", so Huss.

Etwas besser seien die Aussichten, wenn es gelinge, die Erwärmung auf 2,7 Grad zu begrenzen. Dann, so Huss, könnte man vielleicht noch rund zehn Prozent des Eises in den Schweizer Alpen ins nächste Jahrhundert retten. 

UN widmen 2025 den Gletschern

Trotz und wegen der düsteren Aussichten haben die Vereinten Nationen 2025 zum "Internationalen Jahr der Erhaltung der Gletscher" erklärt. Das klingt optimistisch - aber genau darum gehe es jetzt, sagt Glaziologin Isabelle Gärtner-Roer: "Positiv zu denken, dass man noch etwas ändern und das Ruder herumreißen kann. Und der einzige Weg dahin ist, weniger Treibhausgase auszustoßen."

Wenn es gelingt, die Erderwärmung auf zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, so rechnet die Schweizer Akademie der Naturwissenschaften zum "Welttag der Gletscher" vor, "dann könnte mehr als ein Viertel des Eises in der Schweizer Alpen erhalten bleiben". Und nebenbei auch die spektakuläre Aussicht auf dem Jungfraujoch.

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"Es ist ernst", Sandra Biegger, ARD Genf, zum ersten UNO-Welttag der Gletscher

tagesschau24, 21.03.2025 15:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 21. März 2025 um 07:09 Uhr.